Autor: Nils Kahlefendt

Forever young!
9. Dezember 2014
Voland & Quist, Bilger, Mikrotext: In Zeiten zunehmender Markt-Konzentration stehen unabhängige Verlage für eine bunte,
Autor: Nils Kahlefendt

Forever young!
9. Dezember 2014
Voland & Quist, Bilger, Mikrotext: In Zeiten zunehmender Markt-Konzentration stehen unabhängige Verlage für eine bunte,

Es gibt Verlage, die am Reißbrett irgendeiner Konzernzentrale erfunden werden. Andere entstehen aus einer übermütigen Weinlaune heraus oder weil da Bücher sind, die unbedingt in die Welt müssen. Die Geschichte von Voland & Quist beginnt 2001, fast drei Jahre vor der eigentlichen Gründung, als Planspiel zweier Studenten. Sebastian Wolter und Leif Greinus hatten sich während ihres Studiums an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirstschaft und Kultur angefreundet und brüteten in ihrer WG nächtelang über einer Fallstudie fürs Fach Controlling. Das Thema: Die Gründung eines Verlags. Eigentlich unmöglich, zu diesem Schluss kommen sie. Unmöglich? Warum nicht die Literatur der Poetry Slams und Lesebühnen, die sie in ihrer Freizeit organisieren, zwischen Buchdeckel bringen? Und: Wieso nicht Bücher konsequent mit CDs kombinieren, da die Texte ihre volle Wirkung erst in der performativen Praxis erzielen? „Live-Literatur“ nennen die beiden das. „Für uns lag das Konzept auf der Hand“, erklärt Wolter. „Unsere Autoren können hervorragend vorlesen – und das soll man auch zu Hause nachhören können.“ Im Herbst 2004 erscheinen die ersten Titel von Voland & Quist. Den Verlagsnamen borgen sich die Neu-Gründer in der Weltliteratur aus. Seither rätseln nicht nur Freunde, ob sich im finster-mephistophelischen Voland aus Bulgakows „Meister und Margarita“ oder dem freundlich-friedensstiftenden Quinten Quist aus Harry Mulischs „Entdeckung des Himmels“ Wesenszüge von Greinus und Wolter wiederfinden lassen.

Trau keinem über 30?

Verleger, die nicht nur Bilanzen lesen, sondern auch Bücher entdecken können, hat es immer gegeben. Trau keinem über 30? Wagenbach, Rotbuch, Stroemfeld: Viele, die ihren Weg in den politisch aufgeheizten Jahren der Alt-Bundesrepublik um 1968 begannen, feiern inzwischen runde Geburtstage. Dem Osten bescherte der Mauerfall vor 25 Jahren noch einmal einen regelrechten Gründungsboom. Mitte des neuen Jahrtausends, als Voland & Quist ihre ersten Schritte gehen, wird der Buchmarkt wieder aufgemischt: Junge, ambitionierte Nachwuchsverleger drängen aufs umkämpfte Parkett. Gegen Konzernkonkurrenz und Massenware setzen die „Independents“, wie sie sich in Analogie zur Musik-Szene nennen, auf sorgfältig zusammengestellte Programme und liebevoll gestaltetes Buchdesign.

Sie wollen erfolgreich Bücher verkaufen – und doch authentisch, ganz nah bei ihren Lesern bleiben.In Leipzig, wo seit 2001 der Kurt-Wolff-Preis vergeben wird, sind die Indies mit originellen Veranstaltungsformaten und immer wieder neuen, ausgefallenen Veranstaltungs-Orten Magneten fürs Lesepublikum.Gemeinsam hat man viel erreicht: Der „Indiebookday“, vom Hamburger Mairisch Verlag in bester Graswurzel-Tradition angestoßen, hat sich im Kalender etabliert. Die „Hotlist“ lenkt das Scheinwerferlicht von den großen Literatur-Preisen auf den Reichtum der Verlagslandschaften insgesamt. Kein Zweifel: Sichtbarer sind sie geworden, die unabhängigen Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz –und das ist beileibe keine Frage des Alters.

Käpt’n ohne Schiff

Aus ganz jungen Independents werden erfahrene – wenn sie gut sind. Als Ricco Bilger 1983, wenige Gehminuten vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt, seine Buchhandlung eröffnete, galt das Viertel noch als Problembezirk. Heute dominieren im Kreis 5 schicke Bars und Galerien. Sec 52 heißt sein Laden. Die Ziffern stehen für die Hausnummer in der Josefstraße, „sec“ meint so viel wie „astrein“, „ohne Schnickschnack“. Heute würde man vermutlich „cool“ sagen, doch damit hat Bilger nichts am Hut. „Es bedeutet so viel wie auf den Punkt gebracht“, erklärt er. „Unprätentiös. Nicht ideologisch. Jenseits des Zentrums, den Rändern entlang.“ Eine Schlüsselformel, die auch für den Büchermacher Bilger gilt. Schon in den 1980er Jahren trat er verlegerisch in Erscheinung; 2001 gründete er mit dem Grafik-Designer Dario Benassa den Bilgerverlag. 1996 startete er an seinem Geburtsort im Wallis das Internationale Literaturfestival Leukerbad, das er über zehn Jahre leitete. Im Herbst 2007 war er Gründungspräsident der Plattform SWIPS. Was an eine Sektlaune denken lässt, ist ernst gemeint und steht für Swiss Independent Publishers. Ein Dach, unter dem heute knapp 30 unabhängige Deutschschweizer Verlage gemeinsame Interessen formulieren: Es geht um faire Wettbewerbsbedingungen, sinnvolle Fördermodelle und, natürlich: größere Sichtbarkeit in den Medien. Den Staffelstab des SWIPS-Präsidenten hat Bilger inzwischen abgegeben. Es zieht ihn weiter, tolle Bücher macht er immer noch. Sein Bruder im Geist ist der seefahrende Comic-Held Corto Maltese, der Käpt’n ohne Schiff, der rund um die Welt durch alle Literaturen reist. Und stets dort präsent ist, wo es brennt.

Offen für Neues

Die runde Geburtstagsparty feierten Voland & Quist gerade in ihrem Dresdner Lieblings-Club, der „Scheune“. In zehn Jahren hat der Verlag rund 100 Titel veröffentlicht: Bücher mit und ohne CD, dazu DVDs, Comics und Musik-Alben. Zu Lesebühnenliteratur und Spoken-Word-Lyrik gesellten sich Kinderbücher und eine Reihe mit jungen Autoren aus Osteuropa („Sonar“). „Nach all den Umbrüchen dort liegen die Geschichten förmlich auf der Straße“, sagt Sebastian Wolter. „Die wollen wir entdecken!“ Die beiden Verleger haben Durststrecken überstanden; Liquiditätsengpässe und kaffeegedopte Lektorate bis in den frühen Morgen – und dafür mehr als nur wohlwollendes Schulterklopfen geerntet. 2010 mit dem Kurt-Wolff-Förderpreis ausgezeichnet, sind sie heute selbst Vorbild für nachwachsende junge Kollegen. Stehenbleiben gilt nicht: Mit der Kurzgeschichten-App „A story a day“ haben Voland & Quist eben ein Publikationsmodell für mobile Endgeräte gestartet. „Mit Blick auf den digitalen Wandel“, erklärt Wolter, „wollten wir etwas Neues ausprobieren. Neben dem klassischen Format Buch.“

Elektrische Bücher

Die Euphorie der Nullerjahre, in denen junge Print- Verlage an den Festen der Buchhandels-Welt rüttelten, ist längst in der digitalen Welt angekommen. Doch die Lage ist heute komplizierter: Im flüchtigen Raum des Digitalen versenden sich Dinge leichter. Die Vielfalt ist gewachsen – aber es ist schwieriger geworden, den eigenen Platz und die eigene Stimme zu finden. Zu den neuen Verlagen, die ihre Autoren ausschließlich digital publizieren, gehört Mikrotext aus Berlin. Gerade einmal fünf Jahre ist es her, dass Gründerin Nikola Richter an ihr erstes Smartphone kam – über einen Blogger-Wettbewerb. Heute verlegt die studierte Literaturwissenschaftlerin Autoren wie Alexander Kluge oder das Tagebuch des Syrers Aboud Saeed, der auf Facebook seine eigene kleine Revolution angezettelt hat. Das Medium ist schnell; viele Bücher sind inspiriert von Diskussionen in sozialen Medien und dem Blick auf internationale Debatten. Mit der Genre-Literatur, wie sie auf Internetportalen und Fan-Foren zirkuliert, hat Richter nichts am Hut. Die mutige Seiteneinsteigerin, die im Oktober mit dem erstmals vergebenen „Young Excellence Award“ des „Börsenblat t“ ausgezeichnet wurde, setzt ganz auf klassische Verlagsarbeit. Während die Dickschif fe der Branche E-Books meist als Beiprodukt des physischen Buchs behandeln, versteht Nikola Richter ihre digitalen Ausgaben nicht als billige Kopie – sondern als Originalprodukt. Mit der von ihr im letzten Sommer mitorganisierten „Electric Book Fair“, Deutschlands erster Messe für E-Book-Verlage, hat die Netzwerkerin der digitalen Aufbruchstimmung eine neue Plattform geschaffen. Es bleibt dabei: Jede Verlegergeneration muss sich, immer wieder, neu erfinden; Programme entwickeln, die mit der Zeit gehen, ohne im „Zeitgeist“ aufzugehen. Aus ganz jungen Independents werden ältere, erfahrene – wenn sie gut sind.

Bildquelle: Robert Gommlich / Nils Kahlefendt / Monique Wüstenhagen

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