Faszination Cosplay: Ein Blick hinter die Maske

Faszination Cosplay: Ein Blick hinter die Maske

Cosplay ist wohl eines der kreativsten – allerdings nicht eben günstigsten Hobbys. Das weiß auch die Gründerin Nathalie Quillmann des Shops myCostumes, der 2018 zu Gast auf der Manga-Comic-Con ist. Unter dem Nicknamen Makkuro hat sie ihre Cosplay-Leidenschaft zum Beruf gemacht. Um Cosplayer zu fördern, bietet der Shop neben seinem breiten Produktsortiment auch eine besondere Patenschaft für Cosplayer an.

Der japanische Verkleidungstrend Cosplay kam in den 1990er Jahren durch den Manga- und Animeboom auch nach Europa und fasziniert bis heute Jung, Alt, Cosplayer, Japanfans und Schaulustige. Das Wort Cosplay setzt sich zusammen aus costume und play, denn Cosplay ist viel mehr als bloßes Kostümieren. Ein Cosplayer stellt seine Figur immer auch schauspielerisch dar. Cosplayer sieht man auf Events und Conventions. Und nicht wenige Menschen wollen ein Foto mit den farbenfrohen Fantasiegestalten aus Anime, Manga oder Computerspiel. Vielleicht auch, weil man die kreative Arbeit und Begeisterung sieht, die hinter den detailgetreu gefertigten Kostümen und der schauspielerischen Leistung steckt. Der Traum aus dem liebgewonnenen Hobby einen Beruf zu machen, ist vielen Cosplayern nicht fremd. Zumal man einiges an Zeit, Geduld und Arbeit in die kunstvollen Cosplays investieren muss.

Dank myCostumes-Patenschaft zum Traum-Cosplay

Einen großen Schritt in Richtung Professionalität bietet die myCostumes-Patenschaft. Sie zielt darauf ab, das Potential talentierter Cosplayer weiter zu fördern. Hier bekommen ausgewählte Cosplayer aus Deutschland und Österreich die außergewöhnliche Möglichkeit, ein Jahr lang kostenfrei Produkte aus dem Sortiment von myCostumes zu erhalten.

Doch es geht nicht nur um die breite Auswahl von Produkten zur Anfertigung des ganz persönlichen Traum-Cosplays. Der Shop bietet seinen Patenkindern auch aktive Unterstützung durch das Expertenwissen des myCostumes-Teams und seiner Partner: kurz gesagt ein komplettes Rundumpaket für Cosplay-Begeisterte. Fragen zum Styling der Perücken, Nähen, Basteln einer Rüstung oder zur Verwendung von Farben – myCostumes steht seinem Patenkind stets mit Rat und Tat zur Seite.

Monono Cosplay, alias Sabrina Eickhoff, war 2016 Teil des myCostumes-Patenschaft-Projektes. Nach ihrer Bewerbung per E-Mail mit Lebenslauf, den eigenen Arbeiten und Plänen für künftige Cosplays zählte sie zu den glücklichen zehn Cosplayern, die myCostumes bei der Umsetzung ihrer verschiedenen Cosplay-Projekte ein Jahr lang begleitet hat. Und ein Blick in ihr farbenfrohes Portfolio reicht tatsächlich aus, um in eine völlig andere Welt abzutauchen und sich darüber zu wundern, wie außerordentlich wandelbar man durch ein bisschen Farbe, Werkstoffe und Perücken sein kann.

Durch die myCostumes-Patenschaft wurde es für Monono Cosplay möglich, den Menschen das Thema Cosplay durch ihre zwei erstklassig umgesetzten Projekte um einiges näher bringen zu können: „Durch die Patenschaft habe ich sehr viele neue Menschen kennengelernt. Ich konnte zwei Cosplays Tyrande Whisperwind aus dem Computerspiel World of Warcraft sowie Aela the Huntress aus dem Game Skyrim umsetzen. Die Unterstützung von myCostumes ist eine tolle Möglichkeit für Cosplayer und gibt einem die Gelegenheit, viele Produkte zu testen. Das war für mich eine große Bereicherung.“ Auch für das myCostumes-Team ist Monono Cosplay bis heute eine großartige Unterstützung, wenn sie gemeinsam auf Conventions touren.

Stolze Kriegerin nach Feierabend

Monono Cosplay kam über Conventions zu ihrem besonderen Hobby. Heute gibt sie sogar Workshops zum Thema. Ihr erstes Cosplay setzte sie bereits 2015 um: Prinzessin Mononoke aus dem bekannten japanischen Anime von Hayao Miyazaki. Ihre Leidenschaft für das Cosplayen begann mit der Bewunderung für die faszinierenden Cosplays der Community. „Seitdem hat mich das Hobby ungemein gefesselt. Es bedeutet mir viel, Cosplayerin zu sein, da mir so die Möglichkeit gegeben ist, meine Kreativität wirklich auszuleben. Ich teile gerne mein Wissen und liebe es, Workshops auf Conventions zu geben. Mein großer Traum ist es, Cosplay zum Beruf zu machen.“

Am liebsten arbeitet Monono Cosplay mit Thermoplasten und Make-up: „Ich liebe es, Charaktere aus dem Gaming-Bereich umzusetzen. Außerdem bin ich oft auf Pinterest unterwegs und probiere mich im Bereich Make-up aus.“ Ob Entwicklung und Umsetzung von Kostümen, das Arbeiten auf Conventions, Veranstalten von Workshops, zahlreiche Fotoshootings oder die Vlogs und Tutorials für ihren Youtube-Kanal – für Monono Cosplay steht besonders der Spaß am Cosplayen im Vordergrund und ist gleichzeitig der Motor ihrer Vielseitigkeit.

Leistungsdruck, Sicherheitsnadeln und Make-up

Durch die Patenschaft mit myCostumes hat sich für die Cosplayerin viel getan. „Gerade bessere Farben haben einen tollen Unterschied gebracht. Durch die vielen Produkte, die ich testen konnte, habe ich sowohl meine Schneiderfähigkeiten als auch meine Crafting und Painting Skills weiter ausbauen können. Außerdem ist es toll, sich mit den anderen Patenkindern auszutauschen und Tipps oder Tricks zu teilen“, erzählt sie. Und auch Monono hat an dieser Stelle einen wichtigen Rat für den Cosplay-Nachwuchs: „Alles ist gut, solange es einem Freude macht. Gerade wir Cosplayer setzen uns oft großem Leistungsdruck aus und vergessen den Spaß dabei. Fangt mit euren Projekten früh genug an und setzt euch nicht zu enge Deadlines, das macht einiges aus.“

Und dieser Hinweis kommt von einer Cosplayerin, die tatsächlich ziemlich viel vorhat: Zur Zeit arbeitet sie an einer Clicker-Figur aus dem Spiel The Last of Us. Danach sind ein neuer Faun und ein Witcher-Cosplay geplant. „Außerdem werden Sarah Kerrigan aus Star Craft und ein weiteres Elder Scrolls-Outfit meine Projekte für das nächste Jahr sein“, berichtet sie.

Im März 2018 ist Monono mit dem Team von myCostumes live auf der 5. Manga-Comic-Con vor Ort und wir wissen bereits, was die erfahrene Cosplayerin in ihrer Tasche dabei haben wird: „Sicherheitsnadeln, Sekundenkleber und Make-up – denn ohne das richtige Material geht es nicht“, verrät sie lächelnd.

Fotos: Zeno Gaich & Lycilia Art

Hinter den Kulissen

Hinter den Kulissen

Wer hat an der Uhr gedreht? Im letzten September feierte Gesine Neuhof ihr Zehnjähriges bei der Leipziger Buchmesse. Gut, damit hat sie ein paar Jährchen weniger auf dem Buckel als ihr Chef Oliver Zille, der es auf stolze 40 bringt. Doch in unseren dynamischen Hochbeschleunigungs-Zeiten ist das immer noch eine halbe Ewigkeit. Eine Langstrecke, die Marathon-Qualitäten fordert. Über die verfügt Gesine Neuhof zweifellos, doch dazu später. Als sie im September 2007 für die in Mutterschutz gehende Pressereferentin der Buchmesse, zunächst befristet für ein Jahr, eingestellt wird, lässt sie dafür ihren ersten festen Job in der Buchbranche sausen. Leichtsinn? Bis dahin auf jeden Fall: Reichlich unvorstellbar.

Begeisterung fürs „Ökosystem Buch“

Die Leipzigerin Gesine Neuhof studiert in ihrer Heimatstadt. Kommunikations- und Medienwissenschaft mit Schwerpunkt Buchwissenschaft/Buchwirtschaft, von 1999 bis 2005. „Dass ich mich schon während des Grundstudiums zunehmend für das Ökosystem Buch begeisterte“, erinnert sich Neuhof, „lag nicht zuletzt an Dietrich Kerlen, der leider – für alle völlig überraschend – im Sommer 2004 starb. Ein toller Professor.“ Ihre Magisterarbeit schreibt Gesine Neuhof über „Mein Kampf“, den „ungelesenen Bestseller“ Adolf Hitlers. Damals wurde noch darüber gestritten, ob man eine Wiederveröffentlichung von Hitlers rassistischer Suada nicht verbieten sollte. Dass Neuhof nach dem Studium zunächst aus Leipzig fortgeht, ist alles andere als ungewöhnlich: Zwar habe die einstige „Buchstadt“ einen hervorragenden Ruf als Ausbildungsstadt rund ums Buch, findet Neuhof – doch ganz real ist „das Arbeitsangebot in der Branche recht bescheiden.“ Ein klassisches Volontariat also, bei Gräfe + Unzer in München. Nach dem ersten Jahr wird sie übernommen. Sie fühlt sich wohl an der Isar. Doch aus den Augenwinkeln schaut sie auch zurück nach Leipzig; ihre Initiativbewerbung liegt noch bei der Buchmesse. „Heimat ist Heimat.“ Und dann klingelt das Telefon…

Herzschlag-Momente

März 2008, Gesine Neuhofs erste Buchmesse als Pressesprecherin. Kroatien ist Schwerpunktland, Lokalmatador Clemens Meyer gewinnt den Preis der Leipziger Buchmesse und stemmt unter der Glashallenkuppel die Bierflasche hoch. Im Neuen Rathaus geht die erste LitPop über die Bühne. Und ja, Bundespräsident Horst Köhler ist auch da. Lampenfieber? „Die Moderation der Eröffnungs-Pressekonferenz, das war schon ein besonderer Moment.“ Nach ziemlich genau einem Jahr wechselt Gesine Neuhof dann – wieder im Rahmen einer Elternzeitvertretung – ins Buchmesse-Team. Ein neuer Stellenzuschnitt, neue Routinen. Zunächst ist sie fürs Hörbuch, Belletristik und Sachbuch, das Programm der Independents verantwortlich. Neuhof ist überrascht über den hohen „Selbstverwirklichungs-Grad“ der Arbeit als Team-Playerin: „Man kann sich stärker einbringen, Themen nicht nur kommunizieren, sondern selbst mitformen“. Dass es dabei nicht schadet, die Kommunikations-Seite zu kennen, zu wissen, wie Journalisten ticken, versteht sich von selbst. Zu Neuhofs rasch wachsendem Aufgabenkreis gehört denn auch bald auch die Betreuung der Medienkooperationen der Buchmesse.

Der nächste Schritt

Nach fünf Jahren im Team übernimmt Gesine Neuhof im Herbst 2012 die Gesamtkoordination von „Leipzig liest“. Ein folgerichtiger Schritt; mit dem absehbaren Ausscheiden der langjährigen Lesefestorganisatorin Jutta Schaarschmidt stellte sich die Buchmesse hier neu auf. Wie hat man sich Neuhofs Arbeit vorzustellen? „Im Grunde“, erklärt sie, „betreut jeder im Team neben seinen Aussteller-Bereichen auch Programm-Anteile des Lesefests. Mein Job ist es eigentlich, das alles in einen Rahmen, eine Form zu bringen – von den zahlreichen Veröffentlichungen bis zur Programmdatenbank. Daneben kümmere ich mich auch um unsere eigenen Veranstaltungen, etwa den großen ‚Leipzig liest’-Abend, den es seit drei Jahren gibt.“ Dazu geht es, natürlich, auch ums große Ganze, um die strategische Grundausrichtung: Wo steht Leipzig im wachsenden Kreis der Festivals zwischen Berlin, Köln, Hamburg und der Provinz? Wo will man hin? Ohne „Leipzig liest“, so ist Neuhof überzeugt, „wäre die Buchmesse nicht das, was sie heute ist“. Die Buchmesse und ihr Festival profitieren nicht zuletzt von einer boomenden Selfpublishing-Szene, einem gewandelten Autoren-Selbstverständnis. „Allerdings stellt uns beides auch vor extreme Herausforderungen, was die Dimensionen des Festivals betrifft.“

Needles & Pins

Nicht nur die Anforderungen an die Projektmanagerin unterliegen stetem Wandel; auch das Unternehmen Messe selbst wandelt sich, geht mit der Zeit. Heute kann Gesine Neuhof zehn Stunden ihrer Wochenarbeitszeit im Home-Office absolvieren – das bedeutet mehr Freiraum für die Familie, den inzwischen dreijährigen Sohn. Dennoch ist der Job fordernd, Kräfte zehrend. Kreativen Ausgleich findet Neuhof an der Nähmaschine. „Diese Leidenschaft hat, ganz klassisch, während der Schwangerschaft angefangen“, lacht sie. „Etwas Tolles mit den Händen zu schaffen bedeutet immer wieder ein Erfolgserlebnis – und die vollkommene mentale Entspannung. Inzwischen bin ich auf dem Feld ziemlich ehrgeizig geworden.“ Was Gesine Neuhof anpackt, will sie gut machen – daran hat sich seit den Studienjahren und dem Zwischenspiel in München nichts geändert. Dienst nach Vorschrift? Ist nicht ihr Ding. Zehn Jahre Leipziger Buchmesse sind beinahe wie im Flug vergangen. „Jedes Jahr ist anders. Und so ist auch das elfte eine Herausforderung.“

Gesine Neuhof, geborene Leipzigerin, studierte nach dem Abitur an der Universität Leipzig Kommunikations- und Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Buchwissenschaft/Buchwirtschaft. Nach einer Station im Marketing von Gräfe + Unze (München) wechselte sie 2007 zur Leipziger Buchmesse, wo sie zunächst als Pressereferentin, später als Projektmanagerin tätig war. Seit Oktober 2012 ist sie für die Gesamtkoordination von „Leipzig liest“ verantwortlich.

Geheimnis und Wunder

Geheimnis und Wunder

Herr Botschafter, Sie haben mehrfach das Bachfest in Leipzig besucht – offensichtlich ist Ihnen der Leipziger Thomaskantor wichtig…

Emil Hurezeanu: Anfang des 20. Jahrhunderts reiste unser berühmtester Dramatiker, Ion Luca Caragiale, jedes Wochenende aus seinem Berliner Exil ins Gewandhaus – nur wegen der Beethoven-Sinfonien, die von Nikisch im Blüthner-Saal dirigiert wurden. Ich befinde mich also in guter Gesellschaft (lacht). Und, ja: Es waren berührende Erfahrungen, die Thomaner, diese ewigen Kinder, singen zu hören, gerade an Bachs Wirkungsstätte, der Thomaskirche. Während des Konzerts ist mir die Stellung der Kirchenbänke aufgefallen: Die Zuhörer, egal ob Einheimische oder Fremde, Prominente oder ganz normale Leute, sitzen einander gegenüber – und sind so gezwungen, sich in die Augen zu schauen. Ich hatte das Gefühl, wir alle warten auf das Jüngste Gericht und sind dabei von einer Bach’schen Fuge gefesselt.

Welche Rolle spielt die deutsche Kultur darüber hinaus in Ihrem Leben?

Hureazeanu: Ich bin ihr sehr verbunden, sie ist ein Teil meiner Existenz. Ich bin in Siebenbürgen geboren, wo ich auch viele Jahre gelebt habe, in Klausenburg und Hermannstadt – Städte, die von den Deutschen, die vor 850 Jahren nach Siebenbürgen kamen, aufgebaut und geprägt worden sind. Wir nennen unsere Deutschen „Saxones“, auch wenn sie aus Luxembourg oder dem Moseltal stammen. Man kann bei Patrick Leigh Fermor, aber auch bei Goethe oder den Brüdern Grimm die alte Sage nachlesen, die uns glauben lässt, die Kinder aus dem niedersächsischen Hameln seien unter die Erde geführt worden und in Siebenbürgen wieder ans Licht gekommen, als deutsche Kolonisten aus dem 11. Jahrhundert. „Sè non è vero, è ben trovato …“

Leipzig gilt als Handelsmetropole, aber auch als Zentrum von Kunst und Kultur, eine Stadt, in der jahrhundertelang Merkur und die Musen regierten…

Hurezeanu: Auf meiner inneren Landkarte ist Leipzig fest verortet, das reicht bis in die Kindheit. Meine Eltern haben mir von einer DDR-Reise eine Ansichtskarte mit dem Leipziger Hauptbahnhof geschickt. Später habe ich erfahren, dass Leipzig über den größten Kopfbahnhof Europas verfügt, errichtet mitten in der ersten Globalisierungsphase Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Damals war der der Bahnhof ein Hub der Zivilisation, so wie der Flughafen Heathrow heute, vor dem Brexit.

Interessant, dass es in Berlin und Bukarest eine Achse, eine vitale Ader dieser Hauptstädte gibt, die den Namen Leipziger Straße trägt. In Bukarest heißt sie „Lipscani“. Es waren Kaufleute aus Deutschland, die im Mittelalter, unterwegs zwischen Leipzig und dem Orient, in Bukarest abstiegen. Die Lipscani-Straße war jahrhundertelang ein Synonym für Handel und Wandel im Viertel des alten Hofes der Walachei-Prinzen. Heute ist sie Treffpunkt der Touristen aus aller Welt – auf Ihrer Suche nach der Bukarester Seele. Auch auf Vorschlag von Oberbürgermeister Jung werden wir 2018 in Leipzig ein großes Handelstreffen mit kulturellem Rahmen organisieren; ich würde mir wünschen, dass es „Leipzig-Lipscani“ heißt. Sie sehen: Unsere Handelsbeziehungen gehen durch einen gemeinsamen historischen und kulturellen Filter.

„Wir haben eine sehr lebendige Literaturszene“

Sie sind als Diplomat auch ‚homme de lettres’, haben als Redakteur einer Literaturzeitschrift gearbeitet, Gedichte veröffentlicht – all das unter den Bedingungen der kommunistischen Herrschaft, mit Zensur und Beschneidung der freien Meinungsäußerung. Wie geht es dem literarischen Betrieb Rumäniens – Autoren, Verlegern, Buchhändlern – heute, unter demokratischen Rahmenbedingungen?

Hurezeanu: Wir haben eine blühende und sehr lebendige Literaturszene, mit Autoren, Verlagen und Literaturzeitschriften hoher Qualität. Die Schwierigkeiten erwachsen nicht aus der Kreativität des Literatur- und Kulturlebens, sondern, wie immer, aus ökonomischen und bürokratischen Hemmnissen. Die langfristige Planung eines Events mag nicht unbedingt unsere Stärke sein, aber am Ende gelingt es uns (lacht). Unsere Demokratie, auch wenn sie manchmal fragil ist, entwickelt auch ihre Antikörper. Der öffentliche Protest ist uns vertraut und manchmal sehr erfinderisch in seinen Ausdrucksmitteln, sowie auch die literarische Kühnheit. Man konnte das während der großen friedlichen Proteste sehen, die im Winter in Bukarest und anderen Großstädten hunderttausende junge Leute auf die Straße trieben – für Europa!

Die Schwierigkeiten der Schriftsteller und Kulturschaffenden, die sich mit zügellosen Wettbewerb den Risiken der Globalisierung konfrontiert sehen, haben auch mit der Fragilität unseres gemeinsamen „Haus Europa“ vor dem Hintergrund des antieuropäischen Populismus zu tun. Ein gemeinsames Europa bedeutet Meinungsfreiheit in einem Rechtsstaat – also eine Arena, die auch für die Kulturschaffenden angemessen ist! Der Populismus fördert letztlich Intoleranz, institutionelle Manipulation, Trivialisierung verbreitet – die ewigen Feinde der Kreativität.

20 Jahre nach dem ersten größeren Auftritt zur Leipziger Buchmesse wird sich Rumänien als Schwerpunktland der Leipziger Buchmesse präsentieren – in einer innenpolitisch wie wirtschaftlich durchaus angespannten, schwierigen Phase. Mit welcher Projektion wird das „Literaturland“ Rumänien hier antreten, welche Botschaft soll beim deutschen Lesepublikum ankommen?

Hurezenau: Unsere Autoren sind in einer langen europäischen Kultur- und Literatur-Tradition verwurzelt, mit sukzessiven französischen und deutschen „Komplexen“ in der institutionellen Geschichte der Modernität – so hat es unser großer Ästhetiker, Tudor Vianu (1898-1964) einmal formuliert, der übrigens in Tübingen promovierte. Die rumänischen Autoren der jüngeren Generation sind europäische, ja eigentlich globale Autoren, die auf Rumänisch schreiben. Die Postmoderne kam sehr früh bei uns an, denken Sie an den Surrealismus oder das absurde Theater Ionescos. Wir sind ein Land der geographischen, geopolitischen, religiösen, kulturellen Kreuzungen – manchmal auch paradox, „ein Geheimnis und ein Wunder“, wie ein wichtiger Autor zwischen den zwei Weltkriegen es nannte. Aber sind Geheimnis und Wunder nicht auch Essenz allen künstlerischen Ausdrucks?

„Teil der Lösung, nicht des Problems“

Sie sind mit Autoren wie Hertha Müller oder Ernest Wichner befreundet – welche Rolle spielen die Rumäniendeutschen in der kulturellen Vermittlungsarbeit zwischen den beiden Ländern?

Hurezeanu: Meine Vertrautheit mit deutschen Schriftstellern aus mehreren Generationen hat mir zuallererst die Augen für die Rolle der Gegenkulturen im Kommunismus geöffnet. Wir, die „Dichter der 80er Generation“, haben vom ästhetischen und zivilgesellschaftlichen Mut unserer „Brüder“ aus der Aktionsgruppe Banat sehr profitiert. Als Herta Müller, Richard Wagner, William Totok oder Helmuth Frauendorfer Ende der 1980er Jahre in die Bundesrepublik kamen, habe ich sie sofort für Radio Free Europe interviewt. Bis heute sind sie für mich ein Beispiel für Zivilcourage. Damals stand durchaus viel auf dem Spiel, wir alle wurden von der Securitate bedroht. So gesehen, sind die deutschen Schriftsteller und Historiker aus Rumänien nicht nur eine Brücke zwischen den zwei Ländern, wie man es oft hört – sondern der intellektuelle Pfeiler, der die Tragfähigkeit dieser Brücke garantiert.

Welche Rolle kann Rumänien in einem Europa spielen, das sich, wie Sie selbst formulierten, gerade in „einem Prozess der Neudefinition“ befindet?

Hurezeanu: Rumänien ist ein Land, das von Zentraleuropa im Nordwesten bis zum Schwarzen Meer im Südosten reicht, dem Tor zum Orient. Unsere Erfahrungen haben uns gelehrt, im Sinn des nationalstaatlichen Überlebens auf Ausgleich und Versöhnung zu setzen, und dabei ausdauern und geduldig zu sein. Die Gesellschaft trägt noch immer schwer an der Hypothek der kommunistischen Herrschaft – was das Streben nach Werten wie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht eben einfacher macht. Dennoch könnte unsere historisch gewachsene Mittlerrolle für das auseinanderdriftende Europa wertvoll sein. Wir stehen zum europäischen Projekt! Wir sind ein Land mit 20 Millionen Einwohnern, nach Polen das zweitgrößte im Osten der EU, mit einer hellwachen jungen Generation, die durch ihre Ressourcen und Anpassungsfähigkeit beeindruckt. 1918 ist für uns nicht nur wegen des Leipziger Gastland-Auftritts ein besonderes Jahr: Wir feiern die 100. Wiederkehr der Gründung des modernen rumänischen Staates. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2019 wird Rumänien dann die Präsidentschaft der EU innehaben. Wir sind ein Teil der Lösung, nicht des Problems.

Emil Hurezeanu, geboren am 26. August 1955 in Sibiu, studierte von 1975 bis 1979 Rechtswissenschaften an der Universität Cluj; zeitgleich begann er, in der Redaktion des Magazins „Echinox“ zu arbeiten, wo er Gedichte und literarische Kritiken veröffentlichte. Für seine Gedichtesammlung „Lecția de anatomie“ („Die Anatomielektion“) erhielt er 1979 den Preis des Schriftstellerverbands für das beste Debüt. Mit einem von Ana Blandiana vergebenen Auslandsstipendium konnte Hurezeanu 1982 nach Wien ausreisen; 1983 erhielt er politisches Asyl in der Bundesrepublik. 1991 erwarb er den Masterabschluss für Internationale Beziehungen an der Universität Boston. Seit 1983 machte er sich als kritischer Journalist bei Radio Free Europe (München) und der Deutschen Welle (Köln) einen Namen. 2002 kehrte Hurezeanu nach Rumänien zurück, wo er als einer der profiliertesten TV- und Rundfunkjournalisten für ein demokratisches und modernes Rumänien wirkte. Im Mai 2015 wurde Emil Hurezeanu von Präsident Klaus Johannis zum rumänischen Botschafter in Berlin ernannt.

Fotos: Bernhard Schurian

Rumänien erlesen

Rumänien erlesen

Herr Wichner, Sie leiten das Literaturhaus Berlin, sind Autor, Herausgeber und Übersetzer – wie geht das alles zusammen?

Ernest Wichner: Ich kann nichts Anderes als Literatur (lacht). Und das mache ich auf verschiedene Weise, in verschiedenen Medien. Als junger Mensch begann ich zu schreiben, wie das viele machen. Bald musste ich feststellen, dass man vom Gedichteschreiben nicht leben kann – ich brauchte also einen Job. Und so landete ich im Literaturhaus. Damals schrieb ich auch noch Literaturkritiken. Als ich 2003 Leiter des Literaturhauses wurde, hörte ich damit auf – und habe mich stärker aufs Übersetzen verlegt. Inzwischen ist es so, dass ich übersetzen muss, um meinen Beruf als Literaturhausleiter ausüben zu können: Ich brauche eine literarische Praxis, über die man uneitel sprechen kann.

Eine Art Sauerstoffdusche?

Wichner: Genau! Ich werde unglücklich, wenn ich mich nicht am Wochenende hinsetzen und selbst etwas produzieren kann. So ist es mir möglich, auf Augenhöhe mit Autoren zu reden. Ich werde von ihnen akzeptiert und bin nicht nur Funktionsträger.

Zum Frühjahr 2018, wenn Rumänien Schwerpunktland der Leipziger Buchmesse sein wird, haben Sie sich ein besonders üppiges Übersetzer-Pensum aufgeladen: Zwei Gedichtbände, ein Roman, ein Erzählungsband, dazu die Mitarbeit an zwei Anthologien. Wie, um alles in der Welt, schaffen Sie das?

Wichner: Den Band mit Gedichten von Iulian Tănase (Abgrunde), der jetzt in Ulf Stolterfohts wunderbarer Brueterich Press erscheinen wird, hatte ich schon zu achtzig Prozent fertig. Das gleiche gilt für den Gedichtband von Daniel Banulescu (Republik Daniel Banulescu). Da konnte ich mich auf zwei bereits erschienene Bücher im Ludwigsburger Pop Verlag stützen. Richtig Arbeit hat natürlich der der Roman von Cǎtǎlin Mihuleac (Oxenberg & Bernstein) gemacht. Er wird, wie die Erzählungen von Varunjan Vosganian, bei Zsolnay erscheinen. Und, ja: Die Übersetzung der Kurzgeschichten für den Horen-Band beginnt gerade…

Oh, das wird aber knapp…

Wichner: Ich muss gesund bleiben, dann klappt das.

Die Frage ist unfair, aber: Welches der von Ihnen übersetzten Bücher, die im Frühjahr erscheinen, liegt Ihnen besonders am Herzen?

Wichner: Das ist schon der Roman, „Oxenberg & Bernstein“ von Cǎtǎlin Mihuleac – nicht zuletzt wegen seines hochpolitischen Themas. Er setzt sich literarisch mit einem dunklen Tag in der Geschichte Rumäniens auseinander – dem 29. Juni 1941, als die Juden im ostrumänischen Iasi, einer bis dato kosmopolitischen und multiethnischen Stadt, zu Tausenden ermordet werden. Die Historiker haben das Pogrom inzwischen aufgearbeitet, in der breiten Bevölkerung wird es noch immer geleugnet. Ich hatte Zsolnay das Buch zunächst nicht empfohlen…

Warum?

Wichner: Ich hatte Skrupel, weil ich dachte: So salopp kann man mit dem Stoff nicht umgehen. Ein Jahr darauf habe ich mir das Buch noch einmal angeschaut und dem Verleger gesagt: Ich glaube, der Autor hat keine falsche Entscheidung getroffen. Er hat den Ton gewählt, um ein möglichst großes Publikum zu erreichen – statt durch falsch verstandene Literarizität Hürden aufzubauen.

Wie ist das Buch in Rumänien aufgenommen worden?

Wichner: Es wurde kontrovers diskutiert, der Autor ist auch angefeindet worden. Leider gibt es heute in Rumänien jenseits des Boulevards so gut wie keine seriöse Presse.

Sie kennen den rumänischen Literaturbetrieb noch aus der Zeit der kommunistischen Herrschaft, inklusive Zensur und Beschneidung der freien Meinungsäußerung. Wie geht es dem Betrieb heute, unter demokratischen Rahmenbedingungen?

Wichner: Es gibt heute vor allem zwei wichtige größere Verlage: Da ist zum einen Humanitas, vielleicht so etwas wie ein rumänischer Suhrkamp Verlag. Der macht Belletristik, Zeitgeschichte, Philosophie, Kulturgeschichte, ein breites Spektrum. Dort gibt es das Gesamtwerk von Emil Cioran ebenso wie Heidegger, Hertha Müller oder die Bücher von Mircea Cărtărescu. Dann gibt es Polirom, der vormalige rumänische Staatsverlag, fokussiert auf die zeitgenössische rumänische Literatur; da ist etwa „Oxenberg & Bernstein“ im Original erschienen. Dazu gibt es eine Handvoll deutlich kleinerer unabhängiger Verlage. Das Hauptproblem ist jedoch der Buchhandel. Der staatliche Buchhandel, den es in jeder Kleinstadt gab, ist nach 1989 zerbrochen, er war faktisch nicht zu privatisieren. Es gibt heute zwei große Ketten – die eine gehört Humanitas, die andere ist Cărtureşti. Das ist eine Art Kulturkaufhaus, meist untergebracht in historischen, wunderbar sanierten City-Lagen. In der Stada Lipscani, der Leipziger Straße in Bukarest etwa öffnete 2015 so ein Kultur-Tempel, Cărtureşti Carusel. Ein alter Adelspalast, sechs Stockwerke, mit Büchern, CDs, Filmen und anderen schönen Dingen. Allerdings kenne ich kaum inhabergeführte Buchhandlungen in Rumänien. Kleinere Verlage haben es wegen dieser schwierigen Vertriebs-Infrastruktur nicht leicht. Sie sind ohne staatliche Förderung eigentlich nicht überlebensfähig.

Dann dürften auch Autorinnen und Autoren dicke Bretter bohren?

Wichner: 80 Prozent von ihnen können nicht von ihrer schriftstellerischen Tätigkeit leben.

Sie haben, gerade durch die Arbeit für die Ausgabe der „Horen“ mit zeitgenössischen Erzählungen, auch mit neuen Stimmen innerhalb der rumänischen Literatur zu tun bekommen. Wodurch zeichnen sie sich aus?

Wichner: Man kann das natürlich nicht generalisieren. Was auffällt: Die Texte sind kruder, ruppiger, schroffer – wilder als vieles, was ihre Altersgenossen hierzulande schreiben. Da hat man oft das Gefühl, die Prosa ist runtergedimmt. In Rumänien ist die Verletzung durch die Zeitgeschichte in den Personen, in den Familien noch manifester; das spielt nach wie vor eine große Rolle.

Was erhoffen Sie sich vom Schwerpunktland-Auftritt Rumäniens im März 2018?

Wichner: Ich erwarte, dass tatsächlich eine größere Aufmerksamkeit für die rumänische Literatur geschaffen und damit auch das Terrain für die Zukunft bereitet wird. Das zu hoffen, ist nicht verwegen – ich weiß sogar, dass es so kommen wird (lacht)! Da ist einiges in der Pipeline – auch für die Zeit nach dem Frühjahr 2018: In der „Anderen Bibliothek“ wird es einen Roman von Gabriela Adameşteanu geben; ich selbst übersetze einen Tausendseiter von Mircea Cărtărescu, der 2019 bei Zsolnay erscheinen soll. Das alles sind keine Einzelfälle. Die rumänische Literatur gibt das her! Die Geschichte geht weiter.

Ernest Wichner, geboren 1952 in Guttenbrunn, Banat/ Rumänien, studierte Germanistik und Rumänistik an der Universität in Timișoara. Er war Gründungsmitglied des dortigen Schriftstellerkreises Aktionsgruppe Banat. 1975 siedelte er nach Deutschland über, wo er Germanistik und Politikwissenschaft an der FU Berlin studierte. Seit 1988 ist er im Literaturhaus Berlin tätig, seit 2003 als dessen Leiter. Ernest Wichner ist Autor von Gedichtbänden und Erzählungen. Zudem hat er sich als Übersetzer einen Namen gemacht: Wichner hat die Werke zahlreicher Autorinnen und Autoren aus dem Rumänischen ins Deutsche übertragen, darunter das gesamte Prosawerk von Max Blecher sowie Bücher von Francesca Banciu, Mircea Cărtărescu, Nora Iuga, Norman Manea und Varujan Vosganian. Als Herausgeber ist Wichner unter anderem für die Werkausgabe Oskar Pastiors verantwortlich. Ernest Wichner gilt als exzellenter Kenner der zeitgenössischen rumänischen Literatur und ist für den Gastlandauftritt Rumäniens in Leipzig 2018 als Fachberater tätig.

Neuerscheinungen rumänischer Autoren zur Leipziger Buchmesse 2018, übersetzt von Ernest Wichner:

– Daniel Banulescu, Republik Daniel Banulescus, Gedichte, Pop Verlag, Übersetzung von Ernest Wichner
– Cătălin Mihuleac, Oxenberg & Bernstein, Roman, Zsolnay Verlag, Übersetzung von Ernest Wichner
– Iulian Tǎnase, Abgrunde, Gedichte, Brueterich Press, Übersetzung von Ernest Wichner
– Varujan Vosganian, Als die Welt ganz war, Erzählungen, Zsolnay Verlag, Übersetzung von Ernest Wichner
– Die Entführung aus dem Serail. Rumänische Erzählungen aus dem letzten Jahrzehnt. die horen 269, Wallstein Verlag, Hrsg.v. Georg Aescht, Bogdan Alexandru Stǎnescu und Ernest Wichner
– Schwerpunktheft zur zeitgenössischen rumänischen Lyrik. Sprache im Technischen Zeitalter, Literarisches Colloquium Berlin, Übersetzung von Alexandru Bulucz, Georg Aescht und Ernest Wichner, Hrsg.v. Radu Vancu

Fotos: Nils Kahlefendt, Christian Kerber/laif, Zsolnay Verlag

Cool Japan

Cool Japan

Manga hat sich von einer Revolution in Kinder- und Jugendzimmern zu einem universellen Pop-Phänomen entwickelt, mit dem Künstler und Filmemacher auf der ganzen Welt spielen – von Tarantinos „Kill Bill“ bis zu Inszenierungen von Frank Castorf oder Doris Dörrie. Wo sehen Sie die Gründe für diese Faszination?

Berndt: Ich denke, diese Entwicklung hat nicht zuletzt mit der Digitalisierung zu tun, mit virtuellen Welten. Der klassische soziale Realismus, wie wir ihn seit dem 19. Jahrhundert kennen, wird dadurch unterlaufen, dass Menschen online verschiedene Identitäten annehmen können. Gerade junge Leute machen dabei die Erfahrung, dass Identitäten „flüssig“, kontextabhängig sind, dass man mehrere Identitäten haben kann, ohne psychisch krank zu sein. Heute ist das Leben für junge Menschen eher ein Projekt, das sich nicht mehr von der Wiege bis zur Bahre planen lässt. Für mich ist es kein Zufall, dass sich Manga nicht schon in den 70er Jahren weltweit verbreitet haben. Zum einen war der japanische Markt im Inland zu saturiert – zum anderen war das Ausland kulturell noch zu wenig aufnahmefähig. Die Postmoderne war gewissermaßen noch nicht weit genug vorangeschritten. Mit den digitalen Welten kommt dann ein anderes Welt-Bild, eine viel spielerischere Selbstwahrnehmung von Individuen. Was früher als unseriös und „kindisch“ abgetan wurde, nimmt jetzt ganz neue Formen an: Nicht nur als Mangel, sondern als Potenzial, dass man benötigt, um sich in dieser digitalen Welt zurechtzufinden.

Es geht also nicht einfach um einen von ökonomischen Interessen geleiteten Kultur-Export?

Berndt: Einfacher gestrickte Kulturwissenschaftler sprechen gern von „Einfluss“. Aber es ist ja alles viel beweglicher, viel mehr im Fluss. Und die Seite, die „beeinflusst“ wird, wählt ja selbst aktiv aus, verändert Dinge und passt sie an die eigenen Gegebenheiten an.

„Der Mix macht’s, nicht die Tradition!“

Ist das heutige Manga-Fieber mit der Amerika-Begeisterung der 50er Jahre vergleichbar? Was damals Coca-Cola, Jeans und Rock’n’Roll waren, wären dann heute Sushi, Cosplay und J-Pop?

Berndt: In gewisser Weise schon. In der Politikwissenschaft gibt es den Begriff „Soft-Power“, eine Einflussnahme weniger über ökonomische und militärische Stärke, sondern vermittelt durch Kultur. Ein ähnliches „national branding“ unternimmt die japanische Regierung unter dem Schlagwort „Cool Japan“ seit den frühen 2000er Jahren. Mitte der Nullerjahre wurde das sehr stark vom Außenministerium vorangetrieben, dann wechselte der Schwerpunkt zum Wirtschaftsministerium, dem auch eine Tourismus-Agentur nachgeordnet ist.

Wenn die Phänomene, wie Sie sagen, so im Fluss sind, dann wäre Manga als genuin japanische Kunstform eine Chimäre?

Berndt: Alle populären Kulturformen haben immer, gleichsam parasitär, von fremden Kulturen gelebt. Es geht immer um Austausch! Das amerikanische Musical etwa wäre ohne die europäische Operette nicht denkbar…

Und die großen Telleraugen der Manga gehen auf die japanische Disney-Begeisterung der 50er Jahre zurück?

Berndt: Der Einfluss der USA war in den 50ern sehr groß, es wurden aber auch französische Filme oder Hermann Hesse sehr stark rezipiert. In den 60er, 70er Jahren war das „westliche Moment“ in Japan immer auch ein modernes, das gerade die jungen Leute angesprochen hat. Der Mix macht’s, nicht die Tradition! Japan ist oft für seine Fähigkeit bewundert worden, Dinge zu amalgamieren, zu hybridisieren. Vieles in der Manga-Kultur hat vorweggenommen, was heute, im digitalen Zeitalter, die ganze Welt betrifft: Statt eines auf die Spitze getriebenen Individualismus haben wir es mit Geschmacks-Gemeinschaften, mit einer Kultur des Teilens zu tun: Junge Leute lernen voneinander, was man über Harry Potter alles wissen muss, um am Fandome teilnehmen zu können. Das sind ganz neue, unhierarchische Strukturen. Viele sagen mit Blick auf Manga: Sieht doch alles gleich aus, wo ist die Originalität? Gerade in der Fan-Produktion gibt es jedoch feine Unterschiede in der Gewichtung, die nur in diesen Kreisen verstanden werden. Das ist eine neue Art von Ästhetik, die in die Zukunft weist.

Ist Manga eine Literatur der kulturellen Globalisierung?

Berndt: Noch in den 70er, 80er Jahren haben unsere deutschen Comic-Kritiker die Unzugänglichkeit von Manga beklagt, darin eine ganz andere Welt ausgemacht. Wenn wir heute das Gegenteil erleben, hat das mit ähnlichen Lebensbedingungen, ähnlichen Wahrnehmungen weltweit zu tun.

Manga made in Germany?

Wie ‚weltmarktfähig’ sind dann deutsche Manga-Künstlerinnen und Künstler? Entsteht da etwas Eigenes?

Berndt: Die Frage ist, was man unter dem „Eigenen“ verstehen will? Es betrifft ja hauptsächlich Frauen wie Martina Peters, Inga Steinmetz oder Christina Plaka. Der Lackmustest ist: Können und wollen die in Japan produzieren? Die Antwort lautet zumeist: Nein. Japanische Verlage sträuben sich sehr gegen narrative Welten, die den japanischen Leserinnen unvertraut sind. Anike Hages Manga-Adaption von Gudrun Pausewangs Jugend-Klassiker „Die Wolke“ etwa wurde nach Fukushima in japanischer Übersetzung veröffentlicht – und hatte es dort sehr schwer. Technisch sind deutschsprachige Manga-Zeichnerinnen heute exzellent, sie finden ihr Publikum aber vorrangig auf dem heimischen Markt, in Europa und Nordamerika.

Manga scheint ein deutliches Indiz dafür, dass sich die alte Trennung von E und U eigentlich überlebt hat?

Berndt: Heute fließen die Dinge – in den elektronischen Welten und in der Wahrnehmung der Leser – zusammen. Je nach Tageszeit und -form rezipiert man anders. Es müssen ja nicht immer 600-Seiten-Romane sein, oder? Und selbst Innerhalb des Manga-Komplexes geht es ja nicht nur um Gedrucktes, sondern ebenso um Anime, Spiele, Cosplay – um das eigene Weiterspinnen von Geschichten und Charakteren. Um das Füllen von „Löchern“ in den Geschichten. Das Problem: Auf dem deutschen Markt finden wir heute nur einen kleinen Ausschnitt der unglaublichen Vielfalt von Manga in Übersetzung vor; hauptsächlich Titel, die eher kommerziell orientiert und stark auf die Fan-Kultur ausgerichtet sind. Anders in Frankreich, da ist ein ganz breites Spektrum da, sicher auch durch eine andere Tradition von Comic-Kultur und eine stärkere Industrie.

Man müsste also die Differenzierungen stärker in den Blick nehmen?

Berndt: Das ist schwierig, weil Manga im allgemeinen Bewusstsein so stark mit der Fan-Kultur verbunden ist. Aber auch die Bestseller jenseits der literarischen, eher an Graphic Novels orientierten Manga sind sehr interessant – und was die jungen Leute damit machen: Wie sie lesen, Dinge benutzen, kreativ weiterentwickeln. Das finde ich total wichtig!

Lebens-Wahrheit der Maskeraden

Die kulturelle und publizistische Öffentlichkeit tut sich zuweilen dennoch schwer mit dem Phänomen…

Berndt: Wer Manga heute ignoriert oder als vorübergehende Modeerscheinung geringschätzt, tut das häufig mit „adultistischen“ Argumenten, die schon immer gegen Jugendkultur ins Feld geführt wurden: Die Jugendlichen seien nicht sozial engagiert, politisch unverantwortlich – und das Hauptgewicht liegt immer auf der Verbalisierung: Das, was nicht in Worte gegossen wird, kann man nicht ernst nehmen. Dass aber auch mit einer visuellen Sprache, mit Körpersprache gearbeitet wird, die ganz andere Formen von Sozialität herstellen, gerät dabei aus dem Blick. Selbst jene, die die Comic-Kultur verteidigen wollen, geraten auf dieses Glatteis. Es wäre sinnvoller, die defensive Argumentation zu verlassen und zu fragen: Wo sind die neuen Möglichkeiten? Die moderne Kultur war sehr auf Darstellung, auf Repräsentation orientiert. Die postmoderne, digitale Kultur hat dagegen viel mit Performanz zu tun. Im „Durchspielen“ und „Vorspielen“, in den Maskeraden, steckt auch eine neue Form von Lebens-Wahrheit.

Sie haben als Wissenschaftlerin auch am Kyotō International Manga Museum gearbeitet. Was können wir vom dort gepflegten Umgang mit dem Phänomen Manga lernen?

Berndt: Im Manga Museum in Kyotō gibt es auf allen Fluren Bücherregale; wenn am Wochenende die Familien kommen, greifen sich Großeltern, Eltern und Kinder ihre Lieblingsbücher. Dann sitzen alle draußen auf dem künstlichen Rasen und lesen – und manchmal erzählen sie sich gegenseitig, was sie lesen. Ein wunderbarerer Effekt! Unterschiedlichste Gruppen von Lesern, die durch die Industrie in ihren jeweiligen Geschmacks- und Genre-Nischen festgehalten werden, kommunizieren miteinander! Und lernen so andere Blickwinkel auf die gleichen Erzeugnisse kennen. In Deutschland könnte ich mir das sehr gut in Bibliotheken vorstellen – oder eben auf der Buchmesse. Ältere könnten den Jungen da einfach mal zuhören, sich erklären lassen, wie man Manga liest. Überraschende Begegnungen zu organisieren, ist immer spannend! Wieso nicht mal eine bekannte Manga-Zeichnerin und eine Schriftstellerin gemeinsam lesen und diskutieren lassen?

Jaqueline Berndt, geboren 1963 in Jena, studierte Japanologie und Kulturwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität, wo sie 1991 mit einer Arbeit über Manga promovierte. Von 1991 bis 2017 lebte sie in Japan, wo sie als Professorin an der Ritsumeikan-Universität Kyotō und der Universität Yokohama lehrte. Ab 2009 war sie Professorin für Comic-Theorie an der Manga-Fakultät der Kyotō-Seika-Universität und stellvertretende Direktorin des International Manga Research Center am Manga-Museum von Kyotō. Seit April 2017 ist Berndt Professorin für Japanische Sprache und Kultur an der Universität Stockholm. 2015 erschien im Leipziger Universitätsverlag ihre Studie „Manga: Medium, Kunst und Material“.

Fotos: Kyoto Seika University International Manga Research Center/Kyoto International Manga Museum, Sukeracko, Ravensburger, Leipziger Buchmesse