Nicolas Mahler polarisiert: Für die einen ist der 1969 in Wien geborene Zeichner ein Spaßvogel, für andere ein verkappter Tragiker. Und was, bitte, ist von einem zu halten, der dickleibige Weltliteratur-Wälzer zu handlichen Bildgeschichten eindampft? Gemessen an der Zahl der Preise, die er eingeheimst hat, ziemlich viel: Mahler, der gern selbst mit dicker Brille und Gurkennase durch seine Strips geistert, ist einer der profiliertesten und produktivsten Comic-Künstler im deutschsprachigen Raum.
Früher wurde Nicolas Mahler häufig gefragt, ob das, was er macht, Kunst sei? Mitfühlende Geister schlossen dann meist ein „Können Sie davon leben?“ an. Doch inzwischen hat sich der Wind gedreht: Der Mahler-Stil, einst als Krakelei abgetan, gilt als unverwechselbar in der grafischen Reduktion. Seine Figuren haben weder Ohren noch Münder, aber zweifellos Charakter. Neben den fast 50 Buchveröffentlichungen, die seit den späten 90er Jahren entstanden sind, experimentiert der Zeichner auch mit anderen Medien – offenbar ein Tausendsassa.
Einem größeren Publikum wurde Mahler durch Comic-Adaption von Thomas Bernhard oder Robert Musil im Suhrkamp Verlag bekannt. So destillierte er aus Musils 1700-Seiten-Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ einen 150-Seiten-Strip. Ein Sakrileg für Germanisten. Auch die Bearbeitung von Bernhards Theaterstück „Der Weltverbesserer“ ist längst Kult: Ein Mann in seinem hohen Sessel, eine Frau – das war’s auch schon. Doch Mahler bebildert nicht einfach, sondern interpretiert mit seiner Darstellung neu.
Literarische Comic-Erzählungen mit Suhrkamp-Gütesiegel – ist das noch zu toppen? Dem schlitzohrigen Wiener gelang es: Mit seinem schlicht „Gedichte“ betitelten Band schaffte er es in die Insel-Bücherei. Die bibliophile Buchreihe gilt als Hort der Hochkultur. Mahler weiß, dass die Aufnahme hier eigentlich Klassiker-Status verbürgt – und spielt damit. „Also, ich bin ja ganz gern blöd. Und a Blödsinn funktioniert natürlich am besten in einem total seriösen Mantel.“
Ohne Mahlers kongeniale Annäherung an „Thomas Bernhards Salzburg“ (Residenz 2022) ist eine Reise an die Salzach zwar möglich, aber sinnlos. Neun Blätter zieren die Wände der neuen Dauerausstellung im Salzburg Museum Neue Residenz. Mahlers Adaptionen von Texten der österreichischen Literatur-Prominenz von Musil bis Jelinek zeigt eine Ausstellung, die im März im Literaturhaus Leipzig zu sehen ist und dort zur Buchmesse Finissage feiert („Ah! Thomas Bernhard. Den kenn ich. – Schreibt der jetzt für Sie?“, Eröffnung: 9. März, Laudatio Andreas Platthaus).
Mit „Franz Kafkas nonstop Lachmaschine“, einer Sammlung autobiografischer Bildgeschichten, lässt uns Mahler an den oft grotesken Missverständnissen teilhaben, die aus dem Zusammenprall von Literaturbetrieb und Comic erwachsen. Franz Kafka und Rolf Kauka, der legendäre „Fix und Foxi“-Erfinder, haben offensichtlich mehr gemein, als mancher sich träumen lässt. Dass Germanisten und bornierte Kritiker ihr Fett abbekommen, versteht sich von selbst. „Wer alles liest, hat nichts begriffen“, schreibt ihnen Nicolas Mahler, frei nach Bernhard, ins Stammbuch. Ist ein Roman, nur weil er mehr Zeilen zur Verfügung hat, wertvoller als ein Comic? Umgekehrt ist es richtig, meint Nicolas Mahler: „Die Verknappung ist aussagekräftiger als das große Ganze!“
Nicolas Mahler, geboren 1969, lebt und arbeitet als Comic-Zeichner und Illustrator in Wien. Seine Comics und Cartoons erscheinen in Zeitungen und Magazinen wie Die Zeit, NZZ am Sonntag, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und in der Titanic. Für sein umfangreiches Werk wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet; unter anderem erhielt er 2010 den Max-und Moritz-Preis als »Bester deutschsprachiger Comic-Künstler« und 2015 den Preis der Literaturhäuser.