„Ich soll einen Preis bekommen. Das Buch, das ich geschrieben habe, hat vielen Leuten gefallen. Der Verlag hat angerufen, dass er nachdrucken will.“ Das sagt die Ich-Erzählerin in Anke Stellings Roman „Schäfchen im Trockenen“ (2018). Im März 2019 erhielt sie für dieses Buch, erschienen im Berliner Verbrecher Verlag, den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik. Für die Romantrilogie, zu der neben „Schäfchen im Trockenen“ auch „Bodentiefe Fenster“ (2015) und „Fürsorge“ (2017) gehören, wurde ihr zudem im Juni 2019 der Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg verliehen.
An den Tag der Leipziger Preisverleihung kann sich Anke Stelling auch fünf Jahre später noch genau erinnern – mit Jörg Sundermeier und Kristine Listau, ihrem Verleger-Duo, landete sie am Abend im „Telegraph“, bei der Party der Verlagsauslieferung LKG. Irgendwie passend für die Autorin, die ‚buchnah’ aufwuchs – ihre Mutter führte einst den Vaihinger Buchladen in Stuttgart, ihr Vater war Verlagsvertreter in den Reisegebieten Baden-Württemberg und Bayern.
1971 in Ulm geboren, studierte Anke Stelling ab 1997 am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Ihr Debüt „Gisela“, gemeinsam mit Robby Dannenberg verfasst, erschien 1999. Nach dem Wechsel zu S. Fischer erschienen drei weitere Bücher, doch es wurde ruhig um die Autorin. Hat der Preis-Paukenschlag von 2019 ihr Leben, gar ihr Schreiben verändert? Es ist ein Einschnitt, den sie unterschätzt hat: „Wenn man sich zur Indie-Szene gehörig fühlt, schreibt man aus einem Avantgarde-Gefühl heraus, gegen das Establishment. Man ist der Geheimtipp, und strebt doch aus dieser Marginalisierung heraus. Wenn man im Scheinwerferlicht steht, sich etabliert hat, ist das toll. Aber dieser kleine Motor – ich zeig’s euch, ihr werdet schon sehen! – wird dann nicht mehr gefüttert.“
Nach dem Frühjahr 2019 veränderten sich die Begleitumstände ihres Schreibens zunächst deutlich – Interviews, Blitzlichter, die Platzierung auf der Spiegel-Bestsellerliste. Außenreize, die sich mit der Zeit wieder auf Normalmaß einpegelten. „Aber es gibt dann natürlich den Druck, sichtbar zu bleiben, die Welle zu reiten, das einmal erworbene Standing zu beweisen“, erklärt Stelling. „Ich hatte unterschätzt, dass die gewachsene Aufmerksamkeit auch zu einem kleinen Zensor auf der Schulter werden kann.“
Immerhin versteht, wer durch einen so prominenten Preis quasi über Nacht vom Geheimtipp zur Bestsellerautorin katapultiert wurde, die Mechanismen des Betriebs besser. Anke Stelling hat sich fürs Beste entschieden, was man tun kann: Weiterarbeiten. Im März 2020, Corona hatte der Buchmesse den Stecker gezogen, erschien ihr zweites Kinderbuch „Freddie und die Bändigung des Bösen“ (cbj), beim Verbrecher Verlag folgte der Erzählband „Grundlagenfoschung“. Längst ist auch das Drehbuch zu „Schäfchen im Trockenen“ abgeschlossen, doch in post-pandemischen Zeiten, sagt Stelling, ist es noch einmal schwieriger geworden, Kinofilme zu finanzieren. Langstreckenqualitäten sind gefragt.
Zum ersten Mal war der Preis der Leipziger Buchmesse in der Belletristik-Kategorie an einen waschechten Indie-Verlag gegangen – auch das eine Sensation. Als der Knall der Sektkorken an jenem Buchmesse-Donnerstag 2019 verklungen war, orderte Jörg Sundermeier bei der Druckerei eine Nachauflage von 10.000 Exemplaren – und erhöhte nur Stunden später um weitere 10.000. „Das hatte ich in meinem Verlegerleben noch nicht erlebt!“ Bis heute sind rund 40.000 Exemplare der Hardcover-Ausgabe über den Ladentisch gegangen, die Taschenbuchausgabe bei btb läuft immer noch gut. Unterm Strich war der Preis auch enorm wichtig für das Standing des kleinen, unabhängigen Verlags: „Ankes Roman hat nicht nur literarische Debatten befeuert“, sagt Sundermeier, „wir haben gezeigt, dass wir auch mehrere zehntausend Exemplare verkaufen können, ohne dass das Buch drei Wochen lang nicht lieferbar ist.“
Anerkennung im Literaturbetrieb, das hat Anke Stelling erfahren, kann sehr angenehm und, ja: regelrecht euphorisierend sein. Ewige Sicherheit gibt es nicht: „Es hört einfach nie auf“, sagte sie 2019 in ihrer Dankesrede zum Hölderlin-Preis: „Das Unwohlsein bleibt, sonst endet ja die Suche. Wär’s vorbei mit mir als Schriftstellerin.“ Sie schreibt am nächsten Roman, der sowieso immer der schwerste ist. Er wird, und das ist in diesen Zeiten schon eine Ansage, im Verbrecher Verlag erscheinen.