Spürten sie eine besondere Last auf Ihren Schultern? Es ist ja jetzt in Folge die dritte Buchmesse, die nicht in gewohnter Weise stattfinden kann?
Christiane Munsberg: Erstaunlicherweise hat eines so gut wie immer funktioniert – die „Akquise“ der Autorinnen und Autoren. Dadurch, dass sie so lange schon nicht auftreten konnten, spüren wir eine tiefe Sehnsucht nach Öffentlichkeit, nach der Bühne. Das hat uns die Gestaltung unseres Programms leichter gemacht.
Sie haben gewissermaßen offene Türen eingerannt?
Munsberg: Ja. Auch die Verlage haben uns sehr unterstützt, das war eine reine Freude. Schwierig sind natürlich die ganzen Rahmenbedingungen. Man muss Hygienekonzepte machen, anders planen. So sind die Gespräche jetzt nicht für je 30 Minuten angesetzt, sondern dauern 20 Minuten. Zwischen zwei Gesprächen muss eine Hygienepause eingelegt werden, in der gelüftet und desinfiziert wird. Wir haben zwei zertifizierte Hygiene-Managerinnen im Team; eine kümmert sich um die Technik, die andere Kollegin schaut auf Einhaltung der Abstände, den korrekten Sitz der Mund-Nase-Bedeckungen und Ähnliches. Ein hoch professionelles und sehr strenges Regime.
Zu Frankfurter Buchmesse haben Sie aus der Bertelsmann-Repräsentanz in Berlin gesendet…
Munsberg: Jetzt ist es noch ein wenig komplexer, weil wir in eine leere Halle gehen, wo alles eigens aufgebaut wird. Die positive Botschaft: Wir kriegen es hin.
In digitalen Zeiten könnte man von überall senden. Warum haben sie sich dazu entschlossen, nach Leipzig zu kommen?
Munsberg: Man weiß, was man aneinander hat – nicht nur in Schönwetterzeiten. Wir sind solidarisch mit Leipzig, mit der Buchmesse, mit den Autorinnen und Autoren…
…von denen fast 60 tatsächlich physisch nach Leipzig – in die Kongresshalle, zu den „KrimiClub“- Abenden im Landgericht und den „Jüdischen Lebenswelten“ im Ariowitschhaus – kommen werden?
Munsberg: So sieht es, Stand jetzt aus. Vier Schweizer Autor:innen – Hildegard Keller, Max Küng, Silvia Tschui und Rudolf Bussmann – werden durch das Schweizer Fernsehen von der BuchBasel zugeschaltet.
Auch die 18 Moderatorinnen und Moderatoren von Deutschlandfunk Kultur, 3sat und dem ZDF sind vor Ort?
Munsberg: Selbstverständlich! Das Blaue Sofa ist ein Live-Format. Wir haben viele Anfragen von Verlagen gehabt: Können wir das nicht in Zoom oder Teams machen? Nein, das können wir nicht! Wir wollen unseren Autorinnen und Autoren fest in die Augen schauen – und wirklich konzentriert über ein Buch sprechen.
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Munsberg: Das Schönste ist das Team-Gefühl am Set. Wir von Bertelsmann, ZDF, Deutschlandfunk Kultur und 3sat arbeiten schon so lange zusammen, die Gründungspartner Bertelsmann und ZDF sogar schon seit mehr als zwei Jahrzehnten – da versteht man sich blind. Wir freuen uns wie die Schneekönige, dass wir endlich wieder auf Autorinnen und Autoren treffen dürfen. Thematisch wichtig sind mir besonders vier Dinge: Da der Preis der Leipziger Buchmesse in diesem Jahr per Videostream verliehen wird, haben wir Katrin Schumacher (MDR) und den Juryvorsitzenden Jens Bisky eingeladen, uns einen Einblick in ihre Arbeit zu geben. Was dieses Jahr ja besonders spannend ist, da es im Vorfeld den Vorwurf gegeben hat, dass keine Schwarze oder Autorinnen und Autoren of Colour auf der Nominiertenliste stehen. Spannend werden auch unsere „Blauen Stunden“: Da diskutieren am Donnerstag Gesine Schwan, Michael Seemann und Bernd Stegemann darüber, ob und wie die großen Tech-Plattformen die Demokratie verändern. Am Freitag sprechen die Aufsichtsrätinnen Anja Cristina Grohnert und Franzi Kühne mit Alexander Graf Lambsdorff darüber, wie die deutsche Wirtschaft nach Corona durchstarten kann.
Wie wichtig sind die Präsenz des Blaue Sofas und der verbundenen Formate in Pandemie-Zeiten?
Munsberg: Wir haben vier Tage am Stück Livestreams, 180 Minuten Sendezeit im ZDF, 90 Minuten bei 3sat, zwei Sendungen bei Deutschlandfunk Kultur, dazu sind alle Einzelgespräche ein Jahr lang in den Mediatheken von ZDF und Deutschlandfunk vorhanden. Wir trommeln hier nachhaltig für die Literatur.
Die „Jüdischen Lebenswelten“ im Ariowitschhaus waren Ihnen schon immer ein großen Anliegen – angesichts des aufflackernden Antisemitismus im Lande sind sie wahrscheinlich wichtiger denn je?
Munsberg: Wir haben bis zuletzt gehofft, dass Zeruya Shalev kommt, das war leider nicht möglich. Sie hatte eine komplett durchgeplante Lesetour, aber die Theater haben alle abgesagt. Wir können nun – pandemiebedingt – nur drei Veranstaltungen anbieten: Am Donnerstag ist die niederländische Autorin Judith Fanto („Viktor“) zu Gast, am Freitag kommt Mirna Funk, deren monatliche Kolumne „Jüdisch heute“ seit zwei Jahren in der „Vogue“ erscheint und die nun ein neues Buch mitgebracht hat. Und wir freuen uns auf Hans von Trotha, der mit „Pollaks Arm“ einen tollen Roman bei Wagenbach vorgelegt hat. Ein weiteres Beispiel dafür, dass Sachbuchautoren zunehmend die Fiktion für sich entdecken.
Wie geht’s mit dem Blauen Sofa und der Literatur weiter? Ist Leipzig Startschuss und Mutmacher?
Munsberg: Mit der verstärkten Digitalisierung haben Verlage Zielgruppen erreicht, die ihnen vorher nicht zugänglich waren. Das sind die Chancen. Ich gehe davon aus, dass wir nicht eins zu eins zu den Verhältnissen vor Corona zurückkehren werden. Buchmessen werden stärker mit hybriden Formaten aufwarten. Ich wünsche mir da viele kluge, neue Konzepte. Das Blaue Sofa wird es in diesem Halbjahr noch zwei Mal außerhalb der Buchmessen geben: Gerade haben wir, begleitend zum Kultursymposion des Goethe-Instituts, eine Diskussion zum Thema „Generationen“ im Weimarer Bauhaus-Museum aufgezeichnet (20. Juni, 12 Uhr, 3sat und im Stream unter www.goethe.de/kultursymposium). In Berlin wird es eine Diskussion zur Zukunft der Literaturkritik geben (13. Juni, 22.03, Deutschlandfunk Kultur). Wir haben eher eine Schippe draufgelegt. Wir finden, dass das mit Blick auf die Branche, auf Verlage und Autor:innen, nötig ist.
Nach Studium und Buchhändlerlehre arbeitete Christiane Munsberg, im Buchhandel. 1992 trat sie in die Bertelsmann AG ein, zunächst für acht Jahre in die VVA, wo sie die Online-Plattform Mount Media aufbaute. 2000 wechselte sie in den Bereich der Direct Group Bertelsmann und übernahm ‚Das Blaue Sofa’, das seitdem von den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt Autorengespräche sendet. In den 21 Jahren fanden mehr als 3.000 Autorengespräche auf dem Blauen Sofa von Bertelsmann, ZDF, Deutschlandfunk Kultur und 3sat statt. Unter den Autorinnen und Autoren waren die Nobelpreisträger Swetlana Alexijewitsch, Michail Gorbatschow, Günter Grass, Herta Müller, Christiane Nüsslein-Volhard, Orhan Pamuk, Joseph Stiglitz, Olga Tokarczuk, Mario Vargas Llosa und Mo Yan.
Livestream
- 27. – 30. Mai, täglich 15.00 bis 21.00 Uhr: Über 40 Autor:innen sprechen mit 16 Moderator:innen über ihre neuen Bücher unter: www.dasblauesofa.zdf.de | www.das-blaue-sofa.de | www.deutschlandfunkultur.de | www.3sat.de/buchmesse
ZDF
- 30. Mai ab 0.35 Uhr: „Die lange Nacht des Blauen Sofas“ (180 Minuten)
Deutschlandfunk Kultur
- 28. Mai von 19.30 bis 20.00 Uhr: „Zeitfragen Literatur“: Dorothea Westphal spricht mit den Jurymitgliedern Jens Bisky und Katrin Schumacher über den Preis der Leipziger Buchmesse 2021
- 30. Mai von 0.05 bis 7.00 Uhr „Das Blaue Sofa“
3sat
- 30. Mai um 11.20 Uhr „Das Blaue Sofa“ mit Highlights aus den Gesprächen (90 Minuten)
Alle Gespräche sind in den Mediatheken von ZDF, ARD (Deutschlandfunk Kultur) und 3sat abrufbar.
KrimiClub
Jüdische Lebenswelten
- Livestream jeweils ab 20 Uhr
- 27. bis 29. Mai unter: Link