Der Türöffner

Der Türöffner

Wer, wie Alida Bremer, Mitte der 80er Jahre in Belgrad Literatur studierte, musste Edo Popović kennen: Der in Zagreb lebende Autor gehörte zu den Mitbegründern von Quorum, der wichtigsten Literaturzeitschrift Jugoslawiens, sein 1986 erschienener erster Roman wurde zum Kultbuch einer Generation. Popovićs Reportagen aus dem Balkankrieg las Bremer, die seit 1986 im westfälischen Münster lebt, in den am Bahnhof ausliegenden kroatischen Wochenzeitungen. Sie begann, Popovićs Kurzprosa zu übersetzen. Doch der Versuch, diesen sprachgewaltigen Erzähler auch hierzulande bekannt zu machen, scheiterte am fehlenden Wagemut der Verlage: Ein Underground-Autor aus Ex-Jugoslawien? Kein Bedarf. Als sich die Literaturvermittlerin professioneller Hilfe versichern wollte, kam ihr der Zufall zu Hilfe: Die Google-Suche spuckte Christiane Koschmieder aus: Eine junge Seiteneinsteigerin, die eben in Leipzig ihre Literaturagentur Partner + Propaganda gegründet – und sich in ihrer Masterarbeit mit den post-jugoslawischen Gesellschaften beschäftigt hatte.

Neugier auf Südosteuropa

Bremer vertraute ihrem Bauchgefühl. Und Koschmieder hatte Erfolg: Der junge Verlag Voland & Quist, der mit Lesebühnenliteratur und Spoken-Word-Poesie fast zeitgleich an den Start gegangen war, beschloss, sein Programm um Autoren aus Südosteuropa zu erweitern: „Wir dachten, dass dort, wo so wahnsinnige gesellschaftliche Umbrüche stattgefunden haben, auch viele tolle Geschichten zu finden sein müssten“, so Verleger Sebastian Wolter. 2006 erschien Edo Popovićs Roman Ausfahrt Zagreb-Süd als erster Band der neuen Reihe Sonar bei Voland & Quist. An seine erste Lesung im Szeneclub Horns Erben kann sich Popović nicht mehr erinnern. Wohl aber daran, dass die Leipziger Buchmesse sein „Türöffner“ für den deutschsprachigen Markt war. Vier weitere Bücher, alle von Alida Bremer übersetzt, sollten in den kommenden fünf Jahren folgen. Als Kroatien 2008 Buchmesse-Schwerpunkt wurde, hatten die Kuratoren Alida Bremer und György Dalos rund 30 Autoren versammelt – von Zugpferd Popović bis zu noch unentdeckten Stimmen. Auch Kollegen aus Bosnien, Montenegro oder Serbien stießen dazu; prominente Fährleute wie Slavenka Draculic oder „Tatort“-Kommissar Miroslav Nemec sorgten für den Literatur-Transfer. „Damals“, so Popović, „war die Übersetzung eines serbischen oder kroatischen Autors der Ausnahmefall. Das ist längst nicht mehr so.“

On the road mit Clemens Meyer

Über die Jahre sind aus Netzwerken Freundschaften geworden: Wenn Edo Popović seine in Münster lebenden Eltern besucht, die einst als Gastarbeiter kamen, schaut auch Alida Bremer auf einen Kaffee vorbei. Die Voland & Quist-Verleger streiften mit ihrem Autor durchs kroatische Velebit-Gebirge. „Irgendwie logisch“, meint Popović: „Für Leif und Sebastian ist die Verlegerei mehr als bloßes Geschäft.“ Auch mit dem 20 Jahre jüngeren Clemens Meyer, der 2008 den Preis der Leipziger Buchmesse gewann, ist Popovic seitdem gut befreundet. „Als ich das Foto von der Preisvergabe sah, auf dem Clemens die Faust wie ein Fußballspieler beim Torjubel hochriss, dachte ich: Der Junge weiß, wie man sich freut. Wir haben viel gemeinsam, menschlich, aber auch im Schreiben. Und wir stehen – von Fauser, Fels und Ploog bis zu Franz Dobler – auf die gleichen Autoren.“ Oft sind die beiden zusammen unterwegs – zuletzt etwa in den dalmatinischen Bergen, wo vor einem halben Jahrhundert die „Winnetou“-Filme gedreht wurden.

Wechsel zum großen Verlag

Ob dort am Lagerfeuer Popović Entschluss reifte, sein Glück bei einem großen Verlag zu suchen? Mit Der Aufstand der Ungenießbaren (2012) wechselte Popovic zu Luchterhand; seine früheren Romane sind nun bei btb als Taschenbuch erhältlich. Der Autor vergleicht seine Erwartungen mit denen eines Fußballprofis, der zu einem Champions-Leaque-Klub wechselt. Aber er bleibt Realist: „Meine Prosa wird nie ein Publikum anziehen, das die Allianz-Arena füllt. Es ist die Art von Literatur, die vor allem in kleineren, unabhängigen Buchhandlungen verkauft wird. So läuft es – und das ist wohl auch gut so.“

In fünf Minuten überzeugen: Im Rahmen eines Book-Pitch haben seit diesem Jahr auch internationale Autoren die Möglichkeit, sich dem Fachpublikum zu präsentieren. Schauplatz der jeweils fünfminütigen Pitches in den Genres Belletristik und Kinderbuch war 2016 das Forum OstSüdOst.

Kindheitsmuster

Kindheitsmuster

Als die Mauer fällt, ist Paula Fürstenberg zwei, im Abiturjahr lockt die Ferne. Was anfangen mit all dem Leben, das vor ihr liegt? An eine Autorenlaufbahn hat die junge, musik- und theaterbegeisterte Potsdamerin nie gedacht. Es ist die Mutter, die ihr – nach einem längeren Frankreich-Aufenthalt – vorschlägt, Literarisches Schreiben zu studieren. Eine Wahl, die alle Wege offenhält. Fürstenberg bewirbt sich am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Seit 2006 bietet es ein dreijähriges Vollzeitstudium an, wahlweise in Deutsch oder Französisch. Im Zentrum steht die von einem Mentor begleitete Arbeit an den eigenen Texten. Im ersten Jahr ist der Schweizer Silvio Huonder Fürstenbergs literarischer Sparringspartner, später wechselt sie zu Ruth Schweikert. Auch Kommilitonen wie Marc Anton Jahn oder Simone Lappert werden zu Begleitern der täglichen Schreibpraxis – und zu engen Freunden. In ihrem ersten Bieler Jahr macht Paula Fürstenberg eine merkwürdige Entdeckung: „Ich hatte mir fest vorgenommen, alles Mögliche auszuprobieren, von der Short Story bis zur Lyrik. Aber bald merkte ich, dass sich Motive und Figuren wiederholten. Eigentlich schrieb ich immer an der gleichen Geschichte.“ Eine Geschichte, die mit Nachgeborenschaft zu tun hat und mit dem Leben in der DDR, das sie nur aus Büchern und vom Hörensagen kennt. Eine biografische Spurensuche: „Eigentlich bin ich ja ein Westkind“, lacht Fürstenberg. „Aber ich bin mit Menschen aufgewachsen, die diesen Biografiebruch in sich tragen.“ In Biel wird aus der Geschichte, die sich nicht wegdrängen lässt, ein Romanmanuskript.Mit dem Bachelor aus Biel in der Tasche geht Paula Fürstenberg zurück nach Berlin. Bald steht ihr Schreibtisch in der Bürogemeinschaft „Adler & Söhne“.

Die von DLL-Absolventen wie Katharina Adler, Saša Stanišić und Thomas Pletzinger gegründete Kooperative aus Autoren, Lektoren und Übersetzern, die sich in Heiner Müllers ehemaliger Zigarrenhandlung im Prenzlauer Berg eingerichtet hat, begreift den Entstehungsprozess von Literatur nicht als einsames Werkeln im Elfenbeinturm, sondern setzt auf gegenseitige Inspiration. Auch in „Betriebsfragen“ teilt man bereitwillig Erfahrungen: Welcher Verlag könnte passen? Soll man einen Agenten einschalten? Fürstenberg ist das Feedback der Kollegen wichtig: „Egal, ob ich Vorschläge umsetze oder mich gegen andere Positionen abgrenze: Der Austausch wirkt immer klärend.“ Als sie 2011 erstmals öffentlich in der Berliner Lettrétage aus ihrem Manuskript liest, sind alle da: die Familie, Freunde. „Ein toller Abend.“ Anders aufregend der Auftritt im Rahmen der „Prosa Prognosen“ auf der Leipziger Buchmesse, drei Jahre später: Nach der Teilnahme an der Autorenwerkstatt des LCB bewegt sich Fürstenberg hier schon unterm Radar der Verlags-Scouts, die nach neuen Talenten Ausschau halten. Unter Vermittlung des Literaturagenten Florian Glässing (Landwehr & Cie) fällt die Wahl schließlich auf Kiepenheuer & Witsch. „Ich bin nach Köln gefahren, mit meiner Lektorin Sandra Heinrici und Olaf Petersenn durch die Abteilungen gegangen: Das fühlte sich gut an.“ Es wird noch einiges Wasser den Rhein hinunterf ließen – Lektoratsrunden, Titelkonferenz, die Wahl des richtigen Covers – bis das Debüt im Herbst 2016 erscheint. Nach fünf Jahren Arbeit am Text gewöhnt sich die Autorin gerade ans Gefühl des Loslassens. „Ein Roman schluckt jede Menge Energie und lässt wenig Platz für andere Projekte. Für anderes Leben.“ In einem Jahr wird Paula Fürstenberg ihr erstes Buch in Händen halten. Ziemlich wahrscheinlich, dass sie dann schon am zweiten schreibt.