Als die Mauer fällt, ist Paula Fürstenberg zwei, im Abiturjahr lockt die Ferne. Was anfangen mit all dem Leben, das vor ihr liegt? An eine Autorenlaufbahn hat die junge, musik- und theaterbegeisterte Potsdamerin nie gedacht. Es ist die Mutter, die ihr – nach einem längeren Frankreich-Aufenthalt – vorschlägt, Literarisches Schreiben zu studieren. Eine Wahl, die alle Wege offenhält. Fürstenberg bewirbt sich am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Seit 2006 bietet es ein dreijähriges Vollzeitstudium an, wahlweise in Deutsch oder Französisch. Im Zentrum steht die von einem Mentor begleitete Arbeit an den eigenen Texten. Im ersten Jahr ist der Schweizer Silvio Huonder Fürstenbergs literarischer Sparringspartner, später wechselt sie zu Ruth Schweikert. Auch Kommilitonen wie Marc Anton Jahn oder Simone Lappert werden zu Begleitern der täglichen Schreibpraxis – und zu engen Freunden. In ihrem ersten Bieler Jahr macht Paula Fürstenberg eine merkwürdige Entdeckung: „Ich hatte mir fest vorgenommen, alles Mögliche auszuprobieren, von der Short Story bis zur Lyrik. Aber bald merkte ich, dass sich Motive und Figuren wiederholten. Eigentlich schrieb ich immer an der gleichen Geschichte.“ Eine Geschichte, die mit Nachgeborenschaft zu tun hat und mit dem Leben in der DDR, das sie nur aus Büchern und vom Hörensagen kennt. Eine biografische Spurensuche: „Eigentlich bin ich ja ein Westkind“, lacht Fürstenberg. „Aber ich bin mit Menschen aufgewachsen, die diesen Biografiebruch in sich tragen.“ In Biel wird aus der Geschichte, die sich nicht wegdrängen lässt, ein Romanmanuskript.Mit dem Bachelor aus Biel in der Tasche geht Paula Fürstenberg zurück nach Berlin. Bald steht ihr Schreibtisch in der Bürogemeinschaft „Adler & Söhne“.
Die von DLL-Absolventen wie Katharina Adler, Saša Stanišić und Thomas Pletzinger gegründete Kooperative aus Autoren, Lektoren und Übersetzern, die sich in Heiner Müllers ehemaliger Zigarrenhandlung im Prenzlauer Berg eingerichtet hat, begreift den Entstehungsprozess von Literatur nicht als einsames Werkeln im Elfenbeinturm, sondern setzt auf gegenseitige Inspiration. Auch in „Betriebsfragen“ teilt man bereitwillig Erfahrungen: Welcher Verlag könnte passen? Soll man einen Agenten einschalten? Fürstenberg ist das Feedback der Kollegen wichtig: „Egal, ob ich Vorschläge umsetze oder mich gegen andere Positionen abgrenze: Der Austausch wirkt immer klärend.“ Als sie 2011 erstmals öffentlich in der Berliner Lettrétage aus ihrem Manuskript liest, sind alle da: die Familie, Freunde. „Ein toller Abend.“ Anders aufregend der Auftritt im Rahmen der „Prosa Prognosen“ auf der Leipziger Buchmesse, drei Jahre später: Nach der Teilnahme an der Autorenwerkstatt des LCB bewegt sich Fürstenberg hier schon unterm Radar der Verlags-Scouts, die nach neuen Talenten Ausschau halten. Unter Vermittlung des Literaturagenten Florian Glässing (Landwehr & Cie) fällt die Wahl schließlich auf Kiepenheuer & Witsch. „Ich bin nach Köln gefahren, mit meiner Lektorin Sandra Heinrici und Olaf Petersenn durch die Abteilungen gegangen: Das fühlte sich gut an.“ Es wird noch einiges Wasser den Rhein hinunterf ließen – Lektoratsrunden, Titelkonferenz, die Wahl des richtigen Covers – bis das Debüt im Herbst 2016 erscheint. Nach fünf Jahren Arbeit am Text gewöhnt sich die Autorin gerade ans Gefühl des Loslassens. „Ein Roman schluckt jede Menge Energie und lässt wenig Platz für andere Projekte. Für anderes Leben.“ In einem Jahr wird Paula Fürstenberg ihr erstes Buch in Händen halten. Ziemlich wahrscheinlich, dass sie dann schon am zweiten schreibt.