Sie haben im Frühjahr, wie auch andere größere unabhängige Verlage, an der buchmesse_popup teilgenommen, aber auch stets betont, dass solche Initiativen, wie toll sie auch sein mögen, die Leipziger Buchmesse nicht ersetzen können?
Tom Kraushaar: Eine Messe ist mehr als eine Buchausstellung mit angeschlossenem Lesungsprogramm. Sie ist ein Branchentreffen, an dem im Idealfall alle teilnehmen: Autoren, Verlage aller Größen und Segmente, Buchhändler, Literaturveranstalter, Übersetzer, Journalisten. Eine Messe ist ihrem Wesen nach groß und vielfältig.
Wie sieht Ihre Lernkurve im Jahr Drei der Pandemie aus?
Kraushaar: Rein kaufmännisch gesehen, liegt – so paradox es klingen mag – eine gute Zeit hinter uns. Über die Gründe ist oft gesprochen worden. Allerdings lebt gerade unsere Branche sehr stark vom persönlichen Austausch. Wenn der für längere Zeit fehlt, sind die Folgen zwar nicht sofort zu spüren. Aber sie stellen sich unweigerlich ein. In New York etwa lässt sich zurzeit eine Dichotomie beobachten: Dort geht, zugespitzt formuliert, die Ü-60-Generation nach Manhattan, um ihre Martinis zu schlürfen; die Jüngeren ziehen aufs Land, arbeiten im Homeoffice und züchten Kartoffeln und Tomaten. Für mich ein Alarmzeichen! Wen wir die falschen Lehren aus der Pandemie ziehen, kann es leicht zu einer Verarmung unserer Unternehmens- und Branchenkultur kommen. Mit der fatalen Folge, dass die Branche für den Nachwuchs auf lange Sicht weniger attraktiv würde.
Also hohe Zeit, sich endlich wieder in echt die Hände zu schütteln?
Kraushaar: Technologie ist schön. Aber wenn wir nicht die richtigen Menschen erreichen, wird es schwierig. Denen begegnen wir allerdings hauptsächlich in der physischen Welt – und nicht in Teams oder auf Zoom. Wir brauchen das lebendige Miteinander – egal, ob es sich um Buchmessen handelt oder kleinere Treffen. Es wäre schlicht katastrophal, wenn das auf Dauer nur noch eingeschränkt möglich wäre. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass wir einigermaßen rasch zu so etwas wie Normalität zurückkehren. Damit will ich potenzielle Gefahren nicht kleinreden. Aber die Art, wie wir mit solchen Herausforderungen umgehen, hat sich bereits jetzt verändert. Und sie wird es weiter tun.
Wir werden im kommenden Jahr in normaler Größe auftreten – und hoffen, dass alle anderen auch mitziehen
Tom Kraushaar, Geschäftsführer Klett-Cotta
Die Vertreterkonferenz liegt gerade hinter Ihnen – mit welchen Projektionen schauen Sie auf den April in Leipzig?
Kraushaar: Wir werden in normaler Größe auftreten – und hoffen, dass alle anderen auch mitziehen. Die Verschiebung der Messe – und damit auch des Preises der Leipziger Buchmesse – hat natürlich auch unsere Programmplanung beeinflusst. Die mediale Aufmerksamkeit für Bücher, man sieht es an den Literaturbeilagen oder dem Programm in Radio und Fernsehen, wird auch 2023 stark an den Messetermin gebunden sein. Wir haben für Bücher, die wir zum Preis einreichen wollen, etwas mehr Spielraum; generell kann sich das Programm etwas entzerren. Die London Book Fair (18. – 20. April) ist durch die temporäre Verschiebung allerdings sehr dicht an den Leipziger Termin gerückt.
Wird es im April auch die bis 2019 obligaten Engtanz-Runden im Café KAPITAL geben? Der Glaswürfel am Johanna-Park war ja in vor-pandemischen Zeiten so etwas wie der Schmelztiegel der Leipziger Buchmesse…
Kraushaar: Ich weiß gar nicht, ob wir schon reserviert haben (lacht). Aber die Leute von der GfZK halten den Messe-Donnerstag eh für uns frei. Natürlich wäre ein Fest wie die Tropen-Party 2020 die Blaupause aller Superspreader-Events gewesen. Irgendwann werden wir vor der Frage stehen: Wollen wir je wieder solche Partys feiern? Ich glaube: Ich will.