Autor: Nils Kahlefendt

Foto: Tobias Bohm

Kindheitsmuster
9. Oktober 2015
Raus aus dem Elfenbeinturm: Nachwuchsautorin Paula Fürstenberg und ihr langer Weg zum ersten Roman.
Autor: Nils Kahlefendt

Foto: Tobias Bohm

Kindheitsmuster
9. Oktober 2015
Raus aus dem Elfenbeinturm: Nachwuchsautorin Paula Fürstenberg und ihr langer Weg zum ersten Roman.

Als die Mauer fällt, ist Paula Fürstenberg zwei, im Abiturjahr lockt die Ferne. Was anfangen mit all dem Leben, das vor ihr liegt? An eine Autorenlaufbahn hat die junge, musik- und theaterbegeisterte Potsdamerin nie gedacht. Es ist die Mutter, die ihr – nach einem längeren Frankreich-Aufenthalt – vorschlägt, Literarisches Schreiben zu studieren. Eine Wahl, die alle Wege offenhält. Fürstenberg bewirbt sich am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Seit 2006 bietet es ein dreijähriges Vollzeitstudium an, wahlweise in Deutsch oder Französisch. Im Zentrum steht die von einem Mentor begleitete Arbeit an den eigenen Texten. Im ersten Jahr ist der Schweizer Silvio Huonder Fürstenbergs literarischer Sparringspartner, später wechselt sie zu Ruth Schweikert. Auch Kommilitonen wie Marc Anton Jahn oder Simone Lappert werden zu Begleitern der täglichen Schreibpraxis – und zu engen Freunden. In ihrem ersten Bieler Jahr macht Paula Fürstenberg eine merkwürdige Entdeckung: „Ich hatte mir fest vorgenommen, alles Mögliche auszuprobieren, von der Short Story bis zur Lyrik. Aber bald merkte ich, dass sich Motive und Figuren wiederholten. Eigentlich schrieb ich immer an der gleichen Geschichte.“ Eine Geschichte, die mit Nachgeborenschaft zu tun hat und mit dem Leben in der DDR, das sie nur aus Büchern und vom Hörensagen kennt. Eine biografische Spurensuche: „Eigentlich bin ich ja ein Westkind“, lacht Fürstenberg. „Aber ich bin mit Menschen aufgewachsen, die diesen Biografiebruch in sich tragen.“ In Biel wird aus der Geschichte, die sich nicht wegdrängen lässt, ein Romanmanuskript.Mit dem Bachelor aus Biel in der Tasche geht Paula Fürstenberg zurück nach Berlin. Bald steht ihr Schreibtisch in der Bürogemeinschaft „Adler & Söhne“.

Die von DLL-Absolventen wie Katharina Adler, Saša Stanišić und Thomas Pletzinger gegründete Kooperative aus Autoren, Lektoren und Übersetzern, die sich in Heiner Müllers ehemaliger Zigarrenhandlung im Prenzlauer Berg eingerichtet hat, begreift den Entstehungsprozess von Literatur nicht als einsames Werkeln im Elfenbeinturm, sondern setzt auf gegenseitige Inspiration. Auch in „Betriebsfragen“ teilt man bereitwillig Erfahrungen: Welcher Verlag könnte passen? Soll man einen Agenten einschalten? Fürstenberg ist das Feedback der Kollegen wichtig: „Egal, ob ich Vorschläge umsetze oder mich gegen andere Positionen abgrenze: Der Austausch wirkt immer klärend.“ Als sie 2011 erstmals öffentlich in der Berliner Lettrétage aus ihrem Manuskript liest, sind alle da: die Familie, Freunde. „Ein toller Abend.“ Anders aufregend der Auftritt im Rahmen der „Prosa Prognosen“ auf der Leipziger Buchmesse, drei Jahre später: Nach der Teilnahme an der Autorenwerkstatt des LCB bewegt sich Fürstenberg hier schon unterm Radar der Verlags-Scouts, die nach neuen Talenten Ausschau halten. Unter Vermittlung des Literaturagenten Florian Glässing (Landwehr & Cie) fällt die Wahl schließlich auf Kiepenheuer & Witsch. „Ich bin nach Köln gefahren, mit meiner Lektorin Sandra Heinrici und Olaf Petersenn durch die Abteilungen gegangen: Das fühlte sich gut an.“ Es wird noch einiges Wasser den Rhein hinunterf ließen – Lektoratsrunden, Titelkonferenz, die Wahl des richtigen Covers – bis das Debüt im Herbst 2016 erscheint. Nach fünf Jahren Arbeit am Text gewöhnt sich die Autorin gerade ans Gefühl des Loslassens. „Ein Roman schluckt jede Menge Energie und lässt wenig Platz für andere Projekte. Für anderes Leben.“ In einem Jahr wird Paula Fürstenberg ihr erstes Buch in Händen halten. Ziemlich wahrscheinlich, dass sie dann schon am zweiten schreibt.

Beitrag teilen


Die Autorenwerkstatt Prosa wird seit 1998 vom Literarischen Colloquium Berlin (LCB) ausgerichtet. Ihr Ziel ist es, jüngere deutschsprachige Autorinnen und Autoren, die noch keine eigenständige Buchpublikation vorgelegt haben, zu entdecken und zu fördern. Im Rahmen der Reihe „Prosa Prognosen“ werden die Stipendiaten auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt.

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten

International Slider

Wahres Wunder Freundschaft

Buchmesse-Nachschlag, Teil 1: Die Buchmesse eröffnete mit Bundeskanzler Olaf Scholz und der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung an Omri Boehm. Der Gaza-Konflikt platzte in einen Festakt hinein, in dem es um Identitätspolitik und ihre Überwindung ging

Leipzig liest Slider

„Vor allem Frauen“ 

Alles außer flach (3): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Die flämische Schriftstellerin Annelies Verbeke

Leipzig liest Slider

Und dann hat’s BUMM! gemacht

Alles außer flach (4): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Matthijs de Ridder, der die flämische Avantgarde-Ikone Paul van Ostaijen an die Pleiße holt

Leipzig liest Slider

Please look at the Basement! 

Alles außer flach (2): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Der flämische Schriftsteller und Bildende Künstler Maarten Inghels

Leipzig liest Slider

Digitale Literaturwelten 

Alles außer flach (1): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Poetische VR und eine Geschichten-Erzählmaschine

Literarisches Leben Slider

Starke Frauen

Kurt Wolff Preis für den AvivA Verlag: Seit einem Vierteljahrhundert bringt Britta Jürgs mit Energie und Spürsinn die weiblichen Stimmen der Weltliteratur zur Geltung 

Comic & Manga Slider

Straße der Besten

Zur Jubiläums-MCC im März 2024 löst die New Artist Alley die bisherige Gemeinschaftspräsentation MCC Kreativ ab. Im Interview sprechen Kerstin Krämer und Sassette Scheinhuber über Hintergründe – und wesentliche Neuerungen.

Bildung Slider

Leseförderung per Podcast

Die Initiative „Bücheralarm“ erlaubt es Kindern und Jugendlichen, die Welt der Bücher aktiv für sich zu erobern. Mit dem „Bücheralarm Award“, der im März in Leipzig erstmals verliehen wird, geht Initiatorin Lena Stenz nun den nächsten Schritt.

Leipzig liest Slider

Vom Buch auf die Bühne

Für seine ausgefallenen Locations ist „Leipzig liest“ berühmt. Hier stellen wir in loser Folge einige der spannendsten vor. Heute: Christoph Awe und die Cammerspiele Leipzig im Connewitzer Werk 2.

Leipzig liest Slider

Zeltplatz Mitte 

Für seine ausgefallenen Locations ist „Leipzig liest“ berühmt. Hier stellen wir in loser Folge einige der spannendsten vor. Heute: Rando Steinbach und der Outdoor-Spezialist tapir im Herzen der City.

International Slider

„Es geht immer ums Vollenden“ 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 3: Unter dem Motto „meaoiswiamia“ feierte Österreich die Vielfalt seiner Literatur. Insgesamt kamen rund 200 Autorinnen und Autoren aus Österreich zu mehr als 110 Veranstaltungen auf dem Messegelände und in der Stadt.

Leipzig liest Slider

Endlich! Wieder! 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 1: Die erste Gewandhaus-Eröffnung seit vier Jahren wurde mit überschäumender Freude gefeiert – überschattet vom Angriffskrieg auf die Ukraine. Aufmerksamkeitsdusche, reloaded.

Wir

„Kein Schreibtisch-Job“ 

Bitte nicht alle auf einmal: Als Referent für die Tageskassenkoordination kümmert sich Tom Geißler darum, dass wir Besucher möglichst reibungslos zu unseren Tickets und aufs Messegelände kommen. Das ist alles andere als trivial

Literarisches Leben

Neue Verlegerinnen braucht das Land!

Nora Pester (Hentrich & Hentrich) und Kirsten Witte-Hofmann (edition überland), zwei von 20 Gewinnern des Sächsischen Verlagspreises 2022, sprechen über Aufbrüche zu neuen Ufern und die Buchmesse als Heimspiel

International

Leben und Schreiben

Intelligent und unterhaltsam: Der Podcast „Literaturgespräche aus dem Rosa Salon“ mit Katja Gasser verkürzt die Zeit bis zum Gastlandauftritts Österreichs im Frühjahr.

Wir

Ideen Raum geben 

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es: Als Teamleiter bei der Leipziger Messe-Tochter FAIRNET kümmert sich Christian Merkel darum, tolle Ideen auf die Straße zu bringen.

Wir

Brücke zum Osten

März-Splitter (1): Statt Messe-Eröffnung feierte Leipzig die Verleihung des Buchpreises zur Europäischen Verständigung