Bereits nach der pandemiebedingten Absage der Leipziger Buchmesse im März 2020 hatte MDR Kultur innerhalb einer Woche sein komplettes Live-Bühnenprogramm in ein digitales Studioprogramm umgeplant. „Über zehn Stunden nonstop Livestream-Bewegtbild aus einem Radiostudio“, sagt MDR Kultur-Literaturchefin Katrin Schumacher, „das war eine absolute Premiere“. In diesem Jahr legte die ARD noch eins drauf: Vom 27. bis 30. Mai veranstaltete sie, unter Federführung des MDR, ein umfangreiches Liveprogramm mit Lesungen und spannenden Gesprächsrunden – alles in allem über 30 Stunden Literatur mit mehr als 50 Autorinnen und Autoren. „Was wir gestemmt haben, war, wenn man so will, eine große digitale Publikumsveranstaltung“, so Schumacher. „Wir haben live in die ARD-Mediathek gestreamt und alle Gespräche für die ARD Audiothek produziert – in der Alten Handelsbörse am Naschmarkt, im Herzen Leipzigs.“ Alle ARD-Anstalten waren dabei – mit Inhalten und den Moderatoren-Teams ihrer Literatursendungen. Ein besonderes Highlight war die dreistündige „ARD Radio Kulturnacht – Unter Büchern“, die live aus der Alten Handelsbörse gesendet wurde. Gäste waren Helga Schubert, Judith Hermann, Michel Decar, Simone Buchholz, Dana Grigorcea, Robert Habeck, Monika Helfer und Joseph Vogl.
Ergänzend zum Live-Programm gab es einen Literaturschwerpunkt im Fernsehen, der nach dem Motto „Digital first“ gestrickt war, eine Herangehensweise, die in letzter Zeit häufiger anzutreffen ist. Der MDR hat im Umfeld von „Leipzig liest extra“ drei aufwändig produzierte, je 30 Minuten lange Literatur-Dokus ausgestrahlt, die aber von vornherein so angelegt sind, dass sie in der ARD-Mediathek bella figura machen: Für die Filme „Können Bücher Heimat sein?“, „Können Bücher einen Mord begehen?“ und „Können Bücher die Welt retten?“ versichern sich die Macher des Wissens derer, die sich professionell mit der Erfindung von Welten beschäftigen: Autorinnen und Autoren wie Shida Bazyar, Mithu Sanyal, Lena Gorelik, Simone Buchholz, Zoe Beck oder Clemens Meyer.
„Es war uns eine Herzensangelegenheit, Leipzig liest extra mit unserem umfangreichen Programm im ARD-Forum zu unterstützen, damit unsere Verbundenheit zur Buchmesse zu zeigen – und natürlich den Autorinnen und Autoren zumindest eine digitale Bühne zu bieten“, so MDR-Programmdirektorin Jana Brandt. „Diese Partnerschaften sind für uns Teil unseres gesellschaftlichen Gesamtauftrages. Wir haben uns sehr gefreut, dass uns die gesamte ARD-Familie mit ihren Kulturjournalisten und -journalistinnen unterstützt hat, um hier ein opulentes Gemeinschaftsprogramm auf die Beine zu stellen.“ Wer zu spät gekommen ist, wird hier nicht vom Leben bestraft: Das Angebot bleibt noch für ein Jahr in der Mediathek und in der Audiothek der ARD erhalten.
Deutschlands berühmtestes literarisches Sitzmöbel, das Blaue Sofa, verließ in diesem Jahr seinen angestammten Platz in der Glashalle und zog in die Kongresshalle am Zoo. Die Veranstaltungen des bewährten Gemeinschaftsprojekts von Bertelsmann, ZDF, Deutschlandfunk Kultur und 3sat wurden live gestreamt und sind in den Mediatheken von ZDF und 3sat abrufbar. 54 Autorinnen und Autoren waren heuer zu Gast; wegen einer pandemiebedingten „Hygienepause“ zwischen den Gesprächen dauerten diese 20 statt der üblichen 30 Minuten – eine Konzentration, die dem Format sehr gut bekam. Auf der Website des Blauen Sofas lässt sich das meiste nachschauen – neben Informationen zu Autor und Titel sind die Gespräche in der ZDF-Mediathek direkt ansteuerbar. Die ZDF-Kultursendung “aspekte” berichtete mit einer Literatur-Schwerpunktsendung aus Leipzig, die 3sat-“Kulturzeit” befasste sich in bewährter Weise mit Neuerscheinungen und aktuellen Entwicklungen am Buchmarkt. Ebenfalls noch zu sehen: Eine literarische Reportage aus Portugal, dem Gastland der Leipziger Buchmesse 2022.
Das alles war deutlich mehr als business as usual, hier wurde unüberhörbar für die aktuellen Programme, das Lesen (und Bücherkaufen!) getrommelt. „Obwohl Vorbereitungen und Kommunikation durch immer neue Corona-Verordnungen komplexer und umfangreicher wurden, sind wir sehr stolz auf das, was wir in vier Tagen geschafft haben“, so Christiane Munsberg von Bertelsmann. „Die Begegnungen und Gespräche haben uns viel Spaß gemacht. jetzt fehlt am Blauen Sofa nur noch das Publikum, das wir im März 2022 hoffentlich wieder auf dem Messegelände begrüßen können.“ Dass in Zeiten wie diesen Flexibilität großgeschrieben wird, hat Munsberg selbst unter Beweis gestellt: Für den kurzfristig erkrankten Michael Kramers moderierte die Kulturmanagerin den Krimi-Club im Landgericht mit Eva Almstädt, Angelique Mundt, Claudia Rikl und Thomas Ziebula. „Während der Krimi-Club sonst regelmäßig ausverkauft ist, konnten wie diesmal über unseren Facebook-Kanal ein breiteres Publikum erreichen.“ Christiane Munsberg kann sich vorstellen, solche Hybrid-Angebote auch künftig vorzuhalten. Die Premiere ist jedenfalls gelungen.