Ein Kaffeehaus zu führen ist für Eckehart „Ecki“ Grundmann kein Beruf, sondern Berufung – eine geistige Lebensform. Schon übers Jahr machen viele Autorinnen und Autoren, Journalisten, Maler und Grafiker das Grundmann zu ihrem zweiten Wohnzimmer. Zu Messezeiten kommen einfach Freunde aus ganz Deutschland dazu: „Das wächst wie eine Zwiebel – in immer neuen Schichten.“

„Auf die Leipziger Buchmesse bereitete man sich wochenlang vor“, heißt es im 25., schlicht „Leipziger Messe“ überschriebenen Kapitel des Romans „Der Turm“ von Uwe Tellkamp. „Man fuhr nicht hin, um ein paar Bücher in die Hand zu nehmen, auf- und wieder zuzuklappen; man fuhr hin, um durch ein Fenster ins Gelobte Land zu sehen. Das Fenster hatte Sedez-, Oktav-, Quart- und Folio-Format, am häufigsten aber maß es 19 x 12 cm… Taschenbuchformat. Dieses Maß war mit Linealen geprüft und vermessen, danach schnitt Babara das Innenleben der Messe-Mäntel zu, denn wo Taschenbücher waren, mussten auch Taschen sein.“ Messe-Erzählungen wie diese sind Legion in der Literatur, auch jenseits der Buchdeckel kursieren unzählige Anekdoten mit Bezug zu den Leipziger Ausnahme-Tagen, einer Art fünften Jahreszeit, und die meisten sind zu gut, um sie nicht wiederzugeben. Auch Eckehart Grundmann erinnert sich an Buchmesse-Mundraub, einen Messe-Mantel brauchte er nicht. Da er sich, neben der schönen Literatur, als Jugendlicher auch für schöne Autos interessierte, galt der dreisteste Zugriff einem Ziegelstein von Buch, „Eine Jahrhundertliebe. Menschen und Automobile“ (mit einem Geleitwort von Henry Ford II). Später sollte Grundmann das PS-starke Diebesgut verleihen – und niemals wiedersehen: „Der Freund ist heute der Meinung, dass ER es geklaut hat.“

Bei „Leipzig liest“ ist Eckehart Grundmann fast von Anbeginn dabei. Die erste Veranstaltung, in den 90er Jahren, damals noch im „Café Maître“, war eine Lesung mit Axel Hacke, dessen erster Auftritt im Osten: „Die Leute sind quasi auf die Kleiderständer geklettert, quetschten sich in Fensterbänke, es war unglaublich!“ Irgendwann ist der Grundmann-Dampfer dann komplett in Richtung des Münchner Verlags von Antje Kunstmann abgebogen. „Kunstmann liest im Grundmann“, hieß die Reihe, die sich meist über drei Buchmesse-Abende erstreckte – und zu denen der Leipziger Grafiker und Grundmann-Fan Thomas Matthäus Müller großartige Plakate schuf. „Es war eine symbiotische Sache, für alle Seiten wunderbar!“

Die Pandemie hatte der Verbindung zu den Verlagen, wie Grundmann sagt, „ein bisschen die Füße weggezogen“, inzwischen habe sich die „Wunde“ jedoch wieder geschlossen. Zur Buchmesse im März wird es immerhin einen Kunstmann-Abend geben – aber was für einen! Ella Carina Werner („Der Hahn erläutert unentwegt der Henne, wie man Eier legt“) wird hochkomische „feministische Tiergedichte“ lesen, die vor selbstbewussten, schwer empowerten Weibchen nur so wimmeln: „Die Eule liebt sich, wie sie ist / Anarcho-Punk und Antichrist.“ Am Messe-Donnerstag trifft sich das Netzwerk der Literaturhäuser, und für den für Samstagabend geplanten „Comixautomatenabend“ im „Grundmann“ muss der Chef nur noch den derzeit ins Treppenhaus gerückten Automaten reanimieren und mit neuem Content bestücken. Eckehart Grundmann wird mit dem Cartoonisten Beck, dessen Arbeiten derzeit die Wände des Cafés zieren, Comics vorlesen, „Sprechblasen mit verteilten Rollen“.

Gegen zehn wenn viele andere Veranstaltungen in der Stadt beendet sind, setzt die altbekannte Wanderung ins „Grundmann“ ein. Dann steppt der Bär, und das Personal schiebt Überstunden: Tische werden zusammengeschoben – erst zwei, dann drei, immer mehr. „Manchmal sieht das aus wie eine große Schlange, die sich durchs Café windet.“
Café Grundmann, August-Bebel-Straße 2, 04275 Leipzig