Als Jürgen Schütz 2008 mit ein paar guten Ideen, einem Steuerberater und einem Laptop den Septime Verlag gründete, war der Rüdigerhof, ein Jugendstil-Kaffeehaus im 5. Wiener Bezirk, so etwas wie sein verlängertes Büro. Damals wurde die Oldtimer-Sammlung des gelernten Automechanikers, der es im Außendienst für Renault locker auf 70.000 Reise-Kilometer pro Jahr brachte, zur Anschub-Finanzierung. Dreizehn Jahre später ist der Rüdigerhof, indem man eh nicht mehr rauchen darf, wegen Lockdown geschlossen – und Septime einer jener großartigen Independent-Verlage, die immer wieder tolle Bücher aufstöbern, von denen wir bislang nicht wussten, dass sie uns fehlten. Von Anfang an brachte Schütz neben deutschsprachiger Literatur auch Übersetzungen; anfangs vor allem aus dem lateinamerikanischen Raum.
2013 machte ihn eine Journalistin auf einen der renommiertesten portugiesischen Autoren aufmerksam, der bislang noch nicht für den deutschen Sprachraum erschlossen war: José LuÃs Peixoto. Dessen Roman „Friedhof der Klaviere“, so Schütz’ Gewährsfrau, würde ideal zu Septime passen. Schütz besorgte sich die bei Bloomsbury erschienene englische Ãœbersetzung („The Piano Cemetry“) und war begeistert: „Sehr experimentell und abgedreht.“ Das einzige, was nun noch fehlte, war die passende Ãœbersetzerin. Nun nahm die Geschichte eine überraschende Wendung: Ilse Dick, die ihm vom Österreichischen Ãœbersetzerverband empfohlen wurde, hatte auf eigene Faust bereits eine Ãœbersetzungs-Probe eines anderen Romans von Peixoto angefertigt, die sie dem überraschten Septime-Verleger Anfang 2014 nun ihrerseits vorschlug. „Der ‚Friedhof der Klaviere’ ist unglaublich komplex“, erklärt Schütz. „Der Roman spielt auf drei Erzählebenen, alle drei Protagonisten heißen Francisco. Was auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Familien-Saga anmutet, sprengt durch Sprachgewalt Peixotos, durch die Aufhebung zeitlicher Grenzen, durch die Verschmelzung der Protagonisten jegliche Vorstellungskraft und lässt aus drei Generationen eine werden.“
So entschloss man sich, 2015 den eingängigeren Roman „Das Haus im Dunkel“ vorzuziehen. 2017 erschien dann „Der Friedhof der Klaviere“. Das Pech des Wiener Verlags: In einem bärenstarken Programm, in dem neben Peixoto auch der Norweger Jan Kjærstad und der Japaner Shusaku Endo (dessen Klassiker „Schweigen“ gerade von Martin Scorsese verfilmt wurde) erschienen, konnte sich der Portugiese nicht in erhoffter Weise durchsetzen. „Mit vier Spitzentiteln aus einem kleinen Verlag“, so Schütz ernüchtert, „waren Buchhandel und Presse überfordert. Wir haben damals viel gelernt. Wenn man viel Geld für eine Übersetzung in die Hand nimmt, kann man sie nicht im Schatten einer anderen teuren Übersetzung stehenlassen.“ Die Lesetour zum „Friedhof der Klaviere“ war gleichwohl großartig, der Autor, der Deutsch studiert hat und sich deshalb ohne Dolmetscher mit dem Publikum verständigen konnte, hatte sich viel Zeit für seine Leserinnen und Leser genommen. „Alle liebten Peixoto“, sagt Schütz lachend. „Für mich ist er einer der kreativsten unserer lebenden Autoren.“
„Jetzt oder nie!“, war sich Schütz sicher, als ihn die Kunde vom Gastlandauftritt Portugals in Leipzig erreichte. Und trat sofort in Verhandlungen über „Galveias“, den neuen Roman von José LuÃs Peixoto ein. Septime erhielt den Zuschlag, obwohl nun auch deutlich größere Verlage mitboten. Das titelgebende Galveias, das hier zum Mittelpunkt der Romanhandlung wird, ist eine tatsächlich existierende Kleinstadt im portugiesischen Alentejo und gleichzeitig der Geburtsort des Autors. Ausgangspunkt des Romans ist ein für die Dorfgemeinschaft einschneidendes Erlebnis. In einer eisigen Januarnacht rast ein geheimnisvoller Himmelskörper aus dem Universum zielsicher auf Galveias zu, schlägt mit ohrenbetäubendem Krach am Ortsrand ein und verbreitet von da an einen widerlich beißenden Schwefelgestank, der über allem hängt und in alles eindringt. Dieses Ereignis nimmt Peixoto zum Anlass, in den folgenden Kapiteln die einzelnen Bewohner zu porträtieren und ihre oft abgrundtiefen Geschichten zu erzählen. Wer Portugiesisch spricht, und José LuÃs Peixoto und das reale Galveias etwas besser kennenlernen möchte, sei auf einen spannenden Dokumentarfilm aus einer Serie über die „Erben Saramagos“ hingewiesen – dass er an herausragender Stelle zu ihnen gehört, gilt spätestens seit seiner Auszeichnung mit dem José-Saramago-Literaturpreis im Jahr 2001 als ausgemacht. „Wenn man einen Spitzenautor im Verlag hat, ist ein Gastland-Faktor das Schlagobers“, sagt Jürgen Schütz. Der Verleger freut sich schon jetzt auf den Gastlandauftritt von Portugal 2022. Und drückt die Daumen, dass José LuÃs Peixoto seinen Roman „Galveias“ schon jetzt im Mai persönlich in Leipzig vorstellen kann.
José LuÃs Peixoto, geboren 1974, studierte Moderne Sprachen und Literaturen (Englisch und Deutsch) an der Universidade Nova de Lisboa. Er ist Autor von Romanen, Gedichten, Theaterstücken sowie von Reiseliteratur und Kolumnen. Für seine Werke erhielt der portugiesische Autor zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem dem José-Saramago-Literaturpreis (2001). Seine Romane wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Im Wiener Septime Verlag erschien 2015 sein Roman „Das Haus im Dunkel“, 2017 folgte „Friedhof der Klaviere“. Im Frühjahr 2021 erscheint bei Septime der Roman „Galveias“.
Fotos: © Nils Kahlefendt (Jürgen Schütz), Gonçalo-Lobo-Pinheiro (José LuÃs Peixoto), Septime Verlag