Im letzten November wurden erstmals 20 Verlage mit dem mit jeweils 10.000 Euro dotierten Sächsischen Verlagspreis ausgezeichnet. Einmalig wurde der Branchenpreis unter dem Dach der Kampagne „So geht sächsisch“ und im Schulterschluss von Sächsischer Staatskanzlei, Sächsischem Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit (SMWA) und Sächsischem Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK) verliehen. Die prämierten Verlage erhalten mit dem Preisgeld die Gelegenheit, als Kampagnenbotschafter von der Reichweite der Kampagne zu profitieren und präsentieren sich auf der Leipziger Buchmesse.
Zum ersten Mal gibt es in diesem Jahr eine „So geht sächsisch“-Bühne (Halle 4, Stand C 306), auf der vom 27. bis 30. April Autor:innen, Verleger:innen und Literaturschaffende aus dem gesamten Freistaat in Lesungen, Diskussionsrunden, Autorengesprächen und Vorträgen über ihre Arbeit, Zukunftsthemen, Branchentrends und ihre Neuerscheinungen mit dem Publikum ins Gespräch kommen werden.
Dazu werden sich die Verlage am Messefreitag (28. April, 12 bis 13 Uhr, Forum Literatur, Halle 4, Stand B 500) dem Publikum vorstellen: Unter dem Motto „Sächsischer Verlagspreis – Meet the winners!“ kann man beim „Literarischen Speeddating“ die Verlage und ihre Werke in kurzen Speeddating-Runden kennenlernen.
Wir haben uns schon vorab mit zwei der Gewinnerinnen verabredet – Nora Pester (Hentrich & Hentrich) und Kirsten Witte-Hofmann (edition überland) sitzen mit ihren Verlagen beide im Leipziger Haus des Buches – und haben auch sonst einige Gemeinsamkeiten.
2018 war für Sie beide ein, pardon: schicksalhaftes Jahr: Sie, Nora Pester, sind mit Ihrem Verlag nach Leipzig gezogen; Sie, Kirsten Witte-Hofmann, haben sich damals entschlossen, einen Verlag zu gründen. Frau Pester, was hat Sie bewogen, nach Leipzig zu gehen?
Dr. Nora Pester: Der Grund war eigentlich ganz profan: In Berlin endete unser alter Mietvertrag, der neue hätte einen 150prozentigen Anstieg der Miete bedeutet. So kam ich auf meine alte Heimatstadt Leipzig. Es bedeutet ja eine gewisse Nähe zur Leipziger Verlagslandschaft, wenn man schon im Kinderwagen über die Buchmesse geschoben wird…
Was hat sich durch den räumlichen Wechsel verändert?
Pester: Während wir in Berlin ein Verlag unter vielen war, hat sich unsere Rolle mit dem Umzug nach Leipzig komplett verändert: Hier wurden wir auf einmal zivilgesellschaftlicher Akteur! So wurde ich etwa sehr schnell in den Kultursenat der Kulturstiftung des Freistaats Sachsen berufen. Ich verbringe inzwischen sehr viel Zeit mit Vorträgen und Moderation. Gerade als Verlag mit so einem Profil wird man offensichtlich auch sehr viel mehr von der Gesellschaft gefordert. Ich finde das sehr gut – aber es bindet natürlich auch Kapazitäten. Es ist und bleibt ein Balanceakt, den ich aber grundsätzlich positiv empfinde.
Sie, Frau Witte-Hofmann, haben einen festen Job mit dem Sprung ins kalte Wasser einer Neugründung vertauscht…
Kirsten Witte-Hofmann: Tatsächlich habe ich mich schon länger mit dem Gedanken getragen. Ich war sechs Jahre bei E. A. Seemann, habe dort als Volontärin angefangen und war dann zuletzt für die Edition Leipzig zuständig. Dort habe ich auch mit dem Autor Sebastian Ringel zusammengearbeitet. Als 2018 dann das erste Buch von ihm erschien („Wie Leipzigs Innenstadt verschwunden ist“), gab es die Edition Überland noch gar nicht.
Wie sind sie auf den Namen gekommen?
Witte-Hofmann: Der entwickelte sich im Zusammenspiel mit den ersten beiden Autoren, Sebastian Ringel und Barbara Handke. Sowohl im Sachbuch wie auch bei der Belletristik schien er uns passend: Man fährt quasi über Land, ist in der Region unterwegs.
Barbara Thériaults „Die Bodenständigen. Erkundungen aus der nüchternen Mitte der Gesellschaft“ ist 2020 als schönstes Regionalbuch ausgezeichnet worden. Die haptische Seite Ihrer Bücher scheint Ihnen wichtig zu sein?
Witte-Hofmann: Stimmt! Wir sprechen sehr viel über diese Sachen – von der Ausstattung bis zur Frage: Wo soll das Buch gelesen werden? Die Autorinnen und Autoren sind bei uns mit in den Gestaltungsprozess einbezogen, das ist durchaus nicht üblich.
Die „Bodenständigen“ haben exotischer Weise einen innenliegenden Farbrücken…
Witte-Hofmann: Dort steht sogar noch ein Zitat. Das kann man aber nur lesen, wenn man das Buch kaputt macht (lacht)…
Sie haben noch etwas gemeinsam: Beide Verlage haben den Sächsischen Verlagspreis 2022 erhalten, dotiert immerhin mit je 10.000 Euro. Was bedeutet so eine Anerkennung für Sie?
Pester: Ich habe mich zunächst einmal sehr gefreut, dass der Preis diesmal auf so viele Schultern verteilt wurde. Das ist ein wichtiges Zeichen. Es gibt so unendlich viele hoch engagierte Kolleginnen und Kollegen, die permanent an den Grenzen ihrer Kapazitäten großartige Buch-Vorhaben umsetzen. Ich habe dann immer etwas Bauchschmerzen, wenn einzelne Leuchtturm-Projekte die ganze Branche repräsentieren sollen. Insofern wünsche ich mir eine gut aufgesetzte strukturelle Verlagsförderung – schon im Sinne von Chancengleichheit und Wettbewerbsgerechtigkeit. Ich sehe das als existenziell für unabhängige Verlage – es könnte sie ansonsten in absehbarer Zeit nicht mehr geben. Wir werden mit unseren Büchern gern als Motoren gesellschaftlicher Entwicklung und Debatten gepriesen – aber wir sind keine öffentlich geförderten Institutionen. Auf Dauer ist das nur schwer stemmbar.
Was bedeutet der Preis für Sie?
Witte-Hofmann: Ich sehe das ähnlich. Dadurch, dass wir noch sehr jung sind, haben wir uns aber auch über die Aufmerksamkeit gefreut, die durch den Preis auf den Verlag gelenkt wird. Neben dem Preisgeld, das natürlich auch ein Rolle spielt, ist die mediale Wirkung kaum zu unterschätzen.
Nach drei Jahren coronabedingter Pause ist die Leipziger Buchmesse zurück –was verbindet Sie mit der Messe und welche Erwartungen haben Sie?
Pester: Trotz der allseits gestiegenen Kosten sind wir als Leipziger Verlage immer noch in einer Art Pole-Position…
Ein Heimspiel…
Pester: Genau! Die Leipziger Buchmesse ist als Publikumsmesse auf die Begegnung mit den Leserinnen und Lesern angelegt – das ist etwas, was wir sehr vermisst haben! Nicht zu unterschätzen ist auch die Ausstrahlung in die Region: Nicht wenige Veranstalter warten auf die Messe, weil sie in deren zeitlichem Umfeld auch Autorinnen und Autoren zu Auftritten in der Provinz locken können. Dass sich die Konditionen für „Leipzig liest“-Veranstaltungen deutlich verteuert haben, sehe ich eher kritisch – ab der zweiten Veranstaltung müssen wir für den Online-Eintrag 100 Euro statt vordem 45 bezahlen. Wir agieren alle in einem ökonomisch angespannten Umfeld – wenn man sich dann schon für den Messe-Auftritt entscheidet, reagiert man da eher sensibel.
Für die Edition Überland ist dieser April die Buchmesse-Premiere?
Witte-Hofmann: Die GmbH ist im Februar 2019 gegründet worden, nach dem ersten Buch. 2019 waren wir mit unseren ersten beiden Titeln am Livro-Gemeinschaftsstand kleinerer Verlage. Ich bin sehr gespannt, wie unsere Premiere jetzt ausfällt. Wir teilen uns einen Stand mit der Connewitzer Verlagsbuchhandlung, das ist schon mal schön. Viele unserer Verlage sind in Halle 5.
Sie sind beide jeweils mit zahlreichen Veranstaltungen Start. Worauf darf man sich freuen?
Witte-Hofmann: Es wird eine Stadtführung und einen Vortrag mit Sebastian Ringel geben, Roman Israel, der es 2022 mit seinem Roman „Nektar Meer“ auf die Hotlist geschafft hat, liest in „Horns Erben“. Und es wird mehrere Veranstaltungen zu „Demokratie in Sachsen“ geben, dem aktuellen Jahrbuch des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts. Im „Laden auf Zeit“ gibt’s eine Party von „siggi“, dem französischsprachigen Soziologie-Magazin, das bei uns erscheint.
Pester: Wir haben zwei Veranstaltungen mit Nora Goldenbogen („Seit ich weiß, dass du lebst. Liebe und Widerstand in finstersten Zeiten“). Ich stelle auf dem Messegelände und bei Hugendubel mein Buch „Jüdisches Leipzig“ vor, Klaus Grammel hat „Fischele“, eine wahre Liebesgeschichte aus dem Ghetto von Wilna, im Gepäck. Wir präsentieren mit dem Land NRW die große Dokumentation zum Fest „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“. Monty Ott und Ruben Gerczikow stellen „Wir lassen uns nicht unterkriegen“, ihr Buch über jüdische Aktivist:innen in Deutschland, vor. Ganz schön viel Holz…
Das werden die Tage mit wenig Schlaf, vermute ich…
Pester: Das bringen Buchmessen so mit sich…
Witte-Hofmann: Wir freuen uns trotzdem riesig!
Die edition überland wurde 2019 von Kirsten Witte-Hofmann in Leipzig gegründet. Bislang sind 12 Titel erschienen, die edition überland wartet mit einem feinen belletristischen Programm und Sachbüchern zu ausgewählten regionalen Themen auf. Das Spektrum reicht von der Erzählung über den Roman, von Autofiktion und Feuilleton bis zum klassischen Sachbuch.
Der traditionsreiche Verlag Hentrich & Hentrisch wird seit 2010 von Dr. Nora Pester geleitet, 2018 kam der Umzug von Berlin nach Leipzig. Mit seinem Profil – jüdische Kultur, dazu Zeitgeschichte, Politik und Gesellschaft im jüdischen Kontext – heißt es für Hentrich & Hentrich immer auch: Farbe bekennen. Pro Jahr erscheinen rund 60 Novitäten, rund 150 Veranstaltungen finden statt.