Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschieden sich die Organisatoren des eigentlich schon für 2021 geplanten portugiesischen Gastlandauftritts von Leipzig. Angesichts der nach pandemiebedingt zweijährigem Warten doch noch zustande gekommenen „Unerwarteten Begegnungen“ ist Patrícia Barreto, Kulturrätin der Botschaft von Portugal in Berlin und Kuratorin für den Gastland-Auftritt überzeugt, dass die mehr als 50 übersetzten Bücher ihren Weg machen. „Wir haben die große Begeisterung des Publikums für die neu ins Deutsche übersetzten Werke gespürt“, sagt Barreto. „Die Tatsache, dass zehn Millionen Portugiesen ihre Sprache mit 260 Millionen Menschen in vielen weiteren Ländern in der Welt teilen, hat die Sprache und die in ihr verfasste Literatur immens bereichert – das haben wir in Leipzig unter Beweis gestellt.“
Auf dem Programm im Haus des Buches und in der Schaubühne Lindenfels standen zum einen Würdigungen von literarischen Größen: So wurden etwa die Dichterin Sophia de Mello Breyner Andresen sowie Literaturnobelpreisträger José Saramago geehrt, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. Genauso wichtig waren zeitgenössische Autorinnen und Autoren wie Dulce Maria Cardoso, José Luís Peixoto oder Margarida Vale de Gato. Um den Wahrnehmungen unterschiedlicher Realitäten und unterschiedlicher Visionen von der Welt in Afrika, Brasilien, Europa und Ozeanien gerecht zu werden, kamen viele neue Stimmen aus dem lusophonen Raum zu Gehör, darunter Djamilia Pereira de Almeida und Yara Monteiro. In Leipzig zeigte sich nicht nur die zunehmende Stärke der weiblichen Stimmen, sondern auch die besondere Bedeutung von Themen wie Postkolonialismus, Sozialkritik oder die Suche nach dem Ich in der aktuellen portugiesischsprachigen Literatur.
Transporteure dieser Literatur wie die Übersetzerin Marianne Gareis oder ihr Kollege Michael Kegler werden einfach weiterarbeiten – ebenso wie das Netzwerk Traduki, das es, nach drei Jahren des überwiegend virtuell gelaufenen Südosteuropa-Messe-Schwerpunkts „Common Ground“, noch einmal bei der Balkan-Nacht im UT Connewitz krachen lässt. „Wir und sie – vom Verbindenden im Anderssein“ ist das Programm im dritten Jahr überschrieben. „Wir versammeln Autorinnen und Autoren, in deren Büchern Menschen darauf bestehen, einen eigenen Lebensweg zu wählen, wo Kinder die für sie vorgesehenen Rollen nicht zu spielen bereit sind und gängige Zuschreibungen nicht einfach übernommen werden“, erklärt Programmkuratorin Hana Stojić. „Es sind Bücher über Menschen, die weitreichende Konsequenzen kurzsichtiger Entscheidungen politischer Machthaber zu tragen haben, aber auch Bücher über Träume, Hoffnungen und Ängste, wie wir alle sie kennen bei dem Versuch, das Leben zu meistern.“ Man wird sich wiedersehen: Auf dem Youtube-Kanal von Traduki, auf der Buch Wien – und selbstverständlich der nächsten Leipziger Buchmesse.
Preis der Leipziger Buchmesse für Tomer Gardi („Eine runde Sache“), tags zuvor den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung für Karl-Markus Gauß: Im Fußballjargon würde man sagen, dass die Österreicher momentan so etwas wie einen Lauf haben. In der Schaubühne Lindenfels, schon jetzt so etwas wie der „inoffizielle Österreich-Pavillon“, präsentieren sich unsere alpenländischen Nachbarn als Gastland der Leipziger Buchmesse 2023. „Meaoiswiamia“ (mehr als wie wir) lautet die offizielle Wortbildmarke – ein Gegenkonzept zum krachledernen „Mia san mia“ bajuwarischer Prägung, eine Sprachskulptur und eine poetologische Setzung gleichermaßen, wie Katja Gasser, künstlerische Leiterin des Gastlandprojekts, betont. Wie wichtig Österreich den Aufschlag nimmt, zeigt der Umstand, dass Andrea Mayer, Staatssekretärin für Kunst und Kultur, trotz Messe-Absage persönlich vor Ort ist. Rund zwei Millionen werden für den bereits am 18. Mai im Österreichischen Kulturforum Berlin startenden und mit der Buch Wien 2023 endenden Gastland-Auftritt in die Hand genommen.
„In Leipzig können wir uns auf Augenhöhe mit den großen Konzernverlagen zeigen“, sagt Benedikt Föger, Präsident des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels. Auch für Oliver Zille macht der lang anvisierte Ösi-Booster Sinn – nicht nur, weil es im Österreichischen Kaffeehaus auf der Messe eh’ den besten Verlängerten gibt: Die Nähe der österreichischen Verlagsszene zu den Sprachen in Südosteuropa ist sprichwörtlich. Wie ernst es unsere Nachbarn mit ihrem Claim meinen, zeigen sie beim langen Länder-Abend in der Schaubühne („Wildes Österreich“): Wenn das Erste Wiener Heimorgelorchester auf den im Kongo gebürtigen Grazer Fiston Mwanza Mujila oder Stefanie Sargnagel trifft, bleibt wirklich kein Auge trocken.
Als die niederländischsprachige Literatur 1993 erstmals im Fokus der Frankfurter Buchmesse stand und Autoren wie Cees Nooteboom, Leon de Winter oder Connie Palmen die Herzen deutscher Leserinnen und Leser eroberten, war Victor Schiferli als jüngster Mitarbeiter des Nederlands Letterenfonds schon mit dabei. Nun freut sich der Amsterdamer auf 2024, wenn die Niederlande und Flandern gemeinsam Gastland der Leipziger Buchmesse sein werden. Der Startschuss für das Programm, das auch auf den spartenübergreifenden Austausch mit Theater, bildender Kunst und Film setzt, fällt bereits in diesem März. „Nachhaltigkeit“ und „Diversität“ sind für die Organisatoren Schlüsselworte. Im Literaturhaus gibt es, moderiert von dem in Amsterdam lebenden deutschen Verleger Christoph Buchwald, einen Vorgeschmack mit Autoren wie Gerda Blees (Wir sind das Licht“, Zsolnay), Mathijs Deen („Der Holländer“, mare) oder Johan de Boose („Das Fluchholz“, btb). Der niederländisch-flämische Bücherpodcast „Kopje Koffie“ stellt bereits jetzt Autorinnen und Autoren mit ihren aktuellen Übersetzungen vor.
Die neuen Betreiber des Gohliser Schlösschens um Geschäftsführer Thomas Roßdeutscher sind kulturaffin im besten Sinn – und so kann mit dem Übersetzerzentrum auch ein weiterer Buchmesse-Klassiker im frisch umgewidmeten „Musenhof am Rosental“ andocken. Einen ganzen Tag lang gibt es dort Lesungen und Diskussionen nonstop, unter anderem ein von Jürgen Jakob Becker moderiertes Podium zum Internationalen Übersetzertreffen des LCB und als „Überraschungsgast mit Krone“ Anne Weber, die frisch gekürte Gewinnerin des Preises der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung.