Der Buchhandel ist der wichtigste Partner der Leipziger Buchmesse, die deutschsprachige Literatur einer ihrer Schwerpunkte. Unter dem Motto „Your Place to read“ lesen ab März Autorinnen und Autoren in 12 Buchhandlungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die Messe zahlt Honorare und Reisekosten aus Fördergeldern der Kulturstaatsministerin. Los geht’s am 9. März bei Lessing und Kompanie in Chemnitz: Jutta Hoffritz (Verlagsgruppe HarperCollins) und Christian Bommarius (dtv) sprechen mit Moderatorin Melanie Longerich (Deutschlandfunk) über das deutsche Schicksalsjahr 1923 und ihre Bücher zum Thema.
Für Buchhändler Klaus Kowalke ist der Start auf dem Chemnitzer Kaßberg eine super Reverenz an die Kulturhauptstadt in spe. Der Kaßberg, eines der größten Gründerzeitviertel Deutschlands, ist eher kein Hipster-Biotop. Dennoch ist miteinander leben hier mehr, als Amazon- und Zalando-Päckchen für den abwesenden Nachbarn anzunehmen. Hier eröffneten Kowalke und seine Partnerin Susanne Meysick im März 2008 ihre Buchhandlung „Lessing und Kompanie“ – ein wunderbarer Link von der Chemnitzer Theodor-Lessing-Straße zu Sylvia Beachs Traumbuchhandlung Shakespeare & Co. in Paris.
Wir nehmen den Start der Buchhandelstour zum Anlass, um mit Klaus Kowalke über Buchhandlungen als Lese-Orte und Magneten für Literatur- und Kultur-Interessierte zu sprechen. Aber auch über die Leidenschaft, mit der Buchhändlerinnen und Buchhändler landauf, landab immer wieder neue, spannende Begegnungen zwischen Autoren und Leser-Gemeinde organisieren.
Hand aufs Herz, Klaus: Sind Lesungen für Dich die Königsdisziplin, wo Du als Buchhändler Deinen kuratorischen Ehrgeiz ausleben kannst? Oder der Ausgangspunkt von viel Arbeit und häufigem Heimkommen weit nach Mitternacht?
Klaus Kowalke: Lesungen und andere Veranstaltungsformate machen riesigen Spaß – aber auch jede Menge Arbeit. Wir bekommen sehr viele Anfragen von Verlagen, auch von Autorinnen und Autoren direkt. Oft müssen wir ‚Nein’ sagen, wir könnten sonst an allen 365 Tagen des Jahres mehrere Lesungen anbieten. Bedenkt man, dass das alles seriös finanziert werden soll – wer bei uns auftritt, soll ein faires Honorar erhalten, dazu kommen Reise- und Übernachtungskosten – müssen wir sorgfältig auswählen.
Wie viele Veranstaltungen macht ihr pro Jahr?
Kowalke: Bis zur Corona-Pandemie haben wir in der Regel jeden zweiten Donnerstag im Monat eine Lesung angeboten, ab 2020 haben wir dann auch mit kleineren Open-Air-Formaten experimentiert, die tagsüber vor der Buchhandlung liefen, quasi mitten im laufenden Straßenleben.
In Corona-Zeiten habt ihr begonnen, auch andere Genres zu bespielen, zuallererst die Musik?
Kowalke: Wir haben im Lockdown mit befreundeten Musikern der Robert-Schumann-Philharmonie gesprochen, die auch nicht auftreten konnten. So wurde der „FreitagsLuK“ geboren; von Mai bis September, den ganzen Sommer über, gab es die letzten beiden Jahre immer freitags 19.30 Uhr Konzerte mit wechselnden Beteiligten vor dem Laden. Wir haben das mit kleinem Geld, aus eigener Tasche finanziert. 2022 gab es dann sogar eine Mikroprojekt-Förderung der Stadt.
Wie plant ihr eure Lesungen? Nach welchen Kriterien wählt ihr aus?
Kowalke: Wir arbeiten die Vorschauen mit den Novitäten durch, überlegen dabei, welche Autorinnen und Autoren zu uns passen könnten. Belletristik nimmt den Löwenanteil ein, auf zehn Lesungen kommt vielleicht ein Sachbuch. Aber wir versuchen, einen guten Mix herzustellen, bei uns ist auch für Fantasy oder Kinderbücher Platz. Wir nehmen auch Anregungen von unseren Kundinnen und Kunden auf. Am Ende gilt immer: Wenn wir schon Leute einladen, muss es auch uns selbst Spaß machen.
Gegenwärtig hört man häufiger von zögerlich besuchten Kinos und Theatern – wie ist das mit euren Lesungen?
Kowalke: Es ist schwieriger geworden. Das Eintrittsgeld ist kein wirklicher Bestandteil der Finanzierung, eher der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Dabei bemühen wir uns schon um eher günstige Preise. Eine klassische Lesung kann man bei uns in der Regel für zehn Euro erleben. Aber die Infrastruktur kostet ja auch, von Strom, Wasser und Heizung bis zu den Überstunden des Personals!
Nicht alle Veranstaltungen finden bei euch im Laden statt?
Kowalke: In den letzten Jahren sind wir mit größeren Lesungen regelmäßig ins „Metropol“ gegangen, ein imposantes Kino, das 1912/13 am Fuß des Kassbergs, in der Zwickauer Straße, errichtet wurde. Wenn’s voll ist, sind alle glücklich, aber du kannst auch Pech haben: Vor einer Lesung von Nino Haratischwili, die sehr stark nachgefragt war, gab es Eisregen, so dass am Abend ‚nur’ 80 Leute kamen. Hin und wieder sind wir auch im Club „Atomino“ oder im „Weltecho“ gewesen; das Gros der Veranstaltungen findet aber hier im Laden statt.
2014 fiel der Startschuss für euer ungewöhnliches Projekt „EinhundertMeter Weihnachtsmarkt“, bald darauf kam „EinhundertMeter Sommer“ dazu. Was ist da passiert?
Kowalke: Das hat mit dem besonderen Charakter des Kassberg zu tun, wir sind eine gute Nachbarschaft. Der Weihnachtsmarkt sollte Anwohner und Händler zusammenbringen. Uns schwebte ein Straßenmarkt der etwas anderen Art vor, einer, der eben nicht auf der Straße stattfindet – und damit das Ordnungsamt auf den Plan rufen würde. Mit rund 30 befreundeten Geschäften, Initiativen, Künstlern und Musikern aus der ganzen Stadt wurden die privaten Vorgärten und Freiflächen vor den Häusern der oberen Franz-Mehring-Straße in eine turbulente Meile verwandelt, dazu gab es an zwei Tagen nicht nur Glühwein und Kuchen, sondern auch ein opulentes Kulturprogramm – vom Bläserensemble der Chemnitzer Mozart-Gesellschaft bis zum Geigenkonzert und mehreren Chören. Wir holten keine gewerbliche Gastronomie dazu, der Reiz des Ganzen besteht im ‚handgemachten’ Charakter. Zur Premiere kamen rund 3000 Chemnitzer, im Jahr darauf waren es an die 5000, inzwischen reisen Leute aus dem Umland an. Bei der Sommermeile gibt es immer ein Motto, und eine Jury aus Chemnitzer Promis, die wir Buchhändler zusammentrommeln, entscheidet, wer die beste Idee hat. Als Preis winkt ein opulenter Warenkorb, der von allen beteiligten Händlern bestückt wird.
Was zeichnet für Dich eine ideale Lesung aus?
Kowalke: Sowohl die geladenen Autorinnen und Autoren wie auch das Publikum sollen sich wohl fühlen. Idealer Weise ist es ein Abend mit Mehrwert für alle – in ganz seltenen Fällen wird daraus ein unvergessliches Erlebnis. So war es bei uns 2019, als wir am Vorabend der PEN-Jahrestagung in Chemnitz zu einer klitzekleinen Lesung mit Leuten aus dem damaligen Vorstand eingeladen hatten. Am Ende war die Bude proppenvoll, die Leute saßen sich auf dem Schoß, wildfremde Menschen haben Freundschaft geschlossen. Es war ein Traum!
Eure Buchhandlung feiert im März ihren 15. Geburtstag – am Ende auch mit einer Lesung?
Kowalke: Der 29. März liegt mitten in der Woche, aber wir wollen genau am Gründungstag feiern. Es wird eine Kinderbuch-Lesung mit Rusalka Reh geben, das Kraftwerk-Ensemble der Robert-Schumann-Philharmonie wird ein einstündiges Umsonst & Draußen-Konzert geben, und abends spielen unsere Freunde von Foreghost einen Mix aus Folk und Electronica. Es kann nur großartig werden.