Hate-Speech auf Facebook und Co., auch in den Online-Kommentarspalten der Tageszeitungen blickt man oft in Abgründe. Sachlich diskutieren im Netz – geht das überhaupt noch?
Annette Rehfeld-Staudt: Es wird zweifellos immer schwieriger, im digitalen Raum sachlich zu diskutieren. Wir als Landeszentrale haben ja auch einen Facebook-Account; in der Hochzeit von Pegida hatten wir es häufig mit sehr extremen und unsachlichen Kommentaren zu tun, teilweise mussten wir auch User sperren. Genau das war ein Anlass für uns, die neue Dialog-Plattform www.lasst-uns-streiten.de zu schaffen.
Aber vermutlich nicht der einzige?
Rehfeld-Staudt: Genau, das war ein Impuls. Wir würden uns nie aus den sozialen Netzwerken zurückziehen, die Präsenz dort bleibt ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Auf Facebook gibt es ja andererseits auch sehr qualifizierte und spannende Kommentare, die allerdings schnell aus dem Wahrnehmungs-Fokus rutschen. Neben der Internet-Erfahrung haben uns die Erfahrungen mit unseren Diskussions-Veranstaltungen inspiriert. Dort haben Teilnehmer oft vorbereitete Statements verlesen – und sind mit keinem Wort auf ihre Mitdiskutanten eingegangen. Das war sehr unbefriedigend, zumal wir ja mit den verschiedensten Formaten experimentiert hatten. Die Argumente der jeweils anderen Seite wenigstens zur Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu positionieren, ist nicht besonders verbreitet. Unser Online-Dialog setzt genau hier an.
Nach welchen Regeln funktioniert das Gespräch auf Ihrer Plattform?
Rehfeld-Staudt: Es handelt sich vor allem um eine moderierte Diskussion. Die Beiträge werden wochentäglich von 10 bis 20 Uhr gelesen, bevor sie freigegeben werden. Alle anderen Posts werden gespeichert und gehen später, nach der Prüfung, online. Wir achten streng darauf, dass es keine Beleidigungen, keine rassistischen oder sexistischen Anwürfe gibt. Und, wie gesagt: Wir greifen moderierend ein; wenn es nötig ist, fragen wir nach, verweisen auf die Regeln, bitten um Präzisierung.
Wann sind Sie mit dem Projekt online gegangen?
Rehfeld-Staudt: Im April 2016. Wir hatten im letzten Jahr drei Dialog-Zeiträume, der erste sechs Wochen, dann jeweils einen Monat. Für dieses Jahr sind vier Dialoge geplant.
Wie war die Resonanz?
Rehfeld-Staudt: Das kann man nicht generalisieren, die Beteiligung schwankt. Der erste Dialog „Gesellschaftskrise: Flucht“ hat unglaublich viele Leute mobilisiert. Es gab einen rasanten Ausschlag nach oben, als Frauke Petry entdeckte, dass es unsere Plattform gibt – und sie auf Twitter empfohlen hat. Plötzlich hatten wir enorme Beteiligungszahlen – aber auch extrem viele Beiträge, die nicht unseren Standards entsprachen. Das hat sich in den nachfolgenden Diskussionen so nicht wiederholt.
Es gibt die Möglichkeit, anonym zu posten – oder sich registrieren zu lassen. Welche Variante wird bevorzugt?
Rehfeld-Staudt: Wir haben momentan einen überschaubaren Kreis von 147 registrierte Nutzern, der überwiegende Teil beteiligt sich also anonym. Wir sind zwar eine überparteiliche Einrichtung, das Misstrauen ist bei vielen jedoch noch sehr groß. Die Zahl der angemeldeten Kommentatoren ist allerdings von Dialog zu Dialog angestiegen. Wir haben ein Quiz vorgeschaltet – und auch die Vorteile, die User von einer Anmeldung haben, stärker kommuniziert: Wer ein Konto anlegt, hat die Möglichkeit, die eigenen Beiträge und die Reaktionen darauf genau zu verfolgen, man kann die meistdiskutierten Thesen sehen oder die eigenen Quiz-Auswertungen mit anderen zu vergleichen. Selbstverständlich erhält man auch einen Newsletter, etwa mit der Ankündigung von neuen Online-Dialogen.
Ich könnte mir vorstellen, dass gerade Jugendliche in Ihrem Angebot eine Art „betreutes Diskutieren“ wittern, das sie eher uncool finden, ein wenig wie Schule mit anderen Mitteln? Gibt es diese Vorbehalte?
Rehfeld-Staudt: Mit diesem Problem ist politische Bildung generell konfrontiert, nicht nur im digitalen Raum. Natürlich freuen wir uns, wenn auch junge Leute unsere Angebote annehmen; hin und wieder bekommen wir das durch die Beiträge ja mit. Und ich weiß auch von Lehrern, die unsere Thesen im Unterricht diskutieren.
Dennoch sind die Diskussionen auf Ihrem Portal kein Kuschel-Dialog…
Rehfeld-Staudt: Keineswegs, es geht schon zur Sache. Wobei die Anzahl der offensichtlichen Verstöße – und der damit verbundenen Löschungen – mit Dauer des Projekts eindeutig geringer wird. Eine Erfahrung, die wir übrigens auch auf unserer Facebook-Seite gemacht haben. Wenn wir Leute direkt auf das angesprochen haben, was sie in ihren Kommentaren behauptet haben, war die Überraschung oft groß. Manche sind regelrecht erschrocken, sie hatten nicht mit einer Reaktion gerechnet…
Das Internet spricht zurück… Welche Erkenntnisse haben Sie noch für Ihre Bildungsarbeit gewonnen?
Rehfeld-Staudt: Wir haben für jeden Dialog sehr ausführliche Auswertungen erarbeitet, diese Berichte sind auch online nachzulesen. Diesen Berichten wünsche ich eine noch stärkere Wahrnehmung, insbesondere in der Politik. Das sind doch sehr differenzierte Momentaufnahmen, die ein Schlaglicht auf die politische Meinungsbildung zu brisanten Themen in der Bevölkerung werfen. Es lohnt sich auch, in die bereits abgeschlossenen Diskussionen hineinzulesen, die wir ebenfalls im Archiv zugänglich halten. Das ist ein Fundus, der viel über das Meinungsklima in unserem Land verrät.
Sicher auch interessant für Lehrerinnen und Lehrer?
Rehfeld-Staudt: Ich bin überzeugt, dass Diskussionskultur gelernt, vorgelebt werden muss. Allein mit Facebook oder den Talk-Shows des Fernsehens wird das nicht gehen. Unser Tool ist eine Möglichkeit, sich da auszuprobieren.
Die Politikwissenschaftlerin Dr. Annette Rehfeld-Staudt ist Leiterin des Referats politische Bildung online der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Zuvor war sie langjährig im Publikationsreferat der Landeszentrale, als Grundsatzreferentin in der Sächsischen Staatskanzlei sowie im Kultusministerium tätig.