Oliver Graute, Jahrgang 1971, feiert jährlich mit den Stars der phantastischen Literatur Bilbo und Frodo Geburtstag. Der Verleger, Autor und Künstler bezeichnet sich selbst gerne als Renaissancemenschen. Heute lebt das Multitalent irgendwo zwischen Mannheim und Leipzig und arbeitet nicht nur an neuen phantastischen Projekten, sondern rief auch 2011 die Phantastische Akademie e. V. mit ihrem Literaturpreis SERAPH zur Förderung der phantastischen Literatur ins Leben.
Herr Graute, zunächst einmal die für viele Leser sicherlich interessanteste Frage: Warum wurde der deutschsprachige Literaturpreis für Phantastik SERAPH ins Leben gerufen? Was ist seine Geschichte?
Wenn ich ganz ehrlich bin, dann war es pure Frustration. Ich habe mich jahrelang darüber geärgert, dass das Genre bei renommierten Literaturpreisen bestenfalls randständig war. Die Preise für phantastische Literatur kannten damals nur Wenige. Doch sind wir ehrlich, was soll ein Preis, den niemand kennt? Ich dachte also: „Das muss besser gehen“, und telefonierte ein wenig herum, bis ich genügend Mittäter hatte, die ich von meiner Idee überzeugen konnte. So gründeten wir 2011 die Phantastische Akademie e. V.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Organisation? Wie lange braucht man, um die Veranstaltung zu planen und zu koordinieren?
Unsere Arbeit endet natürlich nicht mit der Preisträgerlesung. Die harte Phase beginnt Anfang des vierten Quartals jedes Jahres. Wenn die Verlage von uns erinnert werden, dass es an der Zeit ist, die Einsendungen zu schicken. Das ist ein logistischer Albtraum. Glücklicherweise gehen auf unsere Initiative hin immer mehr Verlage dazu über, uns die Titel in digitaler Form einzureichen. So können wir die Jury schneller mit den Titeln versorgen und produzieren keine hohen Kosten. Die Koordination war früher natürlich eine viel größere Herausforderung, als sie es jetzt ist. Man wächst bekanntlich an seinen Aufgaben. Wir arbeiten also de facto gut ein halbes Jahr an der Veranstaltung mit allem Drum und Dran.
Der SERAPH wird 2018 auch in der Kategorie „Bester Independent-Autor“ verliehen. Wie ist es zu dieser Idee gekommen? Wurde sich bewusst für eine Ausweitung entschieden oder ist dies auf Publikumswünsche zurückzuführen?
Wir haben schon länger darüber nachgedacht, dass wir ein ganzes Marktsegment und die technologische und wirtschaftliche Entwicklung durch E-Books und Selfpublishing irgendwie mit einbeziehen wollten, wussten aber nicht, wie wir das mit unseren personellen Mitteln schaffen sollten. Glücklicherweise ist der Preis inzwischen so etabliert, dass wir weitere Menschen von unserer Mission begeistern konnten. Das Publikum ist wie immer gespalten. Die einen freuen sich darüber, dass der SERAPH in einer weiteren Kategorie verliehen wird, andere fühlen sich nicht ernst genommen, weil sie keinen Unterschied zwischen einem Buch sehen, das in Selfpublishing erschienen ist und einem, das bei einem Verlag publiziert wurde. Wir sehen das ein bisschen anders.
Traditionsgemäß werden die Gewinner im Rahmen der Leipziger Buchmesse bekanntgegeben. Wie entstand diese Kooperation?
Uns war von Anfang an bewusst, dass ein Literaturpreis auf einer der beiden großen Buchmessen stattfinden müsse. Da die Leipziger Buchmesse einen deutlich stärkeren Fokus auf den Leser hat und durch das Leipzig-liest-Programm auch ein Happening für alle daraus macht, hatten wir von Anfang an den Wunsch, mit der Leipziger Messe „gemeinsame Sache“ zu machen. Das hat jedoch etwas gedauert. Zwar hatten wir von Tag eins an die Unterstützung der Messe in Bezug auf den Veranstaltungsort der Preisverleihung. Als Sponsor kam die Messe dann vor drei Jahren auf uns zu. Dafür sind wir sehr dankbar. Vor allem, weil es sich richtig anfühlt.
Was sind die Pläne für die Zukunft? Wird der SERAPH in dieser Form auch weiterhin eine alljährliche Tradition bleiben?
Unsere Wünsche werden Stück für Stück wahr. In diesem Jahr konnten wir zum ersten Mal dank der Leipziger Messe auf einen größeren Veranstaltungsort zurückgreifen. In den beiden vergangenen Jahren mussten wir zur Preisträgerlesung im Rahmen der Langen Fantasy-Lesenacht immer wieder Menschen abweisen, weil das wundervolle Theaterhaus Schille bedauerlicherweise aus allen Nähten platzte. In diesem Jahr findet die Veranstaltung im Werk II statt. Was die Zukunft anbelangt, so sind wir natürlich auf die tatkräftige und finanzielle Hilfe Dritter angewiesen. Solange wir das hinbekommen, steht einer glorreichen Zukunft des SERAPH nichts im Wege.
Was ist die schönste Erinnerung, die Sie persönlich mit dem SERAPH verbinden?
Für mich ist die schönste Erinnerung der Blick in die Gesichter der Preisträger bei der Verleihung des Preises. Bislang ist es uns dank der Mithilfe der Verantwortlichen in den Verlagen immer gelungen, dass die Preisträger nichts von ihrem Glück wussten. Dieser Moment ist einfach unbezahlbar.
In der phantastischen Literatur werden Mythen, Symbole interessant und unterhaltsam aufbereitet. Allerdings gibt es auch in diesem Genre Qualitätsunterschiede. Was macht für Sie persönlich einen qualitativ anspruchsvollen und unterhaltsamen Roman des Phantastik-Genres aus?
Natürlich gibt es in der Phantastik, wie in jedem literarischen Genre massive Qualitätsunterschiede. Wir versuchen unseren Teil dazu beizutragen, damit es Lesern leichter fällt, eine Entscheidung zu treffen. Gute Titel fesseln den Leser oft von der ersten Zeile an. Dabei geht es weniger darum, mit der Brechstange nach einem noch nie da gewesenen Handlungsstrang zu suchen, sondern den Leser emotional mitzureißen. Wenn es dann auch noch originell ist, dann hat der Titel echtes Potenzial. Aber der Leser ist natürlich auch aufgefordert Neues zuzulassen, sonst lesen wir immer wieder dieselbe Geschichte, denn der Leser oder der Kunde ist bekanntlich König und auch Autoren müssen von irgendetwas leben.
Wie hat sich das deutschsprachige Phantastik-Genre in den letzten Jahren entwickelt?
Die Szene hat sich nach meiner Auffassung etwas gefestigt. Nach der irrsinnigen Schwemme von Fantasy-Titeln im Fahrwasser der Herr-der-Ringe-Verfilmung und der folgenden Vampir-Mania gibt es nun einen Kader gestandener Autoren, die über die Jahre hin kontinuierlich Qualität bewiesen haben. Problematisch ist der bereits angesprochene Drang der Verlage und Autoren, Trends zu suchen und sich an Erfolge zu hängen. Autoren sollten die Möglichkeit haben, und es auch als ihre Pflicht ansehen, Literatur zu verfassen, die ihnen aus der Seele und dem Herzen spricht, nicht aus den Vorgaben der Marketingabteilungen. Ich bin aber guter Dinge, dass sich in Deutschland auch langfristig eine stabile und gesunde Phantastik-Autorenschaft halten kann.
Inwiefern hat sich die phantastische Literatur in den letzten Jahren mit dem Internet verändert?
Die jüngste Vergangenheit hat natürlich dazu geführt, dass zum Beispiel Selfpublisher die Möglichkeit haben, eine Leserschaft zu finden. So kommen Titel auf den Markt, an die zuvor aus unterschiedlichen Gründen niemand glaubte. Dennoch gibt es unter Umständen einen Markt, den die Verlage nicht gesehen haben. Desweiteren ist es dieser Tage natürlich deutlich einfacher für seine Geschichte zu recherchieren. Was früher in stundenlangen Bibliotheksbesuchen ausuferte oder gar eine Reise nach sich zog, wird nun über Google Earth oder gar VR-Brillen erledigt.
Warum hat die phantastische Literatur im Literaturbetrieb ein eher schlechtes Standing und wird als Eskapismus-Phänomen abgetan?
Das ist eine hochkomplexe Frage, die vermutlich den Rahmen dieses Interviews sprengt. Ich versuche dennoch, mich kurz zu fassen. Weil es Menschen gibt, die mit Metaphern und „um die Ecke denken“ nichts anzufangen wissen und daher eine natürliche Abneigung gegen das haben, was sie nicht verstehen, wäre die einfache Antwort. Ein weiterer Punkt ist die falsche Nutzung der Begrifflichkeiten. Ich denke, die meisten Menschen werden in ihrem Leben einmal phantastische Geschichten gelesen und für gut befunden haben. Was sie möglicherweise abschreckt, ist das, was man in Deutschland unter dem Sammelbegriff Fantasy abtut. Fantasy und Phantastik ist jedoch keineswegs dasselbe. Letzter Punkt und vermutlich der schwerwiegendste ist, dass das schlechte Standing vor allem aus der Branche selbst kommt. Doch auch hier beginnt man in den letzten Jahren stark zu differenzieren. Denis Scheck zum Beispiel, der ein erklärter Freund des Genres ist, hat viel zum besseren Verständnis und zur Anerkennung beigetragen. Er behandelt die Phantastik, wie jedes andere Genre auch mit allen positiven und negativen Seiten. Und das ist gut so.
Verkaufszahlen bestätigen, dass Romane des Phantastik-Genres extrem viel gelesen werden. Was begeistert die Leser an der phantastischen Literatur? Worin sehen Sie ihren Erfolg begründet?
Unsere Leben sind voller hochkomplexer Herausforderungen. Phantastische Literatur, obschon ebenfalls oft überaus komplex in Bezug auf fremde Welten und Technologien, bietet doch meist einfache Lösungen für grundlegende und existenzielle Fragestellungen. Es gibt oft nur Schwarz und Weiß. Dieses Farbschema existiert in der realen Welt jedoch nur sehr selten. Ich möchte an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden. Phantastische Literatur ist nicht schlicht oder anspruchslos. Im Gegenteil. Aber die Epen der Vergangenheit, wie der Gegenwart und vermutlich auch der Zukunft, bestechen durch einen klaren Ablauf und Aufbau. Danach suchen die Menschen. Eskapismus? Vielleicht. Aber was soll daran schlecht sein? Solange man immer wieder mit beiden Beinen auf die Erde zurückkommt, ist gegen einen kleinen Urlaub in fremden Welten doch nichts einzuwenden.