Eigentlich hat sich Felix Wisotzki schon immer für stressresistent gehalten. „Nach den letzten 12 Monaten“, gesteht er mit einem Grinsen im Gesicht, „bin ich es amtlich“. Das liegt, so ahnen wir, an seinem neuen Job als Pressesprecher der Leipziger Buchmesse, in den er sich gewissermaßen mit Warp-Antrieb und Siebenmeilen-Stiefeln stürzte. Als der Pressereferent nach hausinterner Bewerbung im Sommer 2023 den Zuschlag für die ein rundes Jahrzehnt von Julia Lücke besetzte Stelle erhielt, galt es für eine Übergangszeit die laufenden Projekte abzuschließen – im Fall von Wisotzki war das etwa die Medienbetreuung der efa:ON, der Fachmesse für Elektro-, Gebäude- und Lichttechnik. Kein ganz leichter Start, wo sich doch das Anforderungs-Profil seiner neuen Tätigkeit von den bisherigen Aufgaben in der Kommunikations-Abteilung der Leipziger Messe deutlich unterscheidet. „Wo ich in meinem alten Job – bis zum Schreiben der Presse-Texte – die komplette operative Ebene abgedeckt habe“, sagt Wisotzki, „ist es bei der Buchmesse vor allem klassisches Projekt-Management: Ich bin der, bei dem für alle PR-Themen die Fäden zusammenlaufen.“ Als hilfreich sollte es sich erweisen, dass Wisotzki zum Kreis jener gestandenen Kommunikations-Kolleginnen und Kollegen gehörte, die die rasant gewachsene Buchmesse aus dem Backoffice unterstützten. „In diesem Jahr“, erzählt der Pressesprecher, „habe ich selber von diesem Support profitiert. Die Beschäftigung mit verschiedenen plötzlich aufploppenden Themen hätte meine Ressourcen komplett gesprengt.“
Mit dem Wechsel zur Leipziger Buchmesse schließt sich für den im ostthüringischen Gera aufgewachsenen Felix Wisotzki ein Kreis: Back to the Roots, zurück zur Literatur. Wobei es Wisotzki nach einem Schülerpraktikum bei Antenne Thüringen, vor allem jedoch nach den drei Monaten in der Gothaer Lokalredaktion der Thüringer Allgemeinen zwischen Abi und Zivildienst zunächst in Richtung Journalismus zog – ein Beruf, der manchem in früheren Zeiten als abenteuerliche Mischung aus Sherlock Holmes und Ernest Hemingway erschien. In der notorisch dünn besetzten Lokalredaktion genoss der Praktikant jedenfalls alle Freiheiten und nahm die Termine eigenständig wahr – vom Bockbierfest über die Rassekaninchen-Ausstellung bis zur anrührenden Weihnachtsfeier im Kinderheim. Allerdings bekam Wisotzki von erfahrenen Redakteuren auch zu hören: Schreiben kannst du ja – such’ dir ein Fach, spezialisiere dich, sammle Expertenwissen! Und so kommt endlich die Literatur ins Spiel, denn der junge Thüringer tritt 2002, kurz nach 9/11 also, an der Ludwig-Maximilians-Universität in München ein Studium der Amerikanistik an. Er genießt die intensive Auseinandersetzung mit der amerikanischen Kultur- und Literaturgeschichte, sammelt Scheine für Dinge, die andere in ihrer Freizeit erledigen müssen – und schließt 2009 mit einer Arbeit über die Sopranos und die „Krise der Männlichkeit“ ab.
Als Felix Wisotzki 2009 zu seiner heutigen Frau nach Stuttgart geht, um mit seinem reichen Expertenwissen einen Job als Journalist zu finden, ist das, was wir heute als „Medienkrise“ kennen, schon in vollem Gange. Dennoch melden sich auf eine Volontariats-Stelle bei der „Stuttgarter Zeitung“ noch 450 Bewerber! Wisotzki macht ein Praktikum bei den Stuttgarter Nachrichten und bleibt für ein gutes halbes Jahr als Freier – merkt aber recht schnell, dass ihn das nicht befriedigt. Ein Zufall ist es schließlich, der ihn die Schreibtisch-Seite wechseln lässt – er wird Junior-Berater in einer Stuttgarter PR-Agentur, die mit dem Fokus Bauen und Wohnen unterwegs ist. Das ist ziemlich weit weg von der Literatur – doch der Absolvent der Geistesgeschichte hat Spaß an der Arbeit mit den Kunden und der Einarbeitung in neue Themenfelder. Womöglich hat er sich schon mit Details von Wärmepumpen beschäftigt, als unsereins nicht im Traum daran dachte. Dummerweise sah die Agentur kaum Entwicklungsmöglichkeiten vor – und auch Stuttgart schien nach einer gewissen Anlaufzeit nicht der Ort, an dem man für die Rente plant. Also wieder München? Oder Berlin? Oder – Leipzig? 2014 bewarb sich Felix Wisotzki auf eine Stellenanzeige der Leipziger Messe, die einen Pressereferenten suchte, Schwerpunkt im Bereich der technischen Messen. Durch die Stuttgarter Agentur-Vergangenheit passte das ideal – am 15. September 2014 war Wisotzkis erster Arbeitstag in Leipzig, zwei Monate vor Beginn der denkmal, der europäischen Leitmesse für Denkmalpflege, Restaurierung und Altbausanierung. „Das war heftig. Wenn man die ersten sechs Monate überstanden und die Prozesse verinnerlicht hat, entspannt sich das.“
In der Folgezeit ist Wisotzki für ein Portolio diverser Fachmessen verantwortlich. 2015/16 kommt mit dem Gaming-Festival Dreamhack eine veritable Publikumsveranstaltung mit deutlich höherem Medienrauschen dazu – sie beschert dem Kommunikations-Arbeiter auch die erste Pressekonferenz per Live-Stream, heute eine Alltäglichkeit. Die Corona-Zeit erlebt Wisotzki einerseits als „frustrierend“, da Veranstaltungen, die komplett geplant und vorbereitet waren, aufgrund der Auflagen ins Wasser fielen. Auf der anderen Seite gab es jedoch auch genug Freiraum, um sich auf neue Themen und Projekte einzulassen: Als die Leipziger Messe ihre Weblandschaft komplett umstellt, begleitet und steuert Wisotzki bei einigen Webseiten den Transformationsprozess.
Offiziell ist Felix Wisotzki Mitte August als Buchmesse-Pressesprecher gestartet. „Die Wochen vor meiner Premiere im März waren schon ein wilder Ritt. 80 bis 100 Mails und dutzende Anrufe am Tag waren die Regel.“ Die Aufgaben reichen von der Organisation der klassischen Pressekonferenz bis zum vertraulichen Hintergrundgespräch, in Fachkreisen „unter drei“ genannt. Bewährungsproben sind das erste Pressegespräch der neuen Buchmesse-Direktorin Astrid Böhmisch mit ausgewählten Medienvertretern im Januar oder die Vorab-Pressekonferenz im Februar im Ost-Passage Theater. Lampenfieber? Das nicht, aber: „Auf diesen Termin waren doch deutlich mehr Augen gerichtet als auf die Pressekonferenzen, für die ich bislang zuständig war. Ein Kribbeln war da schon!“ Großartig die erste Pressereise in die Niederlande und Flandern, die Wisotzki in neuer Funktion im Januar begleitet. „Ich habe viel über das Buchmesse-Gastland gelesen“, sagt er, „aber ein wirkliches Gefühl für Kultur und Leute habe ich durch die Reise bekommen.“ Nicht immer ist so eine Expedition vergnügungssteuerpflichtig: „Ich habe meist aufs Frühstück verzichtet, um meinen ‚eigentlichen’ Job zu machen, auch abends im Hotel saß ich noch mal zwei Stunden am Rechner.“ Und dann: Buchmesse-Premiere! „Wenn alles vorbereitet ist und der erste Messetag läuft“, verrät Wisotzki, „setzt bei mir eine Art Tiefenentspannung ein – so viel kann jetzt nicht mehr schiefgehen.“ Das Adrenalin, so der Pressesprecher, sei schon noch da – aber man spüre „eine gewisse Grundsicherheit, die einen trägt“.
Leipzig kennt Felix Wisotzki schon lange als „ungeheuer lebenswerte und attraktive Stadt“ – als leidenschaftlicher Schwer-Metaller, der einen großen Teil seiner Freizeit mit dem Besuch von Konzerten, dem Hören von Schallplatten und dem Lesen dickleibiger Musik-Bücher verbringt, besuchte er regelmäßig das Wave-Gotik-Treffen. Obwohl Leipzig konzertmäßig eigentlich kaum Wünsche offenlässt, zieht es Wisotzki und seine Frau hin und wieder in die weite Welt: Die Hochzeitsreise führte das Paar 2023 aufs Metal-Festival Beyond the Gates im norwegischen Bergen, in dem selbst die ehrwürdige Grieg-Halle als Location dient. Eine weitere Liebe Wisotzkis, neben Literatur und heftiger Musik, gehört dem Bierbrauen. Sechs, sieben Mal im Jahr werden Gärbottich und Braukessel aus dem Schrank geholt, und beim Abfüllen des Gerstensafts verbinden sich Leidenschaften aufs schönste: Vorlage für die Etiketten ist zumeist ein Platten-Cover, das zum Getränk passt. Der Name der Ein-Mann-Hobbybrauerei, Furor Divinus, geht auf einen Song-Titel einer polnischen Metal-Band zurück. Wenn es Behemoth, so nennen sich die Herrschaften, Anfang August in Bergen krachen lassen, wird auch Felix Wisotzki vor der Bühne stehen.