Wie sind Sie durch das schwierige Jahr 2020 gekommen?
Thomas Rathnow: Die Pandemie liegt ja leider noch nicht hinter uns, ein wirklicher Rückblick auf die Krise ist also noch nicht möglich. Was wir aber sagen können, ist, dass es uns als Verlagsgruppe wichtig war, zum einen alle Mitarbeiter:innen so schnell wie möglich auch technisch die Arbeit im Home-Office zu ermöglichen und zum anderen, das ganze Jahr hindurch dafür zu sorgen, dass intern noch häufiger und intensiver kommuniziert wird. Klarheit und Transparenz über die Lage und die verschiedenen Maßnahmen, die wir ergriffen haben, sind wichtige Voraussetzungen dafür, Zusammenhalt im Unternehmen zu stiften. Dieser Zusammenhalt bildet die notwendige Voraussetzung dafür, auch in außergewöhnlichen Zeiten erfolgreich arbeiten zu können. So blicken wir tatsächlich auf ein wirtschaftlich gutes und in vielerlei Hinsicht auch auf ein besonders innovatives Jahr 2020 zurück.
Was haben Sie in Corona-Zeiten gelernt?
Rathnow: Das vergangene Jahr war an Lehren und Erkenntnissen sicherlich besonders reich. Bei allen Herausforderungen und Erschwernissen, die nicht klein geredet werden dürfen und die aktuell beispielsweise Eltern kleinerer Kinder besonders betreffen, war die vielleicht schönste Erfahrung, dass die Krise uns als Publikumsverlage in der Sinnhaftigkeit und Bedeutung unseres Tuns sehr bestätigt hat. Die Menschen haben gezeigt, wie wichtig ihnen Bücher ganz unterschiedlicher Art sind – und Verlage und Buchhandlungen haben es geschafft, auch unter schwierigen Bedingungen, die Bücher zu den Menschen zu bringen. Dass dabei digitale Wege eine immer größere Rolle gespielt haben, dass der Digitalisierungsschub im vergangenen Jahr eine weitere Beschleunigung erfahren hat, das ist eine weitere Lehre des Corona-Jahrs 2020. Aber auch die Einsicht, dass wir überraschend zügig in der Lage waren, auf ganz unterschiedlichen Ebenen Arbeitsprozesse oder auch Veranstaltungsformate digital auszurichten, um unserer Aufgabe nachzukommen, die Geschichten und Ideen unserer Autor:innen mit dem größtmöglichen Publikum zu verbinden.
Was erhoffen Sie sich für das neue Jahr?
Rathnow: Da unser Leben und Arbeiten am Anfang des neuen Jahres mehr denn je im Zeichen der Pandemie stehen, kann ich nur hoffen, dass diverse Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-Ansteckungen nun rasch Wirkung zeigen, damit Menschen sich endlich wieder persönlich begegnen, Buchläden wieder öffnen, Schulen und Kitas wieder Kinder aufnehmen können und das kulturelle Leben in all seinen Spielarten wieder stattfinden kann. Es gab in der Verlagsgruppe in den letzten Monaten Entwicklungen und Errungenschaften, an denen wir festhalten wollen. Die digitalen Möglichkeiten, die beispielsweise vielen Mitarbeiter:innen ein flexibleres Arbeiten auch jenseits des Büros erlauben, wollen wir ausbauen. Aber die Vorfreude auf den persönlichen Austausch mit den Kolleg:innen, mit Autor:innen und unseren Geschäftspartnern – die ist immens groß.
Welche Projektionen haben Sie für die Leipziger Buchmesse?
Rathnow: Jetzt, im Januar 2021, ist es ganz schwer vorherzusehen, welche Chancen und Möglichkeiten wir Ende Mai in Leipzig haben werden. Eine Messe wie früher wird es gewiss nicht sein. Dennoch hoffe ich, dass es uns gemeinsam gelingen wird, die Leipziger Messe so zu veranstalten, dass sie erneut ein weithin sichtbares Zeichen setzt für das Lesen, für die Bedeutung des Buches und die Freude an der Begegnung mit Autor:innen und ihren Geschichten.
Thomas Rathnow ist seit November 2018 Vorsitzender der Geschäftsführung / CEO und seit 2004 in der Penguin Random House Verlagsgruppe tätig, zunächst als Programmleiter des Siedler Verlags. Nach einem Studium der Germanistik, Amerikanistik und Soziologie war er als Literaturkritiker tätig und begann seine Verlagslaufbahn beim Luchterhand Literaturverlag. 2014 wurde Thomas Rathnow Mitglied der Geschäftsführung der Verlagsgruppe; 2016 gründete er mit seinem Team den Penguin Verlag Deutschland.
Susanne Schüssler: Der Verlag ist gut durchgekommen. Es war vielleicht nicht eines der glänzendsten Jahre, aber ich hatte im März Schlimmeres befürchtet. Was ich bemerkenswert fand: Alle, die in unserer Branche tätig sind, haben alles getan, um die Leute weiter mit Büchern zu versorgen – von den Verlagen über die Auslieferungen und Barsortimente bis zu den Buchhändlerinnen und Buchhändlern, die sich bis zur Erschöpfung engagiert haben. Das hat mich bewegt und beeindruckt. Ich hoffe, dass möglichst viele Leserinnen und Leser ihre Buchhandlung auch künftig unterstützen.
Was hat sie am meisten überrascht?
Schüssler: Dass der Berliner Senat Bücher als lebenswichtiges Gut eingeschätzt hat – und die Buchhandlungen weder im März noch jetzt vor Weihnachten geschlossen hat. Ein wichtiges Signal – dafür gebührt unserem Kultursenator Klaus Lederer und dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller Dank! In anderen Ländern waren nicht mal Abholstationen erlaubt…
Womit sind sie gerade beschäftigt?
Schüssler: Vor uns liegt die Druckdaten-Abgabe der Frühjahrsbücher; die Auflagen erscheinen wie geplant. Eben hat die Reise unserer Vertreter-Mannschaft begonnen, zum Teil natürlich begleitet von Terminverschiebungen. Für Januar hatten wir einen Auslieferungstermin geplant, den wir auch nach hinten schieben werden. Wir müssen auf die aktuelle Lage reagieren, damit die Bücher nicht ins Leere fallen – gerade die Spitzentitel.
Wie schaut das Verlagsleben in der Emser Straße aus?
Schüssler: In jedem Zimmer sitzt eine Person. Wir haben strenge Regeln entwickelt, damit wir uns ordentlich aus dem Weg gehen können (lacht). Heute hatten wir eine Besprechung: Großer Raum, offene Fenster, alle in Wintermänteln und mit Maske. Gemütlich ist das nicht, aber gemeinsam die nächsten Schritte besprechen ist effektiver als in endlosen Zoom-Konferenzen. Die Kolleginnen und Kollegen kommen gern; meist per Fahrrad, und wenn es die Witterung mal nicht zulässt, arbeiten sie zuhause. Der Verlag lebt davon, dass wir Dinge gemeinsam durchsetzen!
Vermissen Sie das Kochen im Verlag, das gemeinsame Mittagessen?
Schüssler: Das gibt’s seit letzten März nicht mehr, traurig. Wir haben uns in den Sommermonaten immerhin einmal die Woche Pizza bestellt und auf den Bänken im Hof gemeinsam gegessen – mit gehörigem Abstand natürlich.
Was erhoffen Sie sich für 2021?
Schüssler: In den Monaten der Pandemie sind für viele von uns andere Dinge als zuvor wichtig geworden. Das sollte man nicht so schnell wieder vergessen. Und ganz konkret, dass der unabhängige Buchhandel gestärkt aus dieser schwierigen Zeit hervorgeht.
Ihre Projektion für Leipzig im Mai?
Schüssler: Unser aller Sehnsucht, sich wiederzusehen, gemeinsam ein Fest feiern zu können, ist riesengroß. Ich hoffe sehr, dass die Messe wie geplant stattfinden kann. Es wäre ja schlimm, wenn wir nicht bis Ende Mai in einen anderen Modus kommen. Wir haben, zusammen mit dem italienischen Kulturinstitut, immerhin schon den Autor unseres italienischen Spitzentitels, Marco Missiroli („Treue“) nach Leipzig eingeladen.
Susanne Schüssler, geboren 1962 in München, lebt seit fast 30 Jahren in Berlin. Die promovierte Philologin ist Verlegerin des Wagenbach Verlags.
Zoë Beck: Man darf ja trotz Corona arbeiten (lacht): Momentan führe ich Regie in einer Film-Synchronproduktion. Die Schicht geht von 9 bis 18 Uhr. Es gibt sehr strenge Hygiene-Vorschriften – und unser Tagesplan fliegt auseinander, wenn Leute anrufen und sagen: Ich muss leider in Quarantäne bleiben, ich darf nicht aus dem Haus.
Wie sind Sie als Verlegerin von CulturBooks durchs Jahr 2020 gekommen?
Beck: „Was für ein Jahr“, so haben wir das Editorial der neuen Vorschau überschrieben. Das sagt doch alles, oder? Am Anfang haben wir die Luft angehalten, wir waren schon sehr erschrocken. Wir wollten mit zwei neuen Büchern nach Leipzig kommen und hatten für diese Frühjahrstitel auch schon einiges geplant. Das ist flachgefallen, im Feuilleton gab es lange nur noch ein Thema. Frank Göhre hätte seinen Thriller „Verdammte Liebe Amsterdam“ gern live vorgestellt; in Meena Kandasamys Roman „Schläge“ geht es um häusliche Gewalt – ein Thema, das in Lockdown-Zeiten leider hochaktuell ist, für das man aber nicht gut fröhlich Werbung machen kann. Das große Glück war, dass der tapfere unabhängige Buchhandel dann phantastisch reagiert und die Verbindung zur Kundschaft aufrechterhalten hat. Glück im Corona-Unglück. Wir haben einen unserer Kanada-Titel nach 2021 geschoben – und Ling Mas bereits 2018 geschriebenen Pandemie-Roman „New York Ghost“ ins kommende Frühjahr vorgezogen. Dieses brandaktuelle Buch hätten wir nicht gut später bringen können. Aber verschieben, egal ob nach hinten oder vorn, ist immer riskant und ein Kraftakt. Was uns sehr geholfen hat: Wir haben zum zweiten Mal den Deutschen Verlagspreis bekommen, auch eine „Zukunftsprämie“, mit der die Hamburger Behörde für Kultur und Medien die Arbeit von 20 Independent-Verlagen in der Corona-Pandemie unterstützt hat.
Zugleich ist 2020 mit „Paradise City“ ein neuer Thriller von Ihnen bei Suhrkamp erschienen…
Beck: Genau, im Juni. Auch hier erschien uns, siehe Ling Ma, eine Verschiebung nicht ratsam. Die Dystopie über ein Deutschland der nahen Zukunft, als schöne neue Welt mit sehr gesunden Menschen und hässlichen Wahrheiten entworfen, wird gerade als Buch der Stunde gelesen, obwohl ich es lange vor Corona geschrieben habe. Und es lief toll: Ich habe ziemlich gute Medienresonanz bekommen, das Buch hat sich ausgezeichnet verkauft. Natürlich sind viele Lesungen ausgefallen, aber ich hatte eine Reihe digitaler Veranstaltungen. Bei denen habe ich darum gebeten, dass weniger gelesen, aber mehr gesprochen wird – möglichst unter Einbeziehung des Publikums. Im Sommer gab es dann über einige glückliche Wochen Live-Veranstaltungen; es war hochspannend, was sich Veranstalterinnen und Veranstalter da ausgedacht haben. Auf Einladung von Jörg Braunsdorfs Tucholsky-Buchhandlung und der Anwohner*inneninitiative für Zivilcourage – gegen Rechts habe ich zum Beispiel neben einem Fußballplatz gelesen, nebenan lief der Trainingsbetrieb. Das Publikum war mit Funk-Kopfhörer ausgerüstet, und konnte so, unter Wahrung der Abstände, in den Text eintauchen. Super Idee! In Hamburg habe ich in einer Kirche gelesen, und im Literaturhaus Köln haben wir zwei Veranstaltungen hintereinander gemacht, weil sich wenige Tage zuvor wieder mal die Bedingungen geändert haben. Schon diese kleinen Beispiele zeigen, welch toller Spirit da freigesetzt wurde.Beck: Genau, im Juni. Auch hier erschien uns, siehe Ling Ma, eine Verschiebung nicht ratsam. Die Dystopie über ein Deutschland der nahen Zukunft, als schöne neue Welt mit sehr gesunden Menschen und hässlichen Wahrheiten entworfen, wird gerade als Buch der Stunde gelesen, obwohl ich es lange vor Corona geschrieben habe. Und es lief toll: Ich habe ziemlich gute Medienresonanz bekommen, das Buch hat sich ausgezeichnet verkauft. Natürlich sind viele Lesungen ausgefallen, aber ich hatte eine Reihe digitaler Veranstaltungen. Bei denen habe ich darum gebeten, dass weniger gelesen, aber mehr gesprochen wird – möglichst unter Einbeziehung des Publikums. Im Sommer gab es dann über einige glückliche Wochen Live-Veranstaltungen; es war hochspannend, was sich Veranstalterinnen und Veranstalter da ausgedacht haben. Auf Einladung von Jörg Braunsdorfs Tucholsky-Buchhandlung und der Anwohner*inneninitiative für Zivilcourage – gegen Rechts habe ich zum Beispiel neben einem Fußballplatz gelesen, nebenan lief der Trainingsbetrieb. Das Publikum war mit Funk-Kopfhörer ausgerüstet, und konnte so, unter Wahrung der Abstände, in den Text eintauchen. Super Idee! In Hamburg habe ich in einer Kirche gelesen, und im Literaturhaus Köln haben wir zwei Veranstaltungen hintereinander gemacht, weil sich wenige Tage zuvor wieder mal die Bedingungen geändert haben. Schon diese kleinen Beispiele zeigen, welch toller Spirit da freigesetzt wurde.
Was erhoffen sie sich für 2021?
Beck: Ich wünsche mir, dass unsere Branche so stark bleibt. Und dass alle Verlage, alle Buchhandlungen die Krise überleben.
Was sind Ihre Projektionen für Leipzig im Mai?
Beck: Spontan habe ich ans Gastland Portugal gedacht, wo die Feira do Livra de Lisboa unter freiem Himmel ausgetragen wird. Die Leserinnen und Leser dort kommen open air, im Parque Eduardo VII. zusammen. Mein Wunsch wäre also, dass es in Leipzig ein paar Tage nicht regnet und vieles draußen stattfinden kann. Und ich wünsche mir, dass bald wieder Begegnungen möglich sind. Ich habe zumindest fest vor, zu kommen.
Bardienst im Forum „Die Unabhängigen“?
Beck: Ein ‚Alles-wie-immer’ wird es nicht geben, ahne ich. Aber: Wenn die Rahmenbedingungen stimmen – warum nicht?
Zoë Beck wurde 1975 geboren, lernte Klavier und studierte Literatur. Nach diversen Film- und Theaterjobs arbeitet sie heute als Schriftstellerin, Übersetzerin, Dialogbuchautorin und Synchronregisseurin. Für ihre Romane und Kurzgeschichten wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Krimipreis, dem Friedrich-Glauser-Preis und mit der Goldenen Auguste für ihre Verdienste um die Kriminalliteratur von Frauen. Zuletzt erschien bei Suhrkamp ihr Thriller „Paradise City“. Im Herbst 2013 gründete Zoë Beck gemeinsam mit dem Lektor Jan Karsten den Verlag CulturBooks.
Wie sind Sie mit Ihrem Verlag durchs Jahr 2020 gekommen?
Sebastian Guggolz: Am Ende war es gar nicht so schlecht, wie zwischendrin befürchtet. Natürlich war das Jahr geprägt von Unsicherheiten und offener Zukunft. Aber die Zahlen waren gut. Im Gegensatz zu großen Verlagen gab es auch keine Einschnitte oder Verschiebungen, ich habe einfach weiter produziert. Das scheint sich auszuzahlen: Im Lockdown haben viele Leute offensichtlich Lust auf Bücher – das einzige „Kulturmittel“, das nach wie vor uneingeschränkt zur Verfügung steht.
Wie sah es mit Veranstaltungen aus?
Guggolz: Das ging leider gar nicht. Und da fehlt natürlich etwas. Das sind nicht nur die Veranstaltungen im Buchhandel – das sind natürlich auch die Messen. Dazu haben sich für mich in den letzten Jahren die kleinen Büchermärkte, wie etwa „Neue Bücher braucht das Land“ im Literaturhaus München, zu einem relevanten Faktor entwickelt. Auch die sind alle gestrichen gewesen. Mit den Sozialen Medien haben sich alternative Wege eröffnet, um das Bedürfnis nach Austausch über Bücher und Lektüre am Köcheln zu halten. Das ist eines der positivsten Signale des vergangenen Jahres. Was ein Like für den konkreten Verkauf bedeutet, weiß ich natürlich nicht.
Was war die größte Überraschung für Sie?
Guggolz: Es war handgreiflich spürbar, dass es so etwas wie eine Lust auf Bücher gibt. Mit meinen an die beiden Buchmessen gekoppelten Veröffentlichungsterminen kenne ich schon auch Phasen, in denen ich das Gefühl habe, aus der Wahrnehmung rauszufallen. Es gibt gerade kein neues Buch, wenig Besprechungen… Das habe ich 2020 überhaupt nicht erlebt! Es gab kontinuierlich Interesse, interessanterweise auch Rekordumsätze durch Bestellungen über die Homepage. Aber auch die Bestellungen über den Buchhandel liefen super. Es gab einen Hunger auf Bücher und auf Lesen – das war für mich die positivste Überraschung. Eine Schocksituation kann einen ja auch lähmen.
Stimmt. Gab es bei all dem Rückenwind auch so etwas wie eine negative Überraschung?
Guggolz: Wir haben mit Monika Grütters eine tolle Fürsprecherin, und bei mir sind viele der Hilfsprogramme wirklich angekommen. Dass aber Kultur – und damit auch Bücher – in der öffentlichen Diskussion mit Tattoo- und Nagelstudios oder Glücksspielhallen in einen Topf geworfen wurden, finde ich inakzeptabel.
Was erwarten Sie vom eben beginnenden neuen Jahr?
Guggolz: Ich hoffe natürlich, dass die Pandemie deutlich zurückgeht und vielleicht bis Ende des Jahres so weit bekämpft ist, dass deutlich mehr Normalität möglich ist. Ich hoffe sehr, dass die Buchmessen wieder stattfinden. Denn auch das ist eine Erkenntnis im Jahresrückblick: Was mir am meisten gefehlt hat, sind Austausch und Begegnung, vor allem mit den lieben Kolleginnen und Kollegen. Ich war sehr viel für mich allein, habe natürlich auch viele Entscheidungen allein treffen müssen. Natürlich telefoniert man, tauscht E-Mails aus – aber das ersetzt natürlich nie die spontane Begegnung. Das sollte sukzessive doch wieder möglich werden. Wenn ich ehrlich bin, fürchte ich natürlich, dass uns ein großes Maß an Unsicherheit übers Jahr erhalten bleibt – gerade, was die wirtschaftliche Erwartung angeht. Insgesamt bin ich allerdings ziemlich optimistisch. Sollte die Rückbesinnung auf Bücher in den Lockdown-Zeiten nicht dauerhafte Konsequenzen haben? Das ist zumindest ein Signal, das ich aus dem Buchhandel höre: Viele Leute wenden sich dem stationären Sortiment zu, es gibt eine Art Renaissance des regionalen Umfelds. Und ich höre, dass auch jüngere Leute wieder mehr lesen.
Werden Sie Ende Mai nach Leipzig kommen?
Guggolz: Auf jeden Fall! Die Verschiebung in Richtung Sommer lässt die Pläne der Leipziger ja sehr handfest erscheinen. Das sind gute zwei Monate, in denen sich sehr viel zum Positiven wenden kann. Und ich spüre ja, wie ausgehungert ich bin! (lacht) Wir brauchen solche Anlässe doch wie Luft zum Atmen.
Sebastian Guggolz, geboren 1982 am Bodensee, studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Volkskunde in Hamburg. Nach einigen Jahren als Lektor bei Matthes & Seitz Berlin gründete er 2014 den Guggolz Verlag, in dem er Neu- und Wiederentdeckungen vergessener Klassiker aus Nord- und Osteuropa in neuer Übersetzung herausgibt.
Monika Osberghaus: Ich sitze an den letzten Korrekturen unserer beiden wichtigsten Frühjahrstitel – „AnyBody“, das große Körper-ABC von Katharina von der Gathen und Anke Kuhl, und „Wie krank ist das denn?!“ von Birte Müller und Yannick de la Pêche. Die Idee für so ein etwas anderes Gesundheitsbuch für Kinder hatten wir schon lange, jetzt haben wir noch ein Kapitel zu Corona eingefügt. Gerade geht es pingpong-mäßig hin und her zwischen mir und dem Setzer, wir sind unmittelbar vor dem Druck.
Wie sind Sie durch dieses irre Jahr 2020 gekommen?
Osberghaus: Besser als erwartet. So gut, dass wir gern etwas abgeben. Wir wollten ja mit dem Geld aus der Mehrwertsteuer-Senkung diejenigen unterstützen, die es in der Pandemie echt schwer hatten und nun wieder haben: Eltern von kleinen Kindern. Auch die unter ihnen, die es dabei noch härter traf und nun wieder trifft: Eltern von behinderten Kindern. Nun haben wir Kassensturz gemacht und waren eben beim Kinderhospiz Bärenherz in Markleeberg und haben dort eine 5000-Euro-Spende überreicht. Weitere Spendenempfänger der insgesamt rund 13.000 Euro sind Intensivkinder Sinnvoll Helfend e.V., das Mütter- und Familienzentrum e.V. Bad Nauheim, Wellcome e.V. aus Hamburg, Kleine Helden e.V aus München, Hände für Kinder e.V. und die Deutsche Krebshilfe. Dazu hatten wir uns vorgenommen, den gesamten Gewinn, der durch den Verkauf unseres Buchs „Eine Wiese für alle“ von Hans-Christian Schmidt und Andreas Német hereinkommt, an Organisationen zu spenden, die sich für eine offene Gesellschaft einsetzen – zunächst an das Kulturbüro Sachsen, das seit 20 Jahren tolle Arbeit macht. Schirmfrau unserer Aktion ist Manja Präkels („Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“). Insgesamt können wir dieses Jahr mehr als 20.000 Euro für gute Zwecke weitergeben. Ich muss sagen: Das fühlt sich super an!
War diese Entwicklung von Anfang an zu sehen?
Osberghaus: Im ersten Lockdown hat sich ganz schnell gezeigt, wie fit die Buchhändlerinnen und Buchhändler sind. Wir hatten nur ganz wenig Umsatzeinbußen. Im Mai kam dann ein kurzer Einbruch; es wurde enorm viel remittiert und kaum nachbestellt. Dann ging’s zum Glück auf hohem Niveau weiter. Reduzierung der Titel, verschieben ins nächste Jahr? Haben wir alles nicht machen müssen! Wir sind nicht nur gut auf Kurs geblieben, sondern freuen uns über ein deutliches Umsatzplus im Vergleich zum Vorjahr.
Was hat Sie 2020 am meisten überrascht?
Osberghaus: Die großartige Reaktion des unabhängigen Buchhandels während der Krisenwochen ist es nicht, damit habe ich fast gerechnet (lacht). Was mich dagegen in all dieser Zeit immer wieder wirklich wundert: Dass so wenig über die Mieten gesprochen wird. Alle nehmen die hohen und steigenden Mieten einfach so hin. Die Buchhändler feierten Kunden, die die Miete übernahmen. Eigentlich müssten die Vermieter selbst doch mit so einer Geste kommen! Dass das so selten passiert und auch kaum thematisiert wird, obwohl hier ein Grundübel auch für die Innenstadtlagen liegt, überrascht mich immer wieder.
Was erwarten, erhoffen Sie von 2021?
Osberghaus: Ich hoffe, dass wir diese Corona-Geschichte möglichst schnell hinter uns bringen. Wir sind womöglich gerade auf dem Tiefpunkt; es wäre schön, wenn es dann in Richtung Frühling kontinuierlich aufwärtsgeht. Nach dem schönen Erfolg des letzten Jahres wollen wir, was die Anzahl unserer Novitäten betrifft, nicht wachsen. Es könnte aber gut sein, dass wir 2021 eine neue Kollegin hierher holen, die uns im Marketing hilft. Wir haben echt gut zu tun…
Was sind Ihre Projektionen bezüglich der kommenden Leipziger Buchmesse?
Osberghaus: Ich habe mich zunächst mal sehr gefreut, dass der Termin relativ früh benannt wurde. Das ist beruhigend und erleichternd, ich glaube an diesen Termin Ende Mai. Und ich sehe auch kein Problem darin, dass unsere Frühjahrstitel dann bereits zwei Monate draußen sind. Ich bin überzeugt, dass unser Leipziger Publikum die Bücher im Mai genauso interessiert und freudig anschaut wie im März. Ich finde das nicht schlimm. Und wenn ich einen Wunsch frei hätte: Wir würden es gut finden, wenn wir draußen sein könnten, so wie mit unserem Stand beim jährlichen Seifenkistenrennen am Fockeberg.
Die bewährte Buchstabensuppe gibt’s dann bei Ihnen im Garten?
Osberghaus (lacht): Das wäre eine Variante. Ich glaube, dass sich alle wie Bolle freuen werden, sich endlich wieder direkt und spontan zu begegnen. Letztlich sind es doch solche Momente, die unsere Branche ausmachen.
Monika Osberghaus, Jahrgang 1962, arbeitete als Buchhändlerin, studierte Kinderliteratur und betreute lange die Kinderbuchseiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Heute ist sie die Verlegerin von Klett Kinderbuch.
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