Messedonnerstag, zehn Uhr

Messedonnerstag, zehn Uhr

Der amtlich schönste Messe-Moment ist für Kerstin Scholz jedes Jahr der montägliche Büro-Umzug aus dem Verwaltungsgebäude in die Glashalle: Schreibtische mit Sichtkontakt zu den Ausstellern, für die jetzt die heiße Aufbauphase beginnt. Bald werden unten in der Magnolien-Allee die Leitungen glühen, die Telefone der Projektmanagerinnen sind während der Messetage aufs Backoffice umgestellt. Der Adrenalinpegel steigt: Messe-Atmo! Was kann es schöneres geben? Als Projektassistentin der Buchmesse ist Kerstin Scholz so etwas wie ein Urgestein. 1990 hat sie ihren Lehrvertrag bei der Messegesellschaft unterschrieben, „Außenhandels-Kauffrau“ wollte sie werden. Ein halbes Jahr nach Beginn der Ausbildung wurden die Job-Profile runderneuert, weshalb Scholz nun gelernte „Großhandels-Kauffrau“ ist. In den drei Jahren der Lehre hat sie alle Abteilungen der Messe durchlaufen – von Poststelle und Einkauf bis zu Protokoll und Finanzbuchhaltung. Am spannendsten findet sie die Zeit im Team der Modemesse – und bei der Buchmesse.

Von der Bildschirm-Schreibmaschine zur Online-Anmeldung

„Ich habe während der Lehre gemerkt, dass es mir Spaß macht, mit anderen zusammen Messen zu organisieren“, erinnert sich Kerstin Scholz. „Deswegen habe ich mich nach der Lehre auf eine Assistentenstelle beworben“. Im August 1993 steigt sie bei der BIK – Messe für Computer und Telekommunikation ein. Nach weniger als zwei Monaten kommt ein Anruf aus der Personalabteilung: Buchmesse-Chef Oliver Zille sucht für sein frisch formiertes Team eine Projektassistentin. Scholz bekommt den Job. Sie kümmert sich von Anfang an um den reibungslosen Ablauf der Formalitäten für Aussteller, von der Pflege der Datenbanken bis zur Versendung der Zulassungen und Standzuweisungen. Als Scholz 1993 kam, wurden die noch per Bildschirm-Schreibmaschine erfasst, „ein Mordsteil mit Tastatur, Monitor und Diskettenlaufwerk“. Zwar hat sich die Technik längst revolutioniert, doch bis ins letzte Jahr hinein hämmerte Kerstin Scholz die Anmeldeformulare der Aussteller eigenhändig ins System. 2018 wurde auf Online-Anmeldung umgestellt – ein so komplexer wie reibungslos verlaufener Prozess, der dazu führt, dass Scholz nun buchstäblich mit Messeschluss im Anmelde-Prozess fürs Folgejahr steckt.

Nette Kollegen, zufriedene Aussteller

Daneben ist Kerstin Scholz so etwas wie die „Zentral-Assistentin“ im Aussteller-Management; sie hält den sieben Projektmanagerinnen im Team den Rücken frei und hat neben dem Anmeldeprozess Routinen wie Rechnungslegung und das Verschicken der Standzuweisungen im Blick. Sie fühlt sich wohl in ihrem Job: „Buch und Lesen sind einfach tolle Themen, es macht Freude, gerade für diese Messe zu arbeiten. Und auch die Aussteller sind zufrieden.“ Bekommt man davon im „Maschinenraum“ der Buchmesse auch etwas mit? „Vielleicht nicht so direkt“, sagt Scholz, „aber die Stimmung ist sehr OK und gibt Rückenwind“. Ein guter Moment, um nach dem regelmäßig zweitschönsten Messe-Moment von Kerstin Scholz zu fragen. „Der Gong am Messedonnerstag, zehn Uhr. Wenn sich die Schleusen öffnen und die Menge losrennt, als gäbe es kein Morgen.“

Kerstin Scholz absolvierte ihre Lehre zur Großhandels-Kauffrau bei der Leipziger Messe. Nach einem kurzen Zwischenspiel als Projektassistentin bei der Computermesse BIK verstärkt sie seit Herbst 1993 in gleicher Position das Team der Leipziger Buchmesse. Kerstin Scholz ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann nahe Leipzig.

Schreiben gegen das Vergessen

Schreiben gegen das Vergessen

Kateřina, Sie sind Schriftstellerin, Kuratorin und Programm-Chefin des Festivals „Meeting Brno“ – das mehr als ein „normales“ Literaturfestival zu sein scheint…

Kateřina Tučková: Stimmt, es ist ein Festival quer durch alle Genres. Es ist eine Plattform, wo wir uns mit wichtigen Themen der jüngsten Vergangenheit beschäftigen, die für die Gegenwart relevant sind. Jedes Jahr Ende Mai kann man über zehn Tage rund 50 Veranstaltungen mit Autorinnen und Autoren, Künstlern, Musikern und Schauspielern erleben. Dazu organisieren wir ganz bewusst die Begegnung zwischen den Generationen.

Nächstes Jahr werden wir der 30. Wiederkehr der „friedlichen Revolution“ gedenken, die in Ihrer Heimat die „samtene“ genannt wird. Damals waren Sie neun Jahre alt – haben Sie noch Erinnerungen an diese Zeit?

Tučková: Ich wurde in der Mährischen Provinz geboren und lebte 1989 mit meiner Familie in einem kleinen Arbeiterstädtchen, in dem das Heulen der Fabriksirene den Alltag strukturierte: Jeder wachte um 5 Uhr morgens auf, um Punkt sechs in der Maschinenfabrik seine Arbeit zu beginnen – bis die Sirene um 14.30 Uhr das Ende des Arbeitstags markierte. Alles war wohlorganisiert, niemand in meinem Umfeld zog das politische Regime in Zweifel. Die samtene Revolution, mit der sich quasi über Nacht alles änderte, war, so gesehen, ein Schock. Eine große Unsicherheit bemächtigte sich der Leute. Und bald kam der nächste Schock, als die verdrängten Geschichten auftauchten: Über die Schauprozesse der 50er, den Prager Frühling, die verhafteten Intellektuellen. Was ich von dieser Zeit mitgenommen habe? Dass es extrem wichtig ist, sich gründlich zu informieren, offenen Auges durch die Welt zu gehen, um nicht von der Wahrheit überrascht zu werden.

Mit „Gerta. Ein deutsches Mädchen“ haben Sie 2010 einen der wichtigsten tschechischen Literaturpreise gewonnen. Das Thema des Romans, die Vertreibung der Deutschen nach 1945, war lange ein blinder Fleck – wie sind sie darauf gekommen?

Tučková: Die Vertreibung der Deutschen aus meiner Heimatstadt Brno im Mai 1945 war zu Zeiten der kommunistischen Herrschaft ein Tabu – keiner sprach darüber. An manchen Fassaden konnte man noch die verwitterten deutschen Aufschriften lesen. Als ich meine Nachbarn darauf ansprach, blieben sie stumm. Sie wollten nicht über die Juden und Deutschen sprechen, die vor uns in unseren Straßen, unseren Häusern, unseren Wohnungen lebten. Es war ziemlich schräg. So begann ich zu graben. Und fand die Geschichte von Gerta, der 21jährigen Mutter eines kleinen Babys, die 1945 zusammen mit 19.800 weiteren Frauen, Kindern und Alten aus Brünn auf den so genannten „Todesmarsch“ geschickt wurden. Allein, weil sie Deutsch sprachen! Viele Alte und Kranke haben das nicht überlebt; sie wurden rund 30 Kilometer von Brno entfernt in Massengräbern beerdigt. Ich war sehr berührt von diesem Fund, auf den ich dank befreundeter Historiker, in Büchern und Archiven gestoßen war. Und ich beschloss, Gertas Geschichte aufzuschreiben.

Können wir von Flucht und Vertreibung nach 1945 etwas für unseren Umgang mit der heutigen Flüchtlingskrise lernen?

Tučková: Die Nachkriegssituation war chaotisch, halb Europa schien unterwegs zu sein: Überlebende des großen Schlachtens, der Arbeits- oder Konzentrationslager, Waisen, Menschen mit psychischen Erkrankungen. Für Europa war das eine Extremsituation – aber man hat das letztlich organisiert bekommen. Ich bin überzeugt, dass es das ist, was wir von der Vergangenheit lernen können: Dass so ein Problem zu bewältigen ist, dass Hilfe für Bedürftige menschlich und selbstverständlich ist. Ich glaube, es wäre ein schrecklicher Fehler, Menschen, die in Gefahr sind und uns um Hilfe bitten, den Rücken zu kehren.

Sie sind Anfang November als Stipendiatin des deutsch-tschechischen Residenzprogramms in Leipzig angekommen. Wie sehen Ihre Pläne aus?

Tučková: Ich freue mich sehr auf diese Wochen. Ich will die Arbeit an meinem Roman „Bílá Voda“ (Weißwasser) fortführen, der mich seit 2015 beschäftigt und der auf tatsächlichen Begebenheiten basiert: In den 50er Jahren wurden in der kommunistischen Tschechoslowakei sämtliche Orden verboten; man warf ihnen „Zersetzung des Staates“ vor. Nonnen aus dem ganzen Land wurden in das kleine tschechisch-schlesische Dorf Bílá Voda an der Grenze zu Polen deportiert. Bis heute ist ihr Schicksal den meisten Tschechen unbekannt. Ich habe dazu lange recherchiert – was ich jetzt brauche, ist Zeit, mich aufs Schreiben zu konzentrieren. Dafür ist das Residenzprogramm ideal. Natürlich ist Leipzig auch als Stadt mit einem reichen Kulturleben bekannt – für mich ist die Stadt ein sehr inspirierender Platz!

„Exzellenz in Innovation“

„Exzellenz in Innovation“

Herr Lenz, passt Brechts Diktum „Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns. Vor uns liegen die Mühen der Ebene” auch aufs Thema „Digitalisierung“?

Daniel Lenz: Ganz richtig. Die Verlage haben ihre Hausaufgaben gemacht, um im ersten Schritt Prozesse aufzusetzen, mit denen sie ihre Printprodukte auch digital anbieten. Die E-Book-Produktion ist Routine geworden. Bei den Presseverlagen gibt es seit Jahren Digitalabos. Vielen Angeboten sind aber ganz klar noch Ableitungen von Print und keine genuin digitalen Angebote – es gibt wenige Produkte, die auch die Stärken des Mediums ausnutzen. Diesen, für uns entscheidenden Schritt sind viele Verlage noch nicht gegangen.

Wie schätzen Sie Innovationsgrad und –klima in der Buch- und Medienbranche aktuell ein?

Lenz: Bei den Buchverlagen sehen wir teilweise eine Trägheit bei den Innovationen – vielleicht auch, weil es zwischenzeitlich eine Flaute im E-Book-Geschäft gab. Ihr Motto ist: Print funktioniert noch zu großen Teilen und ist die sichere Bank – und das Digitale ist ein kleines Zusatzgeschäft. Das ist aber der falsche Ansatz.

Warum?

Lenz: Weil diese Haltung heute funktioniert, morgen aber nicht mehr. Die Studie von Börsenverein und GfK zeigt eindeutig, dass es einen massiven Käufer- und Leserschwund gibt, gerade bei jüngeren Menschen, bei denen Print eben nicht mehr so attraktiv ist. Die Zahlen des Pressegrosso sind für Zeitschriftenverlage auch alarmierend. Wenn es nicht gelingt, für diese wegbrechenden Kunden neue Angebote – und das müssen zwingend auch digitale sein – zu schaffen, ist die Verlagsbranche morgen oder spätestens übermorgen eine Krisenbranche. Vor diesem Hintergrund haben wir auch den digital publishing award entworfen…

… als Nachfolger des 2014 gestarteten Deutschen eBook Award. Warum der neue Ansatz?

Vedat Demirdöven: Der Deutsche eBook Award ist zu einer Zeit gegründet worden, als die eBook-Produktion noch nicht bei allen Verlagen Routine war. Wir wollten mit dem Preis best practices hervorheben, um die Verlage zu animieren, schönere, attraktivere digitale Bücher zu entwerfen. Die eBooks von heute sind rein handwerklich meist gut gemacht. Hier sind wenige neue Innovationen zu sehen, vielleicht auch nicht so dringend nötig. Um junge Menschen heute mit Inhalten zu erreichen, sollten Verlage über das Epub- oder Kindle-Format hinausdenken. Ein Wattpad beispielsweise hätte ganz dringend von der Verlagsbranche erfunden werden müssen.

Der Zuschnitt des Preises hat sich stark verändert; die inhaltlichen Kategorien wie Fiction, Nonfiction oder Kinder- und Jugendbuch, wie man sie auch von anderen Designpreisen kennt, wurden aufgelöst. Können Sie uns die Beweggründe erklären?

Demirdöven: Wenn wir über das reine Buchformat hinausdenken, passen nicht mehr die alten, genrebezogenen Kategorien. Wir möchten grundsätzliche digitale Innovationen von Verlagen honorieren – und der Branche so Mut machen, diesen Weg selbstbewusst zu beschreiten. Denn es gibt nach wie vor hervorragende Innovationen von Verlagen.

Der Deutsche eBook Award, so verdienstvoll seine Gründung war, schwächelte zuletzt ein wenig. Ist die Ausweitung der Bandbreite des neuen Preises – nominiert werden können jetzt etwa auch innovative Technologien und Prozesse oder Akteure auch außerhalb der engeren Branchengrenzen – der Königsweg?

Lenz: Das wird sich zeigen. Der Vorteil des neuen Zuschnitts ist sicher, dass wir ein breiteres, womöglich interessanteres Portfolio haben. Der Nachteil ist aber auch, dass das Profil der einzelnen Kategorien unschärfer ist. Wir werden sehen, ob die Balance gelingt.

Der neue Preis wird erstmals zur kommenden Leipziger Buchmesse vergeben – welche Projektionen verknüpfen sich mit dem Umzug von Frankfurt nach Leipzig?

Demirdöven: Wir hatten auf der Frankfurter Buchmesse eine schöne Heimat. Die Anbindung an die Stiftung Buchkunst hat auch für den alten Preis Sinn gemacht – schließlich ging es auch um die digitale Ästhetik. Mit dem neuen Preis wagen wir den Schritt nach Leipzig, aus mehreren Gründen: Ein solcher B2B-Preis droht im Herbst unterzugehen, in Leipzig setzen wir im Frühjahr ein neues Schlaglicht. Hinzu kommt, dass uns die Anbindung an Ehrhardt Heinolds und Holger Ehlings „Zukunft.Verlage: Leipziger Ideenforum für Marketing und Vertrieb“ sehr passend erscheint.

Sie vergeben auch einen Preis in der Kategorie Start-up. Konkurrenz für Neuland 2.0, die Innovationsplattform der Leipziger Buchmesse?

Lenz: Nein. Wir möchten diese Kategorien bedienen, weil es nicht zielführend wäre, einen Innovationspreis auszuloben, bei dem Start-ups als zentrale Motoren der Innovation fehlen. Und es ist keine Floskel, wenn ich sage, dass wir bei dem Preis nicht in Kategorien wie Konkurrenz denken. Wir freuen uns, wenn wir Bewerber dabeihaben, die vielleicht schon woanders angetreten sind – oder in Leipzig weitere Auftritte haben.

Seit kurzen fragen Sie die Jury-Mitglieder des digital publishing awards, welche digitalen Innovationen die Damen und Herren in den letzten zwölf Monaten am meisten beeindruckt haben. Gibt es bei Ihnen persönlich auch einen Favoriten?

Lenz: Ganz grundsätzlich interessieren mich aktuell besonders Projekte, bei denen sich Verlage hin zu Communities wandeln. Das bedeutet ein ganz anderes Selbstverständnis. Es geht nicht mehr primär darum, auf einer kommunikativen Einbahnstraße Informationen zu verkaufen, sondern Kommunikation der Zielgruppe zu ermöglichen und auszubauen – und da sind Informationen nur ein Bestandteil. Erste gute Ansätze gibt es vom Handelsblatt, der Zeit und t3n.

Demirdöven: Ich schaue jetzt bewusst nicht auf einzelne Innovationen, sondern einen grunsätzlichen innovativen Trend. Mich begeistert in letzter Zeit, dass frühere Worthülsen wie „Change“, „Agilität“ und „Transformation“ endlich im konkreten Berufsalltag angekommen sind. Immer mehr Multiplikatoren schaffen es, neue Werte wie Wissen zu teilen, vernetzt zu arbeiten, dem Team Vertrauen zu schenken, zu vermitteln – das ist eine tolle Entwicklung.

https://digital-publishing-award.de

Daniel Lenz ist Co-Herausgeber des digital publishing report, des Magazins zur digitalen Transformation der Medienbranche. Mit seiner Firma ecolot ist er als Journalist, Unternehmensentwickler und Berater für Verlage und Mediendienstleister aktiv. Bis Juli 2017 war der gelernte Journalist als Leiter der Produktentwicklung und stellvertretender Chefredakteur beim Branchenmagazin buchreport beschäftigt.

Vedat Demirdöven, aufgewachsen in Köln und Istanbul, Digital-Experte und Photograph, liebt digitalisierte Medien und innovative Nutzungssituationen dank veredelter Daten und optimierter Prozesse. Im Verlag Kiepenheuer & Witsch verantwortet er als Projektleiter das Content Management und durfte seit 2010 erfolgreich dazu beitragen, das Portfolio eBook im Verlag zu etablieren. Demirdöven ist Mitgründer des Deutschen eBook Awards, Beiratsmitglied des digital publishing report und im Autorenteam der Initiative morethandigital.

Der digital publishing award wird erstmals im Frühjahr 2019 auf der Leipziger Buchmesse verliehen. Im Fokus stehen Innovationen im Bereich des digitalen Publizierens: herausragende Produkte, Prozesse oder Geschäftsmodelle, mit denen Verlage, aber auch verlagsähnliche Akteure ihre Inhalte publizieren. Verliehen wird der Award von Daniel Lenz und Steffen Meier, den Herausgebern des digital publishing report, sowie dem Digitalexperten Vedat Demirdöven. In der Jury sitzen hochkarätige Digitalexperten aus unterschiedlichen Branchen.
[Donnerstag, 21. März 2019, 17 Uhr, Halle 5, Fachforum 1, E600]

Offenes Ohr für Indies

Offenes Ohr für Indies

Als die Buchmesse im März 1998 vor die Tore der Stadt zieht, das angestammte City-Biotop gegen die großzügige Architektur auf der Grünen Wiese eintauscht, ist Gritt Philipp noch als neugierige Besucherin dabei. Ein halbes Jahr später steigt sie ins Buchmesse-Team ein. „Mein erster Tag war der erste Oktober 1998“, sagt sie, wie aus der Pistole geschossen. Ziemlich genau 20 Jahre ist das nun her, Philipp ist inzwischen die „dienstälteste“ Projektmanagerin der Buchmesse. Der Termin ist ihr trotzdem noch so präsent, da sie nur sieben Tage später ihren ersten heißen Einsatz hat: die Frankfurter Buchmesse. Am Main trifft die junge Frau erstmals „ihre“ Aussteller. Philipp ist für die Publikumsverlage „plus Religion und Kunstbuch“ verantwortlich, in Leipzig damals hauptsächlich in der Halle 3 zu finden. In Neuwiederitzsch war die Buchmesse, heute kaum zu glauben, in zwei halben Hallen gestartet, die nur drei Meter breiten Gänge sollten die alte Kuschel-Atmosphäre in die neue Zeit transportieren. „Es gab natürlich ein paar Stellschrauben, die für das Jahr Zwei verändert werden mussten“, erinnert sich Philipp. „Das lag damals auf meinem Tisch. Es war schon eine Herausforderung, quasi von Null auf Hundert zu starten. Aber es hatte den Vorteil, dass man schlagartig in allen wichtigen Prozessen drin war.“

Im „Messe-Fieber“

Gritt Philipp hat an der Technischen Universität Dresden Betriebswirtschaftslehre studiert und sich auf die Tourismus-Wirtschaft spezialisiert. Eines der Module ihres Studiengangs widmete sich dem Messe- und Kongresswesen – in seinem Verlauf absolviert sie 1995 ein Praktikum bei der Leipziger Messe GmbH. Vier Monate ist sie in der Kongress-Abteilung. Eine spannende Zeit, es sind die letzten Monate des Neubaus vor den Toren der Stadt. „Ich war mit meiner damaligen Chefin oft auf der Baustelle“, erzählt Philipp. Als Werkstudentin jobbte sie später auch in anderen Abteilungen der Messe. Dennoch beginnt ihr Weg ins Berufsleben bei einem privaten Bildungsträger; für den ersten Job zieht sie von Dresden nach Leipzig. Zwei Jahre arbeitet sie im Veranstaltungs- und Marketingbereich, doch das „Messe-Fieber“ hatte sie wohl damals schon gepackt. 1998 bewirbt sie sich – und kommt zunächst als Elternzeitvertreterin ins Buchmesse-Team.

Feste Adresse fürs Hörbuch

Neben der Ausstellerbetreuung fungiert Gritt Philipp zunächst auch als „Schnittstelle“ des Buchmesse-Teams zum „Leipzig liest“-Büro. Die Programm-Anteile, die die Messe selbst organisiert, entwickeln sich im Publikumsbereich erst über die Jahre. Als Anfang der Nullerjahre in Leipzig der Hörbuch-Schwerpunkt entwickelt wird, ist Philipp dabei. Es beginnt mit MDR, HR und SWR, zwei Ladenbauer und Sony sind als Partner ebenfalls mit im Boot. Obwohl es damals auch Bedenkenträger gibt, sind ab dem zweiten Jahr alle ARD-Anstalten mit im Boot, immer mehr Verlage docken mit einem Hörbuch-Beiboot an. Und heute? „Durch die Digitalisierung konsumieren die Leserinnen und Leser heute auf vielen Kanälen“, meint Philipp, „das gilt es, auf der Messe abzubilden“.

Nähe zu den Indies

Als Verantwortliche für die Messebereiche Belletristik, Sach- und Kunstbuch hat Gritt Philipp programmseitig auch die Belange der unabhängigen Verlage im Blick. „Unser Pfund ist die Nähe zum Leser“, sagt Philipp, „gerade die Indie-Verlage, die seit der Jahrtausendwende immer selbstbewusster agieren, schätzen dieses direkte Feedback sehr“. Seit 2006 gibt es in Leipzig die Leseinsel Junge Verlage, 2012 traten die bücher.macher mit erneuertem Format an, 2015 ging, in Kooperation mit der Kurt-Wolff-Stiftung, das Forum Die Unabhängigen an den Start. Im kommenden Jahr wird auch Neuland 2.0, die Innovationsplattform der Leipziger Buchmesse, in die vierte Runde gehen, ein Format, an dessen Entwicklung Philipp beteiligt war.

Gemeinsam im Projekt-Boot

Fragt man Gritt Philipp, was den Job für sie auch nach 20 Jahren spannend macht, muss sie nicht lange überlegen: „Es ist die Vielfalt und der Abwechslungsreichtum der Aufgabe. Das trägt einen durch den ganzen Projektzyklus – vom ersten Brainstorming bis zu den letzten Detailabstimmungen mit Kollegen im Haus oder Partnern. Wenn dann Aussteller und Besucher nach vier Tagen die Buchmesse zufrieden verlassen, fühlt sich das gut an.“ Und auch der Teamgeist ist wichtig für Gritt Philipp, der Umstand, dass sich jeder auf den anderen fast nahezu blind verlassen kann: „Man sitzt im gemeinsamen Projekt-Boot, jeder hat ein Ruder in der Hand – und alle wollen gemeinsam vorwärtskommen.“

Gritt Philipp studierte nach dem Abitur an der TU Dresden BWL mit der Spezialisierung auf die Tourismus-Wirtschaft. Nach dem Abschluss arbeitete sie für zwei Jahre bei einem Leipziger Bildungsträger; im Oktober 1998 wechselte sie zur Leipziger Buchmesse. Philipp ist Projektmanagerin für die Messebereiche Belletristik und Sachbuch sowie Kunstbuch. Dazu koordiniert sie für die Messe die Veranstaltungen im Forum „Die Unabhängigen“, die Leseinsel der jungen Verlage und kümmert sich um das Thema Buchverkauf auf der Leipziger Messe. Gritt Philipp hat zwei 10 und 15 Jahre alte Töchter und lebt mit ihrer Familie in Leipzig.

Angewandte Wissenschaft

Angewandte Wissenschaft

Daran, dass Kerstin Grüner sich Anfang der Nullerjahre für ein Studium der Germanistik und Kunstgeschichte entschied, war – so sieht sie es heute – wohl ihr Deutschlehrer am Johannes-Nepomuk-Gymnasium im niederbayerischen Rohr Schuld. „Er konnte begeistern“, sagt Grüner, der man die Herkunft aus der Kreisstadt Kelheim, idyllisch am Ausgang des Donaudurchbruchs zwischen Ingolstadt und Regensburg gelegen, nicht anhört. „Da meine Eltern nicht aus Bayern stammen, bin ich praktisch zweisprachig aufgewachsen“, sagt Grüner lachend. Sie lacht gern und viel während unseres Gesprächs im Büro des Leipziger Buchmesse-Teams.

Raus aus dem Elfenbeinturm

Absolvierte Kerstin Grüner den Anfang ihres Magister-Studiums noch in Regensburg, zog es sie schon bald nach Berlin, wo sie sich an der Freien Universität auf Neue Deutsche Literatur spezialisierte. Doch schon bald weckte der ebenfalls an der FU angebotene weiterbildende Studiengang Angewandte Literaturwissenschaft ihr Interesse, der die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gegenwartsliteratur zu gleichen Teilen mit der Praxis von Literaturvermittlung, -förderung und -kritik verbindet. Sooft es ihr möglich war, besuchte Grüner die Veranstaltungen, zu denen häufig Praktiker aus der Branche eingeladen waren. In einem dieser Seminare traf sie auch auf ihren späteren Kollegen Thorsten Dönges vom Literarischen Colloquium Berlin (LCB). „Was Thorsten über die Arbeit des LCB berichtete, klang hochspannend“, sagt Grüner, „ich musste mich dort einfach für ein Praktikum bewerben“. Gesagt, getan: Am LCB war sie in Projekte wie Literaturport, die Übersetzer-Werkstätten oder die internationalen Übersetzer-Treffen involviert, letztere führten sie auch regelmäßig zur Leipziger Buchmesse.

Nach dem Abschluss ihres Studiums stieg Grüner projektbezogen beim LCB ein. Da ihre Stelle jedoch befristet war, wagte sie den Sprung in eine andere Branche – und wechselte in eine High-End-Lautsprecherfirma. 2013 dockte sie als Projektmanagerin am Berliner Standort der Kommunikations-Agentur Dievision an. „Als ich zum Studium nach Berlin kam, dachte ich: Ich schau’ mir das mal ein, zwei Semester an“, wundert sich Grüner. „Am Ende sind daraus 13 Jahre geworden.“ Die letzte berufliche Volte ist Jürgen Jakob Becker zu verdanken; der Geschäftsführer des Deutschen Übersetzerfonds. Becker war es, der Kerstin Grüner auf die Stellenanzeige der Leipziger Buchmesse aufmerksam machte: „Wär’ das nicht was?“

Vielfalt ist Trumpf

Seit April letzten Jahres gehört Kerstin Grüner als Projektmanagerin im internationalen Bereich zum Buchmesse-Team. Wie alle Kolleginnen verantwortet sie neben ihrer übergreifenden Funktion auch spezielle Themengebiete – in ihrem Fall die Messe-Segmente Buchkunst und Grafik und Musik. Gerade einmal ein Messejahrgang liegt hinter, ein neuer vor ihr. Wie fühlt sich das an? „Ich habe das große Glück, Themen zu verantworten, die mich wirklich interessieren. Ich lerne beinahe täglich hoch interessante Menschen kennen. Ich weiß, dass ich einen ziemlich kommunikationsintensiven Job habe, das kann auch mal anstrengend sein. Aber ich mache ihn unglaublich gern.“ Vielfalt ist Trumpf in Grüners Arbeitsalltag, die Messe ist in den letzten Jahren messbar internationaler geworden. Stets gilt es, neue Aussteller für Leipzig zu interessieren – die Niederländer oder Armenien waren es heuer – und dabei die alten bei Laune zu halten. Dazu kommt die Betreuung der Gastlandauftritte und die Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern der Messe – vom Auswärtigen Amt über die Robert-Bosch-Stiftung bis zum Netzwerk Traduki. Nicht zu vergessen: Ausgewählte Projekte mit dem Auswärtigen Amt, die gemeinsam mit den ehemaligen Kollegen vom LCB gestemmt werden. Und Leipzig, die ziemlich rasant wachsende Messe-Metropole? Kerstin Grüner, die in den ersten Monaten noch in einer WG wohnte, hat ihre Koffer nun ausgepackt, von ihrer Wohnung im Zentrum Süd blickt sie auf den 88 Meter hohen Turm der Peterskirche. Sie ist angekommen, in der Stadt, auf der Messe. Es gibt, sagt sie, hier wie da „noch einiges zu entdecken“.

Kerstin Grüner, Jahrgang 1981, ist im niederbayerischen Kelheim aufgewachsen. Nach dem Abitur studierte sie in Regensburg und an der FU Berlin, wo sie 2010 als M.A. in den Fächern Neue Deutsche Literatur und Kunstgeschichte abschloss. Nach projektbezogenen Tätigkeiten für das LCB und den Deutschen Übersetzerfonds arbeitete Grüner für die Lautsprecherfirma Voxativ (2011-2012) und die Kommunikationsagentur Dievision (2013-2016). Seit 2017 ist sie als Projektmanagerin Internationaler Bereich, Musik, Buchkunst & Grafik im Buchmesse-Team tätig.