War es schwierig, mit dem ersten Buch bei einem Verlag unterzukommen?
Gerda Raidt: Meine Diplomarbeit an der HGB war ein Buch, „Matrosentango“, das erschien in einer kleinen Auflage von 50 Exemplaren. Ein typisches Bilderbuch für Erwachsene; der denkbar schwierigste Einstieg für eine Newcomerin. Ich habe es bei dem Wettbewerb um die „Schönsten deutschen Bücher“ eingereicht, dort bekam es eine „Lobende Anerkennung“ und war auch in der Frankfurter Freihand-Ausstellung zu sehen. Zufällig geriet es Peter Hinke in die Hände, der es in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung veröffentlicht hat. Zuvor hatte ich es auch an andere Verlage geschickt; bis vor ein paar Monaten habe ich die Absagen, die damals eintrudelten, sogar in einem Ordner abgeheftet. Nur ganz wenige Lektorinnen und Lektoren haben sich die Mühe gemacht, die Absage individuell zu begründen.
Wurdest Du während des Illustrations-Studiums auf solche schnöden Begegnungen mit der Marktrealität vorbereitet?
Raidt: Im Studium spielte das Überleben als Illustrator keine Rolle. Die Hochschule will natürlich nicht Leute für den Markt ausbilden, sondern sie sind an Absolventen interessiert, die möglichst eine eigene Handschrift haben. Manche Schulen nehmen sich des Problems an, so zum Beispiel die Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle/Saale. Von meinen ehemaligen Kommilitonen sind interessanterweise heute viele in der Lehre tätig. Allerdings sind die Anstellungen unterhalb einer Professur meist befristet – und finanziell nicht unbedingt der Hammer.
Wie ging es nach der Veröffentlichung Deines Erstlings „Matrosentango“ weiter – wie konntest Du Dich am Markt etablieren?
Raidt: Wir haben im Atelierhaus Frühauf zu einer Leipziger Buchmesse eine Gruppenausstellung organisiert, ein rauschender Abend mit unseren Bildern an der Wand. Gleichzeitig haben wir’s geschafft, doch einige Leute aus der Verlagswelt dahin zu lotsen. Nach dem Abend hatte ich dann einige Visitenkarten in der Hand (lacht). Bettina Herre von Sauerländer hat mir einen Text von Hans-Christian Andersen für ein Weihnachtsbilderbuch zum Illustrieren gegeben, das erste „echte“ Auftragsbuch. Parallel saß ich für Gerstenberg an einem Kinderreime-Hausbuch, Edmund Jacoby waren meine Arbeiten im Frühauf! ins Auge gefallen.
Man möchte gern in den Betrieb reinkommen – gleichzeitig aber seine künstlerischen Überzeugungen, seine Haltung nicht an der Garderobe abgeben. Wie geht man am Start seiner Laufbahn mit diesem Spagat um?
Raidt: Ich hatte wohl eine viel größere Angst davor, als letztlich nötig war. Meist geht es um Änderung in den Skizzen, die ich zeige. Wenn ich die Begründung der Lektorin nachvollziehen kann, ist das für mich OK – und ich kann neue Lösungen finden. Schlimm ist es, wenn ohne erkennbaren Grund in die Bildebene eingegriffen wird: Bitte die Arme länger, die Augen kleiner! Aber das passiert sehr selten. Am ehesten noch bei Covern, die U 1 ist ja die Werbefläche des Buchs im Handel. Manchmal werden dann die zur Vertreter-Konferenz aufploppenden Wünsche gebündelt an mich weitergereicht. Manchmal sind das auch in sich widersprüchliche Wünsche, dann gilt es, einen Kompromiss zu finden. Aber der kleinste gemeinsame Nenner muss nicht die beste Lösung sein.
Wie funktioniert das im Alltag?
Raidt: Sagen wir so: Ich will ja auch, dass sich meine Bücher verkaufen. Ich vertraue dann der geballten Expertise von Marketing und Vertrieb. Man kann ja von fünf vorgeschlagenen Änderungen drei klaglos akzeptieren – und bei zweien sagen: Das ist mir ganz wichtig! Funktioniert. Es muss ja auch häufig sehr schnell gehen.
Manchmal sind einzelne Personen wichtig; bei Dir war das etwa Petra Albers, die Programmleiterin von Beltz & Gelberg…
Raidt: Stimmt. Sie forderte mich sehr nachdrücklich auf, mit eigenen Ideen rumzukommen. Auf diese Weise kam es zu „Die Straße“, meinem ersten Buch für Beltz & Gelberg, zusammen mit der Autorin Christa Holtei. Inzwischen sitze ich am vierten.
Worauf kommt es bei der Zusammenarbeit mit Autorinnen und Autoren an?
Raidt: Oft habe ich mit ihnen gar nicht so viel zu tun, der Text ist ja meist vorher da. Und dann arbeite ich an den Illustrationen. Der Lektor im Verlag ist das Scharnier bei diesem Prozess, er moderiert und steuert ihn. Ich finde, der Autor muss dem Illustrator ein wenig Luft lassen; wenn der Text geschrieben ist, gibt man ihn in die Welt. Schwierig, wenn der Autor, die Autorin nicht loslassen kann – aber das passiert zum Glück selten. Die meisten freuen sich über die Bilder zum Text, die ja noch einmal eine andere Perspektive in die Geschichte bringen, sie bereichern.
Mit dem Relaunch der „Fünf Freunde“ von Enid Blyton wurdest Du zur Serien-Illustratorin. Wie hat sich das angefühlt?
Raidt: Das waren insgesamt 22 Bände, Cover plus Innengestaltung, eine Menge Holz. Diese Reihe sollte noch mal für ein jüngeres Leser-Publikum erschlossen und behutsam in einen moderneren Look gebracht werden. Das waren zweieinhalb Jahre, in denen ich hauptsächlich an diesem Projekt gearbeitet habe. Es war angenehm, mal eine Art „Festanstellung“ mit regelmäßigem Honorareingang zu haben. Und es war ein überschaubarer Zeitraum. Viele andere Projekte musste ich in dieser Zeit absagen, das ist mir nicht leichtgefallen. Da schwang eine latente Angst mit: Vielleicht ruft dich nie wieder jemand an? Was natürlich völlig unbegründet war.
Wie hast Du über die Jahre gelernt, mit der Freiberuflichkeit umzugehen?
Raidt: Ich glaube, man hat einen Vorteil, wenn man aus einer Freiberufler-Familie kommt. Allerdings hat meine Oma immer hartnäckig nachgefragt: „Hast Du denn jetzt eine Anstellung, Kind?“ Ich wurde da bisschen als Problemfall wahrgenommen, auch wenn das keiner gesagt hat. Die ökonomische Unsicherheit ist hin und wieder da, auch wenn ich inzwischen routinierter damit umgehe. Hinter das „Frei“ würde ich aber ein Fragezeichen setzen: Ich sitze montags bis freitags, zu den normalen Büro-Kernzeiten, am Arbeitstisch. Auch, wenn meine Ansprechpartner in den Verlagen gerade Urlaubs-Meldungen verschicken. Und ich sitze da mindestens acht Stunden täglich, in Abgabephasen auch länger!
Wie siehst du Deinen Beruf unter finanziellen Aspekten, auch im Vergleich mit anderen kreativen Berufen?
Raidt: Im Verhältnis zu anderen Kreativen vermutlich ähnlich; vielleicht läuft es bei mir sogar kontinuierlicher als bei jemanden aus der, sagen wir, freien Theaterszene. Ich bin recht breit aufgestellt, das ist meine Sicherheit. Wie auch die Autoren sind wir prozentual am Verkauf des Buches beteiligt; es gibt einen prozentualen Anteil vom Netto-Ladenpreis – und darauf einen Vorschuss, das Garantiehonorar. Ich darf mich nicht so oft mit anderen Eltern unterhalten, die aus der Wirtschaft kommen – das kann deprimierend sein. Man ist hochqualifiziert, aber am Ende eine Tagelöhnerin. Als ich 35 war, haben viele in meiner Umgebung Häuser oder Wohnungen gekauft, das hat mich hin und wieder ins Zweifeln gebracht. Inzwischen reden diese Leute mit festen Bürojobs schon wieder davon, was sie „eigentlich“ machen wollen. Da muss ich grinsen: Ich habe genau das bislang immer das gemacht. Das ist mein Luxus.
Du lässt dich von einer Agentin vertreten. Warum?
Raidt: Ich bin nicht die beste PR-Frau in eigener Sache; verhandeln gehört auch nicht unbedingt zu meinen Stärken. Susanne Koppe übernimmt das für mich.
Wie bleibst Du angesichts des doch latenten Drucks im Kopf locker und kreativ?
Raidt: Ich versuche, mir Zeiträume für eigene Projekte freizuhalten. Das erfordert eine gewisse Disziplin, die Verlockung, doch wieder Aufträge anzunehmen, sind groß. Aber wenn es klappt, entstehen schöne Sachen wie „Meine ganze Familie“ (Beltz & Gelberg), ein Buch, bei dem Konzept, Text, Illustration und Gestaltung von mir stammen. Inzwischen sitze ich an einem weiteren Sachbuch. „Müll. Alles über die lästigste Sache der Welt“ erscheint zur kommenden Leipziger Buchmesse.
Gerda Raidt, 1975 in Berlin geboren, hat an der Burg Giebichenstein Halle und der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) Leipzig studiert. Sie arbeitet als freie Illustratorin in Leipzig und hat zahlreiche Bücher für verschiedene Verlage illustriert, unter anderem Beltz & Gelberg, Insel, cbj, Aladin und Gerstenberg. Zur Leipziger Buchmesse im März 2019 erscheint ihr neues Buch „Müll. Alles über die lästigste Sache der Welt“ bei Beltz & Gelberg.
Fantasiebeschleuniger: Die Leipziger Buchmesse bietet ein vielseitiges Kinder- und Jugendprogramm mit Lesungen und Mitmach-Angeboten, Aktionen im Hörbuch- und Musikbereich, mit Spielen oder Mal- und Bastelangeboten. Foren wie die „Lesebude“ und der „Lesetreff“ sowie zahlreiche Veranstaltungsorte in der Stadt Leipzig bieten Gelegenheit, die Macher von Bilderbüchern und Autoren persönlich zu treffen.