Autor: Nils Kahlefendt

Unerwartete Begegnung: José Luís Peixoto signiert (c) Tom Schulze

Willkommen und Abschied
3. Juni 2022
März-Splitter (4): Trotz Pandemie war Leipzig Ort für internationale Begegnungen und Vorfreude auf künftige Gastländer
Autor: Nils Kahlefendt

Unerwartete Begegnung: José Luís Peixoto signiert (c) Tom Schulze

Willkommen und Abschied
3. Juni 2022
März-Splitter (4): Trotz Pandemie war Leipzig Ort für internationale Begegnungen und Vorfreude auf künftige Gastländer

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschieden sich die Organisatoren des eigentlich schon für 2021 geplanten portugiesischen Gastlandauftritts von Leipzig. Angesichts der nach pandemiebedingt zweijährigem Warten doch noch zustande gekommenen „Unerwarteten Begegnungen“ ist Patrícia Barreto, Kulturrätin der Botschaft von Portugal in Berlin und Kuratorin für den Gastland-Auftritt überzeugt, dass die mehr als 50 übersetzten Bücher ihren Weg machen. „Wir haben die große Begeisterung des Publikums für die neu ins Deutsche übersetzten Werke gespürt“, sagt Barreto. „Die Tatsache, dass zehn Millionen Portugiesen ihre Sprache mit 260 Millionen Menschen in vielen weiteren Ländern in der Welt teilen, hat die Sprache und die in ihr verfasste Literatur immens bereichert – das haben wir in Leipzig unter Beweis gestellt.“

©Tom Schulze

Auf dem Programm im Haus des Buches und in der Schaubühne Lindenfels standen zum einen Würdigungen von literarischen Größen: So wurden etwa die Dichterin Sophia de Mello Breyner Andresen sowie Literaturnobelpreisträger José Saramago geehrt, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. Genauso wichtig waren zeitgenössische Autorinnen und Autoren wie Dulce Maria Cardoso, José Luís Peixoto oder Margarida Vale de Gato. Um den Wahrnehmungen unterschiedlicher Realitäten und unterschiedlicher Visionen von der Welt in Afrika, Brasilien, Europa und Ozeanien gerecht zu werden, kamen viele neue Stimmen aus dem lusophonen Raum zu Gehör, darunter Djamilia Pereira de Almeida und Yara Monteiro. In Leipzig zeigte sich nicht nur die zunehmende Stärke der weiblichen Stimmen, sondern auch die besondere Bedeutung von Themen wie Postkolonialismus, Sozialkritik oder die Suche nach dem Ich in der aktuellen portugiesischsprachigen Literatur.

©Tom Schulze

Transporteure dieser Literatur wie die Übersetzerin Marianne Gareis oder ihr Kollege Michael Kegler werden einfach weiterarbeiten – ebenso wie das Netzwerk Traduki, das es, nach drei Jahren des überwiegend virtuell gelaufenen Südosteuropa-Messe-Schwerpunkts „Common Ground“, noch einmal bei der Balkan-Nacht im UT Connewitz krachen lässt. „Wir und sie – vom Verbindenden im Anderssein“ ist das Programm im dritten Jahr überschrieben. „Wir versammeln Autorinnen und Autoren, in deren Büchern Menschen darauf bestehen, einen eigenen Lebensweg zu wählen, wo Kinder die für sie vorgesehenen Rollen nicht zu spielen bereit sind und gängige Zuschreibungen nicht einfach übernommen werden“, erklärt Programmkuratorin Hana Stojić. „Es sind Bücher über Menschen, die weitreichende Konsequenzen kurzsichtiger Entscheidungen politischer Machthaber zu tragen haben, aber auch Bücher über Träume, Hoffnungen und Ängste, wie wir alle sie kennen bei dem Versuch, das Leben zu meistern.“ Man wird sich wiedersehen: Auf dem Youtube-Kanal von Traduki, auf der Buch Wien – und selbstverständlich der nächsten Leipziger Buchmesse.

©nk

Preis der Leipziger Buchmesse für Tomer Gardi („Eine runde Sache“), tags zuvor den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung für Karl-Markus Gauß: Im Fußballjargon würde man sagen, dass die Österreicher momentan so etwas wie einen Lauf haben. In der Schaubühne Lindenfels, schon jetzt so etwas wie der „inoffizielle Österreich-Pavillon“, präsentieren sich unsere alpenländischen Nachbarn als Gastland der Leipziger Buchmesse 2023. „Meaoiswiamia“ (mehr als wie wir) lautet die offizielle Wortbildmarke – ein Gegenkonzept zum krachledernen „Mia san mia“ bajuwarischer Prägung, eine Sprachskulptur und eine poetologische Setzung gleichermaßen, wie Katja Gasser, künstlerische Leiterin des Gastlandprojekts, betont. Wie wichtig Österreich den Aufschlag nimmt, zeigt der Umstand, dass Andrea Mayer, Staatssekretärin für Kunst und Kultur, trotz Messe-Absage persönlich vor Ort ist. Rund zwei Millionen werden für den bereits am 18. Mai im Österreichischen Kulturforum Berlin startenden und mit der Buch Wien 2023 endenden Gastland-Auftritt in die Hand genommen.

©Tom Schulze

„In Leipzig können wir uns auf Augenhöhe mit den großen Konzernverlagen zeigen“, sagt Benedikt Föger, Präsident des Hauptverbands des Österreichischen Buchhandels. Auch für Oliver Zille macht der lang anvisierte Ösi-Booster Sinn – nicht nur, weil es im Österreichischen Kaffeehaus auf der Messe eh’ den besten Verlängerten gibt: Die Nähe der österreichischen Verlagsszene zu den Sprachen in Südosteuropa ist sprichwörtlich. Wie ernst es unsere Nachbarn mit ihrem Claim meinen, zeigen sie beim langen Länder-Abend in der Schaubühne („Wildes Österreich“): Wenn das Erste Wiener Heimorgelorchester auf den im Kongo gebürtigen Grazer Fiston Mwanza Mujila oder Stefanie Sargnagel trifft, bleibt wirklich kein Auge trocken.

©Tom Schulze

Als die niederländischsprachige Literatur 1993 erstmals im Fokus der Frankfurter Buchmesse stand und Autoren wie Cees Nooteboom, Leon de Winter oder Connie Palmen die Herzen deutscher Leserinnen und Leser eroberten, war Victor Schiferli als jüngster Mitarbeiter des Nederlands Letterenfonds schon mit dabei. Nun freut sich der Amsterdamer auf 2024, wenn die Niederlande und Flandern gemeinsam Gastland der Leipziger Buchmesse sein werden. Der Startschuss für das Programm, das auch auf den spartenübergreifenden Austausch mit Theater, bildender Kunst und Film setzt, fällt bereits in diesem März. „Nachhaltigkeit“ und „Diversität“ sind für die Organisatoren Schlüsselworte. Im Literaturhaus gibt es, moderiert von dem in Amsterdam lebenden deutschen Verleger Christoph Buchwald, einen Vorgeschmack mit Autoren wie Gerda Blees (Wir sind das Licht“, Zsolnay), Mathijs Deen („Der Holländer“, mare) oder Johan de Boose („Das Fluchholz“, btb). Der niederländisch-flämische Bücherpodcast „Kopje Koffie“ stellt bereits jetzt Autorinnen und Autoren mit ihren aktuellen Übersetzungen vor.

©Tom Schulze

Die neuen Betreiber des Gohliser Schlösschens um Geschäftsführer Thomas Roßdeutscher sind kulturaffin im besten Sinn – und so kann mit dem Übersetzerzentrum auch ein weiterer Buchmesse-Klassiker im frisch umgewidmeten „Musenhof am Rosental“ andocken. Einen ganzen Tag lang gibt es dort Lesungen und Diskussionen nonstop, unter anderem ein von Jürgen Jakob Becker moderiertes Podium zum Internationalen Übersetzertreffen des LCB und als „Überraschungsgast mit Krone“ Anne Weber, die frisch gekürte Gewinnerin des Preises der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung.

Beitrag teilen


Leipzig lebt Literatur: Leipzig und Literatur gehören zusammen. Obwohl die Leipziger Buchmesse 2022 pandemiebedingt abgesagt werden musste, fanden in der Stadt und im Netz vielfältigste literarische Aktivitäten statt, die in den Tagen Mitte März die Buchmesse-Idee weitertrugen – Signale der Hoffnung auf eine kraftvolle Rückkehr der Leipziger Buchmesse vom 27. bis 30. April 2023. In unserer kleinen Serie blicken wir auf die spannendsten und bewegendsten Momente aus dem letzten März zurück.

Weitere Beiträge, die Sie interessieren könnten

Leipzig liest Slider

Alles außer flach! 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 5: Der opulente Gastlandauftritt der Niederlande und Flanderns war eine intelligent orchestrierte Charme-Offensive fürs deutsche Lesepublikum

Literarisches Leben Slider

„Gute Bücher übersetzen ist leicht!“ 

20 Jahre Preis der Leipziger Buchmesse (4): 2018 ging der Preis in der Sparte Übersetzung an Sabine Stöhr und Jurij Durkot für ihre Übertragung von Serhij Zhadans Roman „Internat“. Inzwischen hat der Ukrainer, der lange mit Worten und Musik für die Sache seines Landes gekämpft hat, zur Waffe gegriffen.

Slider Wir

Back to the Roots 

Von der klassischen ‚PK’ bis ‚unter drei’: Der Thüringer Felix Wisotzki, Pressesprecher der Leipziger Buchmesse, organisiert die Kommunikation des Branchen-Großereignisses. Mit der Arbeit fürs Buch ist der studierte Amerikanist zu einer frühen Leidenschaft zurückgekehrt

Leipzig liest Slider

Fest des freien Wortes 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 4: Mit Leipzig liest swingte eine ganze Stadt vier Tage lang im Takt der Literatur. Die heißgeliebte fünfte Jahreszeit – sie war zurück!

Literarisches Leben Slider

Fortüne & Phantasie 

Buchmesse-Nachschlag, Teil 3: In Zeiten zunehmender Markt-Konzentration stehen Independent-Verlage für eine bunte, vielfältige Bücherlandschaft. In Leipzig kommen auch die Kleinen groß raus

International Slider

Wahres Wunder Freundschaft

Buchmesse-Nachschlag, Teil 1: Die Buchmesse eröffnete mit Bundeskanzler Olaf Scholz und der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung an Omri Boehm. Der Gaza-Konflikt platzte in einen Festakt hinein, in dem es um Identitätspolitik und ihre Überwindung ging

Leipzig liest

„Comic ist ein Medium, kein Genre!“ 

Alles außer flach (5): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Die flämischen Comic-Pionierinnen Ephameron und Judith Vanistendael

Leipzig liest Slider

„Vor allem Frauen“ 

Alles außer flach (3): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Die flämische Schriftstellerin Annelies Verbeke

Leipzig liest Slider

Und dann hat’s BUMM! gemacht

Alles außer flach (4): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Matthijs de Ridder, der die flämische Avantgarde-Ikone Paul van Ostaijen an die Pleiße holt

Leipzig liest Slider

Please look at the Basement! 

Alles außer flach (2): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Der flämische Schriftsteller und Bildende Künstler Maarten Inghels

Leipzig liest Slider

Digitale Literaturwelten 

Alles außer flach (1): In einer kleinen Serie stellen wir kreative Köpfe aus den Niederlanden & Flandern, Gastland der Leipziger Buchmesse, vor. Heute: Poetische VR und eine Geschichten-Erzählmaschine

Literarisches Leben Slider

Starke Frauen

Kurt Wolff Preis für den AvivA Verlag: Seit einem Vierteljahrhundert bringt Britta Jürgs mit Energie und Spürsinn die weiblichen Stimmen der Weltliteratur zur Geltung 

International

Fest des Buches

Messe-Nachschlag, Teil 4: Lavinia Braniște über Rumänien in Leipzig, die Mechanismen der Präsenz und das erste Autogramm