Wer hat an der Uhr gedreht? Im letzten September feierte Gesine Neuhof ihr Zehnjähriges bei der Leipziger Buchmesse. Gut, damit hat sie ein paar Jährchen weniger auf dem Buckel als ihr Chef Oliver Zille, der es auf stolze 40 bringt. Doch in unseren dynamischen Hochbeschleunigungs-Zeiten ist das immer noch eine halbe Ewigkeit. Eine Langstrecke, die Marathon-Qualitäten fordert. Über die verfügt Gesine Neuhof zweifellos, doch dazu später. Als sie im September 2007 für die in Mutterschutz gehende Pressereferentin der Buchmesse, zunächst befristet für ein Jahr, eingestellt wird, lässt sie dafür ihren ersten festen Job in der Buchbranche sausen. Leichtsinn? Bis dahin auf jeden Fall: Reichlich unvorstellbar.
Begeisterung fürs „Ökosystem Buch“
Die Leipzigerin Gesine Neuhof studiert in ihrer Heimatstadt. Kommunikations- und Medienwissenschaft mit Schwerpunkt Buchwissenschaft/Buchwirtschaft, von 1999 bis 2005. „Dass ich mich schon während des Grundstudiums zunehmend für das Ökosystem Buch begeisterte“, erinnert sich Neuhof, „lag nicht zuletzt an Dietrich Kerlen, der leider – für alle völlig überraschend – im Sommer 2004 starb. Ein toller Professor.“ Ihre Magisterarbeit schreibt Gesine Neuhof über „Mein Kampf“, den „ungelesenen Bestseller“ Adolf Hitlers. Damals wurde noch darüber gestritten, ob man eine Wiederveröffentlichung von Hitlers rassistischer Suada nicht verbieten sollte. Dass Neuhof nach dem Studium zunächst aus Leipzig fortgeht, ist alles andere als ungewöhnlich: Zwar habe die einstige „Buchstadt“ einen hervorragenden Ruf als Ausbildungsstadt rund ums Buch, findet Neuhof – doch ganz real ist „das Arbeitsangebot in der Branche recht bescheiden.“ Ein klassisches Volontariat also, bei Gräfe + Unzer in München. Nach dem ersten Jahr wird sie übernommen. Sie fühlt sich wohl an der Isar. Doch aus den Augenwinkeln schaut sie auch zurück nach Leipzig; ihre Initiativbewerbung liegt noch bei der Buchmesse. „Heimat ist Heimat.“ Und dann klingelt das Telefon…
Herzschlag-Momente
März 2008, Gesine Neuhofs erste Buchmesse als Pressesprecherin. Kroatien ist Schwerpunktland, Lokalmatador Clemens Meyer gewinnt den Preis der Leipziger Buchmesse und stemmt unter der Glashallenkuppel die Bierflasche hoch. Im Neuen Rathaus geht die erste LitPop über die Bühne. Und ja, Bundespräsident Horst Köhler ist auch da. Lampenfieber? „Die Moderation der Eröffnungs-Pressekonferenz, das war schon ein besonderer Moment.“ Nach ziemlich genau einem Jahr wechselt Gesine Neuhof dann – wieder im Rahmen einer Elternzeitvertretung – ins Buchmesse-Team. Ein neuer Stellenzuschnitt, neue Routinen. Zunächst ist sie fürs Hörbuch, Belletristik und Sachbuch, das Programm der Independents verantwortlich. Neuhof ist überrascht über den hohen „Selbstverwirklichungs-Grad“ der Arbeit als Team-Playerin: „Man kann sich stärker einbringen, Themen nicht nur kommunizieren, sondern selbst mitformen“. Dass es dabei nicht schadet, die Kommunikations-Seite zu kennen, zu wissen, wie Journalisten ticken, versteht sich von selbst. Zu Neuhofs rasch wachsendem Aufgabenkreis gehört denn auch bald auch die Betreuung der Medienkooperationen der Buchmesse.
Der nächste Schritt
Nach fünf Jahren im Team übernimmt Gesine Neuhof im Herbst 2012 die Gesamtkoordination von „Leipzig liest“. Ein folgerichtiger Schritt; mit dem absehbaren Ausscheiden der langjährigen Lesefestorganisatorin Jutta Schaarschmidt stellte sich die Buchmesse hier neu auf. Wie hat man sich Neuhofs Arbeit vorzustellen? „Im Grunde“, erklärt sie, „betreut jeder im Team neben seinen Aussteller-Bereichen auch Programm-Anteile des Lesefests. Mein Job ist es eigentlich, das alles in einen Rahmen, eine Form zu bringen – von den zahlreichen Veröffentlichungen bis zur Programmdatenbank. Daneben kümmere ich mich auch um unsere eigenen Veranstaltungen, etwa den großen ‚Leipzig liest’-Abend, den es seit drei Jahren gibt.“ Dazu geht es, natürlich, auch ums große Ganze, um die strategische Grundausrichtung: Wo steht Leipzig im wachsenden Kreis der Festivals zwischen Berlin, Köln, Hamburg und der Provinz? Wo will man hin? Ohne „Leipzig liest“, so ist Neuhof überzeugt, „wäre die Buchmesse nicht das, was sie heute ist“. Die Buchmesse und ihr Festival profitieren nicht zuletzt von einer boomenden Selfpublishing-Szene, einem gewandelten Autoren-Selbstverständnis. „Allerdings stellt uns beides auch vor extreme Herausforderungen, was die Dimensionen des Festivals betrifft.“
Needles & Pins
Nicht nur die Anforderungen an die Projektmanagerin unterliegen stetem Wandel; auch das Unternehmen Messe selbst wandelt sich, geht mit der Zeit. Heute kann Gesine Neuhof zehn Stunden ihrer Wochenarbeitszeit im Home-Office absolvieren – das bedeutet mehr Freiraum für die Familie, den inzwischen dreijährigen Sohn. Dennoch ist der Job fordernd, Kräfte zehrend. Kreativen Ausgleich findet Neuhof an der Nähmaschine. „Diese Leidenschaft hat, ganz klassisch, während der Schwangerschaft angefangen“, lacht sie. „Etwas Tolles mit den Händen zu schaffen bedeutet immer wieder ein Erfolgserlebnis – und die vollkommene mentale Entspannung. Inzwischen bin ich auf dem Feld ziemlich ehrgeizig geworden.“ Was Gesine Neuhof anpackt, will sie gut machen – daran hat sich seit den Studienjahren und dem Zwischenspiel in München nichts geändert. Dienst nach Vorschrift? Ist nicht ihr Ding. Zehn Jahre Leipziger Buchmesse sind beinahe wie im Flug vergangen. „Jedes Jahr ist anders. Und so ist auch das elfte eine Herausforderung.“
Gesine Neuhof, geborene Leipzigerin, studierte nach dem Abitur an der Universität Leipzig Kommunikations- und Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Buchwissenschaft/Buchwirtschaft. Nach einer Station im Marketing von Gräfe + Unze (München) wechselte sie 2007 zur Leipziger Buchmesse, wo sie zunächst als Pressereferentin, später als Projektmanagerin tätig war. Seit Oktober 2012 ist sie für die Gesamtkoordination von „Leipzig liest“ verantwortlich.