Eine Woche und einen Tag vor der feierlichen Eröffnung im Gewandhaus musste die Leipziger Buchmesse 2020, bedingt durch die Corona-Krise, abgesagt werden. Anfang März war das die gravierendste organisatorische Folge der Krankheit in Deutschland, inzwischen sind auch die London Book Fair und Bologna abgesagt. So eine Entscheidung musste die Messe-Leitung in den letzten sieben Jahrzehnten noch nicht treffen – sie ist bitter für die Messe, ihre Mitarbeiter und natürlich für die gesamte Branche. Entsprechend groß war das Echo in den Feuilletons, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in den sozialen Medien; dazu erreichte das Buchmesse-Team unzählige Mails von Ausstellern, Programmpartnern oder Besuchern. Tenor: Wir brauchen euch, nächstes Jahr wird das Frühlingsfest der Bücher noch bunter, noch vielfältiger. Zusammen packen wir das. In drei Folgen haben wir hier noch einmal einige der auffälligsten, witzigsten, zu Herzen gehendsten Fundstücke zusammengetragen. Eine digitale Pinnwand, deren Botschaft lautet: Feiern wir zusammen das Buch, jetzt erst recht! Und lasst uns schon auf dem Weg zum März 2021 gemeinsam die ein oder andere spannende Aktion anschieben. Wir sehen uns! Darauf einen Knuff mit dem Ellenbogen.
Was nun zu tun ist | Jo Lendle, Schriftsteller und Verleger des Carl Hanser Verlages, Facebook, 14. März
[…] Es wird jetzt ein bisschen stiller. Versuchen wir es als eine Art Advent zu betrachten. Als Zeit zwischen den Jahren, auch wenn es sich in diesem Fall wohl um die Zeit zwischen den Jahren 2019 und 2021 handelt. Seltsam, so plötzlich ausgebremst zu werden und im Aufprall fliegt alles andere zunächst noch weiter – Termine, Kalender, Gedanken. Stattdessen also Besinnlichkeit. Gelegenheit, den kleinen Dingen zu lauschen, dem Frühlingszwitschern der Vögel (das diesmal besonders schön klingt). Dem Knistern der Klopapierpackungen. […]
Bücher sind Lebensmittel | Monika Osberghaus, Schriftstellerin und Verlegerin von Klett Kinderbuch, Facebook, 13. März
[…] Nächstes Jahr wird unsere gute alte Leipziger Buchmesse wieder so sein wie immer. Das werden wir dann alle noch mehr zu schätzen wissen. […] Ich mag es, wie viele Ideen überall sprudeln, das Beste draus zu machen. Bücher sind Lebensmittel, gerade jetzt wird das so klar wie die Brühe von Thomas‘ Markklößchen-Kinderbuchstabensuppe. […]
Stille | Clemens Meyer, Schriftsteller, Der Spiegel, 7. März
[…] Und es wird sein eine stille am abend, / dass durch die wand man das rascheln / der kakerlaken, der nachbarn / immerwährendes schweigen hört.“ Und ja, so still liegen die Hallen der Leipziger Messe, wie der Leipziger Dichter Andreas Reimann es in einem seiner Gedichte beschreibt, still liegt auch die Stadt L., im Morgenlicht, im Abendlicht. Ich glaube ja, dass der Stein konserviert und bewahrt, dass er Leben und Stimmen bannt, so wie wir, wenn wir genau hinhören, auch Wolfgang Hilbigs „Stimme Stimme“ auf dem Leipziger Hauptbahnhof vernehmen, sei es in der Bierbar Gleis 8 oder im alten Wartesaal, der nun ein Starbucks beherbergt. […]
Auerbachs Keller | Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung, 3. März
[…] Die Leipziger Buchmesse lebt nicht vom Handel mit Lizenzen, sie ist das größte Literaturfestival der Bundesrepublik. Sie hat als Messe die Jahre nach 1989/90 überlebt, weil sie auf die physische Präsenz, auf das performative Potenzial der Literatur gesetzt hat, auf dem Messegelände, in der Stadt.
[…]
Die Lieferketten sind nicht unterbrochen, die Bücher, die in Leipzig ihren Auftritt gehabt hätten, liegen auch in den Buchhandlungen. Man kann sie mit nach Hause nehmen. Auch dort gibt es Wein. Die Leipziger Buchmesse aber ist Auerbachs Keller, sie verwandelt Bücher in Literatur live, Ausschank und Gasthaus ist sie näher als dem einsamen Leser, Geist ohne Körper gibt es hier nicht. Schade, dass sie eben deshalb abgesagt werden musste. […]
Als wäre mir die Luft rausgelassen worden | Holger Ehling, Holger Ehling Media, per Mail
[…] auch von der schönen Algarve aus habe ich mit Euch gehofft und gebangt, und fühle mich jetzt, als wäre mir die Luft rausgelassen worden. Ihr habt die Situation m.E. genau richtig behandelt, ohne Panik, sehr professionell und konsequent. Mir hat gefallen, dass Ihr Euch nicht in irgendwelche Debatten habt treiben lassen – da hättet ihr erstens nichts ausrichten und zweitens nichts gewinnen können. […] Ich weiß, dass ihr jetzt mit den Aufräumarbeiten ein paar heftige Wochen vor Euch habt und wünsche Euch dafür viel Kraft und gute Nerven. Ihr wisst, dass ich an Euch denke…[…]
Feiern wir, jetzt erst recht! | Karin Schmidt-Friderichs, Verlegerin und Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Börsenblatt, 12. März
[…] „Machen ist wie Wollen, nur krasser“, schreibt man sich in Kreativkreisen auf Buttons. Die Leipziger Buchmesse hätte in diesen Tagen abermals die Kraft des Machens erlebbar werden lassen. Sie wurde ein Lesefest, das seinesgleichen sucht. Sie wurde zum niederschwelligen Angebot an alle, die Bücher lieben und an die Zukunft des Buches glauben. Sie wurde der Treffpunkt der Leserinnen und Leser mit den Autorinnen und Autoren. Leipzig lockt mit niedrigen Eintrittspreisen junge Menschen. Selten ist – wo es ums Buch geht – das Publikum so jung, so dynamisch, so durchmischt, so identifiziert. Bis in die Kneipen der Stadt. Bis in die Nacht. […] So geht Leseförderung. So geht Leselust. So geht Buchbegeis¬terung. Lesen ist nicht nur der vordergründig private Akt entschleunigter Ich-Zeit, Lesen ist nicht nur Co-Kreation beim Schreiben des Drehbuchs für das Kino im eigenen Kopf, Lesen ist nicht nur Bildung. Lesen ist eine Erweiterung des eigenen Lebensentwurfs. […]
Sonderpreis der Leipziger Buchmesse geht an: die Vernunft | Margarethe Stokowski, Autorin und Kolumnistin, Die Tageszeitung, 3. März
[…] Nun ist die Messe wegen Coronagefahr abgesagt und die Menge gespalten. War es richtig, war es falsch? Meine Meinung: Es ist natürlich wahnsinnig traurig für die Veranstaltungen, die geplant waren, für die Autor:innen und ihre Bücher, die Cosplay-Kids und ihre Kostüme. Und trotzdem richtig und gut und vernünftig. […]
Besonders katastrophal für Debütanten | Constanze Neumann, Chefin des Aufbau-Verlags im Interview mit Spiegel Kultur am 9. März 2020
[…] Besonders katastrophal ist der Ausfall für Debütantinnen und Debütanten. Leipzig bemüht sich besonders um sie; und auch um die osteuropäische Literatur. Aber für jede Autorin, jeden Autor, der nach Leipzig fahren sollte, ist die abgesagte Messe ein Verlust und eine Chance weniger. […]
Die Unruhe der Bücher | Dirk Knipphals, Redakteur, Die Tageszeitung, 15. März
[…] Vielleicht sieht man in dieser Situation, in der sie fehlt, überhaupt erst so richtig, was eine Buchmesse leistet. Es ist weit mehr, als Sichtbarkeit herzustellen für Themen, Autorinnen und Bücher bis weit in die Gesamtgesellschaft hinein. Es geht auch um etwas Prinzipielles: Die deutschen Buchmessen machen nämlich anschaulich deutlich, dass es keineswegs ein Rückzug ist, wenn man liest. Vielmehr steht man als Leserin und Leser mittendrin in den gesellschaftlichen Debatten und symbolischen Verschiebungen, die mit diesen Debatten einhergehen. Gerade in Deutschland mit seinen Innerlichkeitsfantasien rund ums Lesen sind solche Diskursmaschinen wie die Buchmessen eigentlich unverzichtbar, denn sie arbeiten gegen die romantisierenden Klischees an, die in der deutschen Buchbranche so gerne über das Lesen verbreitet werden. […]