Autor: Nils Kahlefendt

Angekommen
24. November 2016
Sprungbrett Leipzig: Nachwuchsautoren und ihr Weg in den Literaturbetrieb.
Autor: Nils Kahlefendt

Angekommen
24. November 2016
Sprungbrett Leipzig: Nachwuchsautoren und ihr Weg in den Literaturbetrieb.

„Eigentlich“, sagt Iris Fox, „habe ich schon immer geschrieben und mir Geschichten ausgesponnen. Aber das geschah nie bewusst, immer in meinem Kopf.“ Dabei steht die junge Frau, die mit ihrer Familie im niedersächsischen Syke wohnt und als Nachtbereitschaft in der Altenhilfe arbeitet, mit beiden Beinen im Leben. Ernsthaft gefolgt ist sie ihren Schreib-Impulsen nie – bis zu jenem Tag im Februar 2014, als sie der Plot einer Kurzgeschichte nicht mehr losließ: „Ich habe mich an den Küchentisch gesetzt, den Laptop aufgeklappt und losgeschrieben – ohne zu ahnen, wohin mich das führt.“ Rasch entwickelten die Figuren ein Eigenleben – aus ein paar Zeilen wurden Seiten, Kapitel reihte sich an Kapitel.

Aufs Urteil der besten Freundinnen wollte sich Fox nicht verlassen; nachdem sich ein Bekannter der Familie, Lektor im Ruhestand, des Manuskripts angenommen hatte, wurde gefeilt und geschliffen. „Ich habe Personen rausgeschrieben, Lieblings-Szenen gestrichen“, erinnert sich Fox. Irgendwann stand die Frage unübersehbar im Raum: „Wie bringe ich meinen Roman bei einem Verlag unter? Habe ich überhaupt eine Chance?“ Im Netz stieß sie auf die Ausschreibung des Bundesverbands junger Autoren und Autorinnen zum Speed Dating „Autor trifft Verleger“ auf der Leipziger Buchmesse. Fox fasste sich ein Herz und reichte Leseprobe und Exposé ihres Romanmanuskripts ein. „Wenn ich’s nicht probiere“, sagte sie sich, „finde ich nie heraus, ob ich das schaffe.“

Das Zehn-Minuten-Date

Der BVjA, der 2017 sein 30jähriges Bestehen feiert, möchte angehenden Autoren durch Informationen und Kontakte den Weg ins Literaturgeschäft erleichtern – wobei „jung“ keine Frage des Alters ist. Zu den rund 600 Mitgliedern gehören auch gestandene Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Tanja Kinkel oder Markus Orths, die dem Verband seit ihrer Debütanten-Zeit verbunden geblieben sind. Anfangs hatten auch sie keine Erfahrung mit dem Betrieb und, was noch schwerer wiegt, kaum Kontakte. „Genau hier sollte unser Meet & Greet zwischen Autoren und Verlagen auf der Leipziger Buchmesse ansetzten“, erklärt BVjA-Sprecher Tobias Kiwitt. 90 angehende Autoren trafen zur Premiere 2015 auf Lektoren und Programm-Macher aus rund 20 Verlagen, darunter auch renommierte Häuser wie Ullstein oder Piper. 2016 wechselte man in einen größeren Saal im CCL. Das Procedere: Jeder vom BVjA ausgewählte Autor kann maximal bei drei Verlagen pitchen, jedes Date dauert zehn Minuten.

Perfekter Einstieg im Digitalverlag

Nach ihrer Leipziger Feuertaufe landete Iris Fox’ Roman-Manuskript 2015 im Lektorat von Forever by Ullstein, einem auf Frauenunterhaltung spezialisierten Digital-Imprint des Publikumsverlags. Doch nach mehreren Wochen kam die Absage. Es zeugt vom Mut und Beharrungsvermögen der jungen Autorin, dass sie am Ball blieb: Sie überarbeitete ihr Manuskript, und bewarb sich 2016 erneut – wieder bei Forever. „Im Gespräch mit der Lektorin bin ich ganz offen mit der Vorgeschichte umgegangen“, sagt sie. Diesmal funkte es: Kurz nach der Buchmesse im März flatterte die Zusage ins Haus. „Ein emotionaler Moment für einen Underdog“, lacht Fox. Nach drei Monaten intensiver Arbeit mit der Lektorin Luisa Pagel erschien Mitte Juli ihr Romandebüt „Love Happens – Zwei sind einer zu viel“ als E-Book. Parallel zum Launch des Romans chattete sie auf dem Portal Lovelybooks mit ihren Leserinnen. „Für eine Newcomerin wie mich ist ein Digitalverlag, der rasch reagieren kann, der ideale Einstieg“, ist Iris Fox überzeugt. Seit mehr als einem Jahr arbeitet sie, nun auch Mitglied im BVjA, an einem neuen Projekt: Ein neues Pärchen, neue Probleme. „Die Geschichten laufen im Alltag mit.“

Seriöse Alternative zu Druckkostenzuschussverlagen

Keine zweieinhalb Jahre von der Idee zum fertigen Buch – ein Idealfall. Doch bei weitem nicht der einzige: 11 Verträge konnten nach dem Speed-Dating im März unter Dach gebracht werden, weitere sind noch in Verhandlung. Wie bei der Auswahl der beteiligten Verlage schaut der BVjA auch hier ins Kleingedruckte und berät seine Mitglieder, wenn diese das wünschen. „Wir legen großen Wert auf die Seriosität der Verlage und Agenturen, die am Speed-Dating in Leipzig teilnehmen“, erklärt Tobias Kiwitt, selbst Autor und im Brotberuf Rechtsanwalt. „So genannte Druckkostenzuschussverlage werden beim Meet & Greet nicht zugelassen.“ Der BVjA hat sich der „Qualitätssicherung im Verhältnis von Autoren und Verlagen“ verschrieben und gehört so zu den Hauptinitiatoren des 2008 gegründeten Aktionsbündnisses Fairlag, das auf Missstände im Verlagswesen aufmerksam macht; Missstände, die oft einseitig zu Lasten branchenunerfahrener Newcomer gehen. „Wir wollen seriöse Alternativen fördern.“

Professionelles Feedback für Newcomer

Jedem Anfang, heißt es, wohnt ein Zauber inne: Als kleiner Junge hat Carl Wilckens mit Buntstift und heißen Händen die Buchstaben seines Lieblings-Kinderbuchs abgemalt, als Teenager schrieb er Geschichten, die sich zu wild wuchernden Romanen auswuchsen – und zeichnete Cartoons. „Zu phantastischen Welten habe ich mich immer hingezogen gefühlt“, sagt er. „Das Schöne am Schreiben ist, dass man sich seine ganz eigenen Welten erschaffen kann.“ Die ersten Leser seiner Romane sind die fünf Geschwister, die mit ihm in der niederrheinischen Provinz aufwachsen; die Mutter, die als Deutschlehrerin arbeitet, und eine Patentante fördern das Talent des Jungen nach Kräften. Doch wie geht man die ersten Schritte aus dem rein privaten Bereich des Schreibens heraus, in dem Freunde und Verwandte unverbindlichen Zuspruch leisten? Auch für den phantasiebegabten Jungen vom Niederrhein, der in Krefeld und Duisburg Maschinenbau studiert und in einem Startup jobbt, bleibt das Schreiben ein liebgewordenes Hobby.

Qual der Wahl

Daran ändert sich auch nichts, als Wilckens 2015 einen seiner Romane beim ersten Speed-Dating auf der Leipziger Buchmesse vorstellt. Einen Vertrag bekommt er noch nicht – dafür, zum ersten Mal, professionelles Feedback. Wilckens bleibt eisern, feilt am Stil, konsultiert Ratgeber für professionelles Schreiben. Sein Projekt ist ehrgeizig: Als Leser liebt er großangelegte Würfe wie die achtbändige, düstere Fantasy-Saga „The Dark Tower“ von Stephen King. „Ich habe mich immer wieder gefragt, was das Zentrum meines Universums, mein ‚Schwarzer Turm’ sein könnte“, erinnert sich Wilckens. Irgendwann war klar: Er wird seinen Helden ein Tagebuch finden lassen, das die Spur zu dessen verlorener Schwester weist. „Doch am Ende des Buchs fehlen genau 13 Seiten.“ Mit jeder aufgespürten Seite wird der Protagonist dem Geheimnis der Schwester näherkommen – macht, in Summe, 13 Bücher, die sich zu einem Fantasy-Zyklus fügen sollen. Als Wilckens im März 2016 Leseprobe und Exposé beim Speed-Dating vorstellte, konnte er sich sogar zwischen zwei Verlagsangeboten entscheiden – für den Newcomer eine fast luxuriöse Situation. Das Rennen machte am Ende der Hamburger Acabus Verlag, vor wenigen Wochen gab Wilckens den unterschriebenen Vertrag in die Post. „Das Angebot war zwar finanziell weniger attraktiv, aber ich hatte das Gefühl, dass der Independent-Verlag für das Projekt brennt.“

„Auf dem Teppich bleiben!“

Auf Carl Wilckens, ebenfalls frisch gebackenes Mitglied im BVjA, warten spannende Monate: Bereits im kommenden März, rechtzeitig zur Buchmesse, soll der erste Band seiner Saga zwischen Buchdeckeln sein. Den Lektorats-Prozess wird der Autor aus Südamerika begleiten: Eben ist er zu einem Auslands-Semester nach Lima aufgebrochen. Klausuren auf Spanisch, dazwischen Textarbeit in der Fantasy-Welt: „Das wird schwierig“, ahnt Wilckens. „Aber gemeinsam mit dem Verlag ist es zu schaffen.“ Einmal von der Schriftstellerei leben zu können, bleibt für den jungen Mann mit Sinn fürs Handfeste eine schöne Traumvorstellung. Zunächst gilt: „Schön auf dem Teppich bleiben.“

Iris Fox, 1982 in Elmshorn geboren, lebt mit ihrer Familie in Syke bei Bremen. Nach Schulabschluss und Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten arbeitete sie zunächst im medizinischen Bereich und wechselte nach ihrer Elternzeit als Nachtbereitschaft in eine Einrichtung der Altenpflege. Ihr erster Roman „Love Happens – Zwei sind einer zu viel“ ist soeben im E-Book-Verlag Forever by Ullstein erschienen.

Carl Wilckens, Jahrgang 1990, ist im niederrheinischen Alpen aufgewachsen. Nach dem Abitur begann er ein Maschinenbau-Studium in Krefeld und Duisburg; gegenwärtig absolviert er ein Auslandssemester in Lima (Peru). Im Frühjahr 2017 wird im Hamburger Acabus Verlag der erste Band seiner Fantasy-Saga „13“ (Arbeitstitel) erscheinen.

Der Bundesverband junger Autoren und Autorinnen (BVjA), 1987 gegründet, verfolgt das Ziel, Autoren jeden Alters durch Informationen und Kontakte den Weg in den Literaturbetrieb zu erleichtern. Dazu gehören eigene Publikationen ebenso wie die Organisation von Autorentreffen, Seminaren und Lesungen. Zur Leipziger Buchmesse lädt der BVjA seit 2015 Newcomer und Verlage ein, im Rahmen eines Autoren-Pitchs neue Buchprojekte zu planen.

Illustration: Anna Kutukova / Shutterstock.com
Fotos: Forever by Ullstein, Andrea Zmrzlak

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In digitalen Zeiten ändert sich das Verhältnis zwischen Autoren und Verlagen, ein Prozess, der alle Bereiche der Wertschöpfung erfasst. An die Stelle des klassischen Modells der „Verlegermesse“, das in Leipzig über Jahrhunderte prägend war, rücken die Konturen einer modernen Messe der Autoren und Leser: Ihre Bedürfnisse werden konsequent in neuen, innovative Ausstellungs-Segmenten und Veranstaltungsformaten abgebildet. Die Partnerschaft der Messe mit dem BVjA ist hier nur eines von vielen Beispielen. Übrigens: Das nächste Speed-Dating „Autor trifft Verleger“ findet am Buchmesse-Sonntag, 26. März 2017 im Congress Center Leipzig (CCL) statt.

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