Tom Geißlers Oma war felsenfest davon überzeugt: ‚Junge’, sagte sie immer, ‚du wirst irgendwann mal bei einer Bank arbeiten’. Die großmütterliche Prophezeiung hat sich nicht erfüllt. Zum Glück, wie Geißler, Referent für die Tageskassenkoordination bei der Leipziger Messe, aus heutiger Sicht findet. Mit vielen Zahlen und größeren Geldbeträgen hat er dennoch zu tun. Aber das ist, wie man sich leicht vorstellen kann, längst nicht alles. Geißler ist in der Abteilung Digitale Geschäftsmodelle / Besucherservices beschäftigt, die wiederum in die Fachbereiche Ticketing, Tageskasse, Einlassmanagement und Hotel aufgeteilt ist. Die Herausforderungen sind mannigfaltig, gerade im Bereich Ticketing sind Messen sehr arbeits- und planungsintensive Veranstaltungen geworden.
Es beginnt bereits mit der Wegeführung der Besucherströme, wenn es gilt, Gruppen mit und ohne Karten zu entzerren: „Wie besetze ich Kassen? Nutzen wir Sondereingänge? Bei der Buchmesse bieten wir Karten für Wochentage und das Wochenende zu unterschiedlichen Preisen an – und versuchen so, eine steuernde Wirkung zu erzielen.“ Der Trend, so Geißler, gehe eindeutig in Richtung des digitalen Kartenkaufs im Vorfeld. „Wenn ich das Nahverkehrsnetz kostenlos nutzen kann und mich nicht noch einmal extra anstellen muss, sind das schon Vorteile.“ Eine weitere logistische Herausforderung: 80 Prozent der Besucherinnen und Besucher kommen in der Zeit zwischen 9 und 12 Uhr. Bei der Publikumsmesse Haus-Garten-Freizeit im Februar gab es die Möglichkeit, neben der Tageskarte zu 14 Euro eine „Nachmittagskarte“ für nur neun Euro zu erwerben.
Auch Tom Geißler war das, was man ein typisches „Messe-Kind“ nennt: Bereits seine Mutter arbeitet hier, und so war es ganz normal, dass der Steppke schon mit fünf, sechs Jahren übers Messegelände zog – damals noch jenes der technischen Messe, unterm riesigen Doppel-M im Südosten der Stadt. Kein Wunder, dass Geißler während seines BWL-Studiums an der Fachhochschule Merseburg als Aushilfe im Tageskassen-Bereich arbeitete. Und später ein Praktikum in der Messe-Abteilung für strategische Akquisition / Neuproduktentwicklung absolvierte. Es war just jene Abteilung, die die Designers Open 2013 zur Leipziger Messe geholt hatte.
Bei der Leistungsschau der Kreativbranche, die 2020 aus dem Messe-Portfolio fiel, arbeitete Tom Geißler zwei Jahre als Projektmanager, um dann zu einem Online-Shop zu wechseln, den ein alter Schulfreund von ihm betrieb. „Es hat großen Spaß gemacht“, erinnert sich Geißler an diese Zeit. „Aber Online bedeutet eben auch 24/7 Stress, man rennt praktisch nonstop den Vorgaben der Online-Riesen hinterher.“ Nach drei Jahren liebäugelte das Ex-Messe-Kind Geißler dann tatsächlich wieder mit einem Job bei der Messe. Wenn er zurückkommen sollte, so hatte er schon bei seinem Ausscheiden bei der Designers Open gedacht, dann in die Betreuung und Koordination des Tageskassen-Geschäfts, was er von der Pike beherrschte.
Was hat ihn gereizt? „Einerseits“, erklärt Tom Geißler, „hat man mit jungen Leuten zu tun. Früher war das ein eingeschworener Haufen. In Zeiten, wo viel über Online-Kanäle abgewickelt wird, verfügen wir über einen eher kleinen Pool fester Aushilfen. Das Bild wandelt sich bei Großveranstaltungen wie der Buchmesse, wo man auf einen Schlag 50, 60 Neue einweisen muss.“ Was ebenfalls für seine Tätigkeit spricht: „Es ist kein reiner Schreibtisch-Job. Ich komme in die Hallen rein, auch Dienstreisen fallen regelmäßig an.“ Letztes Jahr war Geißler in München, Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf – Städte, in denen die Leipziger Messe Veranstaltungen durchführt. „Wir könnten die Tageskassen dort auch als Dienstleistung einkaufen“, erklärt Geißler, „machen das aber in der Regel selbst. Wir stellen Personal ein, bringen unsere Technik mit, bauen dort auf.“
Im April 2019 hat Tom Geißler seinen Job angetreten, nur ein paar Wochen nach der letzten Leipziger Buchmesse vor Corona-Zeiten. „Seitdem warte ich händeringend darauf, endlich wieder eine Buchmesse wuppen zu dürfen.“ Seine Feuertaufe wurde die Modell-Hobby-Spiel im Herbst 2019. Den ersten Messetag wird er so schnell nicht vergessen: In Halle 5 fielen wie durch Zauberhand die EC-Geräte aus, obwohl Kassen und Drehkreuze noch Freitagabend und Samstagfrüh doppelt und dreifach gecheckt wurden. Der Teufel, der im Detail steckt. „Ein Albtraum“, sagt Geißler. „Eine ehemalige Kollegin, die als Besucherin kam, hat mir spontan geholfen.“ Und: „Ich habe das Glück, dass ich auch in solchen Extremsituationen relativ ruhig bleibe. Vor den Mitarbeitern in Hektik verfallen hilft auch keinem!“
Entsprechend geerdet kam Tom Geißler auch durch die Monate der Pandemie. Er war im Testzentrum im Leipziger Rathaus tätig, wo ebenfalls Registrierungs-Logistik benötigt wurde, und betreute eine ganze Reihe hybrider Veranstaltungen. Dazu wurden alle Abläufe seiner Abteilung wieder und wieder auf Herz und Nieren geprüft: „Irgendwann droht man ja, in den Alltags-Routinen betriebsblind zu werden. Wir haben geschaut, wie man Prozesse optimieren, neu und besser organisieren kann.“ Sein Job, weiß Geißler, erfordert sowieso ständiges Lernen – von Beschilderung und Wegeführung bis zu den Abrechnungsprozessen, die ihn noch in Atem halten, wenn die jeweiligen Messen längst gesungen sind. Und jetzt, endlich: Ruhe vor dem Sturm: Die Buchmesse Ende April fest im Blick. Tom Geißler lächelt und strafft sich: „Ich weiß mehr, als in meinem ersten Jahr – und kann mich mehr auf die Veranstaltung freuen, als ich das 2020 hätte tun können. Es wird aufregend. Aber ich bin entspannt.“