Inzwischen ist es unglaubliche 25 Jahre her, dass im Bonner Weidle Verlag mit „Napoleon. Spiegel des Antichrist“ von Teixeira de Pascoaes (1877 – 1952) die erste Übersetzung aus dem Portugiesischen erschien. Kein Geringerer als Albert Vigoleis Thelen (1903 – 1989), ein vom Verlegerpaar Stefan und Barbara Weidle hoch geschätzter Autor, hatte das Werk des portugiesischen Mystikers und Visionärs auf Mallorca kennengelernt. „Thelen wurde der Übersetzer von Pascoaes, später sein Freund, in dessen Haus er von 1939 bis 1947 lebte“, weiß Stefan Weidle. „An der 1940 fertiggestellten Übersetzung arbeiteten die beiden Freunde eng zusammen.“
Vieles kommt dann zusammen: Der Umschlag des Pascoaes-Bandes stammt von Michael Biberstein (1948-2013), einem in Sintra (Portugal) lebenden Künstler, der ebenso wie seine Frau Ana Nobre de Gusmão (*1952), eine der wichtigsten Gegenwartsautorinnen Portugals, mit dem deutschen Verlegerpaar befreundet ist. Von Gusmão erschienen bei Weidle drei erfolgreiche Bücher: „Spiegel der Angst“ (2002), „Die Seherin) und „Die Gefangene von Emily Dickinson“ (2013). „Wenn man angefangen hat, mit einer Sprache zu arbeiten“, sagt Stefan Weidle, „passiert es öfter, dass man Angebote bekommt“. Häufig sind es Übersetzer und Übersetzerinnen, die als Agent in eigener Sache auftreten – so gelangte etwa Rui Zinks „Die Installation der Angst“ (2016) durch die Vermittlung des hier schon porträtierten Michael Kegler ins Weidle-Programm.
Der in Leipzig und Lissabon lebende Übersetzer Markus Sahr war es schließlich, der den Weidles die 1963 in Lourenço Marques, dem heutigen Maputo, geborene Isabela Figueiredo und ihr Buch „Roter Staub“ vorschlug. Die Autorin wuchs mitten in den Kolonialkriegen in enger Nachbarschaft zu den Schwarzen auf, doch als Weiße. Eine Jugend, die früh zu Ende ging: 1975, nach der Nelkenrevolution und Mosambiks Unabhängigkeit, verließ sie Afrika allein und lebte fortan – bis zum Studium – bei Verwandten in der tiefsten portugiesischen Provinz. Ihre Eltern sah sie erst zehn Jahre später wieder, als auch sie aus Afrika zurückgekehrt waren. „Ein Hauptthema im Verlag ist Exil“, sagt Stefan Weidle. „allerdings in einem sehr weit gefassten Sinn. Unsre Heimat ist nicht hier, heißt es in den Wesendonck-Liedern von Wagner. Dazu gehört auch, dass ein Mädchen, das in Mosambik aufwächst, das Land ihrer Kindheit verliert, und in Portugal sehr lange nicht Fuß fasst.“
Der Erinnerungsband „Roter Staub. Mosambik am Ende der Kolonialzeit“, der bei seinem Erscheinen in Portugal 2009 einen veritablen Skandal auslöste, wurde von Weidle – mit einem Nachwort von Sophie Sumburane – im Herbst 2019 publiziert und liegt heute bereits in der dritten Auflage vor. Zum Erfolg hierzulande hat zweifellos beigetragen, dass das Buch nicht nur an ein portugiesisches Tabu-Thema rührt – sondern einen universalen Loyalitätskonflikt darstellt: Jenseits von Mosambik und Portugal, von Kolonialherrschaft und Befreiung, schildert die Autorin die Überwindung des Zwiespalts zwischen unbedingter Vaterliebe und der radikalen Ablehnung dessen, wofür der Vater steht, arbeitet der Rezensent der „Süddeutschen Zeitung“ heraus: Es geht darum, „wie eine Tochter das Joch des geliebten Vaters abwirft“.
Ganz anders der von Marianne Gareis kongenial übersetzte Roman „Die Dicke“, der im letzten Frühjahr erschienen ist und mit dem Isabela Figueiredo bereits eine pandemiebedingt kurze Zwischenlandung bei der Leipzig liest extra-Veranstaltung „Portugal liest in Leipzig – Ein Ausblick auf das Gastland 2022“ hatte. Es ist die Geschichte eines hochintellektuellen und durchaus eigenständigen Mädchens, dessen starke Übergewichtigkeit alles überlagert: ihre sozialen Kontakte, ihr Gefühls- und Liebesleben, ihren Wirklichkeitsbezug. Als Erwachsene fasst die Roman-Heldin Maria Luísa den Entschluss, ihren Magen operativ verkleinern zu lassen. „Alle in diesem Buch beschriebenen Figuren, Orte und Situationen sind reine Fiktion und pure Realität“, heißt es doppeldeutig im Beipackzettel zu „Die Dicke“ – einem literarisch eigenwilligen, anspruchsvollen, sehr persönlichen Buch, das alles andere als leichte Kost ist.
In den Ferien von der sechsten zur siebten Klasse belohnt sich der Gymnasiast Karl-Markus Gauß mit einem vorzeitigen „Leserausch“ dafür, dass er in der zweiten Sommerhälfte für die anstehende Mathe-Nachprüfung büffeln wird. Statt als Ferialarbeiter in der Eisengießerei Hammerau zu schuften, schleppt er Band um Band aus der Buchhandlung an der Salzburger Staatsbrücke: Eine rororo-Taschenbuchausgabe von Max Frischs „Homo Faber“, Hermann Hesses „Narziss und Goldmund“ aus der Bibliothek Suhrkamp, Adalbert Stifters „Der Hagestolz“ und Jack Kerouacs „Unterwegs“. Doch während sich der 16jährige, der sich durchaus für einen Rebellen hält, von einem Ingenieur aus den angestaubten 50er Jahren, einem mittelalterlichen Klosterschüler und einem eigenbrötlerischen Single aus dem 19. Jahrhundert elektrisieren lässt, kommt er mit der Aussteiger-Bibel „On the Road“ nicht wirklich klar. „Heute weiß ich, dass die Literatur die Kraft hat, uns nicht nur mit dem Ähnlichen, sondern auch mit dem Fremden, dem ganz Andersgearteten auf uns selbst zu bringen“, schreibt Gauß in der vierten und letzten Abteilung seiner „Unaufhörlichen Wanderung“ in einer Skizze des Autors als junger Leser. Nach der Matura, im September 1972, schreibt er sich an der Philosophischen Fakultät der Universität Salzburg für Germanistik und Geschichte ein; die Bibliothek des Germanistischen Instituts in der Akademiestraße wird eine Art zweites Zuhause für ihn. Sein Studium schließt er mit einer Diplomarbeit über Peter Weiss’ Mikro-Roman „Der Schatten des Körpers des Kutschers“ ab; statt der geplanten Dissertation über die ästhetischen Schriften Ernst Fischers wird Gauß, zusammen mit dem Freund Ludwig Hartinger, eine achtbändige Werkausgabe herausgeben. Als er nach dem Studium in Zeitschriften wie dem legendären „Wiener Tagebuch“, später auch großen Zeitungen zu publizieren beginnt, spricht sich seine Obsession für scheinbar abseitige Autoren schnell herum. Eine Marotte? „Es war der Versuch, mir lesend und schreibend ein eigenes, anderes Bild von der Welt zu erschaffen, in dem auch die verwischten Spuren der Revolte, von denen man gerne behauptet, es hätte sie in Österreich ohnedies gar nicht gegeben, wieder sichtbar würden.“ Jahre später wird Karl-Markus Gauß seinen Platz finden – weit genug weg vom Zentrum, und doch so nah an allem, um sich nicht als Unverstandener oder Abgewiesener zu stilisieren: „Ja, ich hatte den mir gemäßen Ort in der Halbdistanz gefunden: Mit mir, ohne mich!“
Karl-Markus Gauß, geboren am 14. Mai 1954 in Salzburg, ist als jüngstes von vier Kindern einer Flüchtlingsfamilie in einer Salzburger Vorstadtsiedlung aufgewachsen. Das Donauschwäbisch der Eltern und ihre mitteleuropäische Vielsprachigkeit erscheinen den Geschwistern bereits als Relikt einer Vergangenheit, in die es keine Rückkehr gibt. Ein anderes Grundmotiv ist die Katastrophe des Kriegs: Im Band „Das Erste, was ich sah“ (2013) registriert der Blick des Kindes die sichtbaren Kriegsverletzungen der Erwachsenen ebenso wie ihre innere Beschädigungen. Mit Büchern über den Terror des Habsburger-Regimes gegen die revolutionären bürgerlichen Dichter und Denker und die Arbeiterrevolutionäre setzt sein Schreiben ein. Seit 1991 ist Gauß Herausgeber von Literatur und Kritik, der im Ausland am weitesten verbreiteten österreichischen Literaturzeitschrift, die 1966 von Gerhard Fritsch, Rudolf Henz und Paul Kruntorad gegründet wurde und im Otto Müller Verlag Salzburg erscheint. „In den Neunzigern“, erinnert sich Gauß in einem Gespräch mit der Kritiker-Kollegin Daniela Strigl und Zsolnay-Programmleiter Herbert Ohrlinger, „haben wir als erste viele verschiedene Literaturlandschaften für den deutschen Sprachraum entdeckt. Wir haben das erste Heft über albanische Lyrik im Kosovo in deutscher Sprache gemacht, wir haben Literatur aus Sarajevo zu einem Zeitpunkt vorgestellt, als alle vom Untergang dieser Stadt gesprochen haben, aber keiner wusste, was da eigentlich untergeht… Viele dieser Hefte waren Pfeile zu den Verlagen, die sich dann meldeten und begannen, Bücher in deutscher Übersetzung aus diesen Ländern herauszubringen.“
Flaneur, Essayist, Kultur- und Literaturkritiker, Ethnograph, Herausgeber – Karl-Markus Gauß ist all dies zusammen. Und er ist es gern. „Alle diese Bereiche meiner Arbeit bedeuten mir etwas“, sagt er, „und ein jeder bringt mich in einem bestimmten Sinne weiter.“ Besonders in zwei Genres hat er es in den letzten Jahrzehnten zu einiger Meisterschaft gebracht, nicht wenige sind der Meinung, dass er sie geradewegs neu erfunden habe: Die Reiseerzählung und das Journal. Mit „Die sterbenden Europäer“ erscheint 2001 das erste dieser eigenwilligen Reisebücher, in denen er, zumeist mit dem Fotografen Kurt Kaindl, etwa zu den Sepharden von Sarajevo unterwegs ist, zu den Gottscheer Deutschen, zu den Aromunen und Lausitzer Sorben. „Ich war lange ein Stubenhocker, Reisen waren für mich geistig-intellektuelle Bücherreisen“, sagt Gauß 2012 in einem Interview. Die europäischen Minderheiten hatten ihn stets fasziniert, aber auf die Idee, sie selbst zu besuchen, ist er lange nicht gekommen. Nun bricht er zu diesen Völkern, Ethnien, Sprach- und Religionsgemeinschaften auf, für die das moderne Europa keinen Platz zu haben scheint. Abschließende Befunde, endgültige Urteile sucht man in den so entstehenden Büchern vergeblich. Es ist ein wenig wie bei der Never-ending-Tour des großen Bob Dylan: Unterwegs sein heißt auch, nicht wirklich anzukommen.
In seinen mit dem Band „Mit mir, ohne mich“ (2002) kurz nach der Regierungsbildung Schüssel/Haider begonnenen Journalen, dem Langzeitprojekt einer ideengeschichtlichen, biografischen und politischen Vermessung unserer Zeit, gelingt dem Gauß ein Befreiungsschlag: Er hat eine Form gefunden, aus dem Korsett des „Sachbuchs“ auszubrechen – und auch von sich selbst zu schreiben. Mit dem im Februar erscheinenden sechsten Band „Die Jahreszeiten der Gegenwart“ nimmt Gauß die Zeit zwischen seinem 60. Und 65. Geburtstag, also die Jahre 2014 bis 2018, in den Blick, nicht ohne in Vergangenheit und Zukunft auszuschreiten: Von der Weltbühne zur Ortsbesichtigung ist es für den Autor meist nur ein Absatz: Helmut Schmidts Begräbnis schließt er kurz mit Henry Kissingers Rolle in Vietnam, die Kriegsversehrten, denen er einst auf dem Schulweg begegnete, mit der Flüchtlingskrise von 2015, den Tod eines Freundes mit den digitalen Ingenieuren der Unsterblichkeit. Gauß’ Reiseberichte und seine Aufzeichnungen verweisen aufeinander, bedingen einander, stellen eine Einheit dar, wenn auch mit unterschiedlichen Perspektiven und unterschiedlichen stilistischen und poetischen Mitteln, so der Philosoph und Kulturpublizist Konrad Paul Liessmann: „In Summe ergeben diese Texte ein eindringliches, manchmal melancholisches, manchmal erheiterndes, immer aber präzises Panorama der europäischen Wirklichkeit, und das mitten in Österreich.“
Für sein Buch „Die unaufhörliche Wanderung“, 2020 im Zsolnay Verlag erschienen, erhält der unermüdliche Aufklärer Karl-Markus Gauß nun den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Der Band, der Texte aus 20 Jahren, aber auch Neues vereint, ist ein typisches Gauß-Lesebuch: Einmal mehr vermittelt der Autor europäische Kulturgeschichte in Form brillant erzählter Literatur. In der Jurybegründung heißt es: „Wenn Karl-Markus Gauß an Europa denkt – und wahrscheinlich gibt es keinen Schriftsteller in Europa, der öfter und nachhaltiger über dieses kleine Gebiet westlich des russischen Reiches nachdenkt –, dann denkt er über die Minderheiten nach, die sich immer noch in den Rissen dieses einsturzgefährdeten Gebäudes halten… Alle diese Minderheiten mit ihren seltsamen Sitten, Sprachen, Gebräuchen, Literaturen und Religionen haben in Karl-Markus Gauß… ihren unermüdlichen, treuen, neugierigen, aufmerksamen Chronisten gefunden. Seit mehr als vierzig Jahren nimmt dieser für seine stilistischen Feinheiten gelobte, jedes besserwisserische Pathos meidende Reisende die kulturellen Verluste… wahr und hält ihnen den historisch angehäuften tatsächlichen Reichtum entgegen. Er leistet die Arbeit eines Sisyphos – das heißt, er weiß auch, dass trotz aller Anstrengungen der mühsam auf den Berg geschleppte Stein wieder hinunterrollt.“
Dennoch müssen wir uns diesen Salzburger Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen. Vom österreichischen Nachrichtenmagazin Profil gefragt, ob er seinen Beruf gern ausübe, diktierte er dem Reporter folgendes in den Block: „Natürlich quäle auch ich mich mitunter am Schreibtisch. Dann schaue ich durch das Fenster auf die Straße, auf der Männer in meinem Alter mit Aktentasche in der Hand zu irgendeiner Sitzung hetzen – sofort bin ich von dem Glücksgefühl überschwemmt, wie herrlich es doch ist, alle Tage am Schreibtisch zu sitzen… Nur beim Schreiben kann ich das Beste in mir erreichen, intellektuell wie moralisch. Erst wenn ich über etwas geschrieben habe, weiß ich darüber wirklich Bescheid. Wenn ich nicht schriebe, würde ich unverzüglich ein wesentlich unintelligenterer Mensch werden.“
Dass Michael Kegler aus dem hessischen Hofheim hierzulande als einer der wichtigsten Transporteure portugiesischsprachiger Literatur gilt, wurde ihm nicht direkt in die Wiege gelegt – aber beinahe: 1967 in Gießen geboren, lebte er vom vierten bis zum zehnten Lebensjahr auf einer Eisenerzmine in Minas Gerais, dem größten Bergbauzentrum Brasiliens, wo sein Vater als Geologe arbeitete. Zuhause wurde Deutsch gesprochen, in der Grundschule, die er gemeinsam mit den Kindern der Minenarbeiter besuchte, Portugiesisch. Nach dem Abitur und zwei grandios gescheiterten Semestern Agrarwissenschaft geriet er an der Frankfurter Goethe-Universität in ein Seminar von Ray-Güde Mertin (1943 – 2007), die als Literaturagentin und Übersetzerin von Größen wie António Lobo Antunes oder José Saramago eine weithin strahlende Instanz war. Kegler fing Feuer und schrieb sich für Romanistik, Anglistik und Germanistik ein. Er ist allerdings auch gleich in diesem ersten Seminar gewarnt worden: „Leute“, sagte Mertin damals, „wenn ihr Literatur übersetzen wollt – sucht euch lieber auch noch einen Zweitjob!“
Michael Kegler ließ sich das nicht zweimal sagen – und heuerte während des Studiums beim portugiesischen Buchladen TFM „Centro do Livro“ an, den Teo Ferrer de Mesquita 1980 noch an der Frankfurter Konstablerwache gegründet hatte. Auch dieser Laden war eine Legende: Teo, mit 19 aus Mosambik geflohen, studierter Elektroingenieur, der aus politischen Gründen von Portugal nach Deutschland gekommen war, hatte ihn sechs Jahre nach der Nelkenrevolution gegründet. Heute – Teo lebt längst wieder in Lissabon – wird TFM, die inzwischen in Bockenheim residierende Spezialbuchhandlung für Literatur und Musik aus den portugiesischsprachigen Ländern, von Petra Noack geführt, die 1998 als Praktikantin eingestiegen war.
Michael Kegler, der bis zu diesem Zeitpunkt relativ fest im Laden arbeitete, hilft heute im Schnitt einmal die Woche aus. Er braucht diesen lebendigen Kontakt mit Literatur und Menschen, die hier eine ganz andere Qualität haben als in den Weiten des Internets. „Du merkst an der Kasse, wo überall Portugiesisch gesprochen wird: Von Brasilien und Portugal über Angola, Mosambik, Kap Verde, Guinea-Bissau bis zu São Tomé und Príncipe und Macau.“ Häufig läuft afrikanische Musik, aber auch Bossa Nova, Fado und Jazz. Natürlich werden auch viele Päckchen für den Versand gepackt; Buchhandel hat auch eine körperliche Seite. „Wer je einen Büchertisch im aufzuglosen dritten Stock der Hamburger Uni aufgebaut hat, weiß, was ich meine.“ 2020 wurde das „Centro do Livro“ bereits zum zweiten Mal mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.
Im ebenfalls von Teo Ferrer de Mesquita gegründeten, neben der Buchhandlung betriebenen Verlag TFM hat Kegler 1999 sein Gesellenstück als Literaturübersetzer herausgebracht – Manuel Tiagos (das Pseudonym von Alvaro Cunhal, dem langjährigen Generalsekretär der portugiesischen KP) Novelle „Fünf Tage, fünf Nächte“. Zuletzt erschien bei TFM in diesem Jahr der von Kegler besorgte zweisprachige Band des Angolaners Ondjaki „Blaue Träume in jedem Winkel“. Insgesamt sind es wohl wenig mehr als „vier Hände voll“ von Kolleginnen und Kollegen, die als professionelle Literaturtransporteure mit dem Portugiesischen arbeiten, schätzt Kegler. Man kennt sich, tauscht sich aus, wirft sich Bälle zu. 2013, als Brasilien Gastland in Frankfurt war, hat sich dieser Kreis einmal getroffen. Die meisten haben noch ein oder zwei weitere Sprachen in petto. „Es gibt zwei, drei Wahnsinnige, die sich ausschließlich aufs Portugiesische werfen“, lacht Michael Kegler. „Einer davon bin ich.“
Wird Kegler in Portugal nach den Chancen auf dem deutschen Markt gefragt, wiegte der Literaturvermittler meist nachdenklich den Kopf: „Es gibt keinen Markt – jedes Buch hat seine eigene Geschichte.“ Im Vorfeld des Portugal-Schwerpunkts zur Leipziger Buchmesse änderte sich das, etwa durch wiederholte Einladung deutscher Verlegerinnen und Verleger, die dem Zufall gewisser Maßen auf die Sprünge helfen sollten. Auf diese Weise etwa entdeckte Hanser-Lektor Piero Salabè den Autor Afonso Reis Cabral. Salabè und Kegler kannten sich bereits durch die gemeinsame Übersetzung der Gedichte von Ana Luísa Amaral, die letzten März unter dem Titel „Was ist ein Name“ in der Edition Lyrikkabinett bei Hanser erschienen sind. „Mir war klar, dass es ein Wagnis ist, wenn zwei Kerle mit ausgeprägtem Ego eine Dichterin übersetzen“, erinnert sich Kegler. „Rückblickend war es eine sehr bereichernde Erfahrung“. Die gemeinsame Lyrik-Arbeit sollte für ihn das Ticket für die Übersetzung von Reis Cabral werden; dessen Roman „Aber wir lieben dich“ erschien letzten März ebenfalls bei Hanser.
Reto Ziegler von der Wiener Edition Korrespondenzen, der am Stand der Botschaft von Portugal auf den zehnbändigen Zyklus „Das Viertel“ („O Bairro“) gestoßen war, ist nicht der erste Verleger, dem Kegler und seine Übersetzer-Kollegen die Seniores von Gonçalo M. Tavares schmackhaft machen wollten. Tavares hat einen ganzen Stadtteil erschaffen und diesen mit illustren Herrschaften bevölkert – von Brecht und Breton bis Valéry oder T. S. Eliot. Jeder von ihnen ist Bewohner eines der zehn Bändchen. Tavares selbst bezeichnet das Ensemble als „ein Asterix’sches Dorf“, als einen Ort, „an dem man versucht, dem Eintritt der Barbarei zu widerstehen“. Reto Ziegler war rasch überzeugt, „Das Viertel“ in Gänze zu bringen; seit 2020 sind fünf Bände in Michael Keglers Übersetzung erschienen, im kommenden März folgt der sechste Streich, „Herr Calvino und der Spaziergang“.
Es fällt auf, dass viele portugiesischsprachige Neuerscheinungen, die im Zusammenhang mit dem Leipziger Gastlandauftritt entstanden, von kleineren, unabhängigen Verlagen gestemmt werden. Besonders die Österreicher erwiesen sich als mutig. Im Insbrucker Haymon Verlag wird im März 2022 in Michael Keglers Übersetzung „Schwerkraft der Tränen“ erscheinen, der aufregende Debütroman der portugiesischen Autorin Yara Nakahanda Monteiro. Im Buch geht es nach der Suche einer jungen Portugiesin mit angolanischen Wurzeln nach ihrer Mutter – und ihrer eigenen Identität. Kegler war im letzten Sommer eigentlich bei der Suche des Verlags nach einer passenden Übersetzerin um Rat gefragt worden – war von dem Projekt am Ende jedoch so begeistert, dass er den Auftrag selbst annahm. „Ich hatte für den Unionsverlag ‚Die Frauen meines Vaters’ von José Eduardo Agualusa übersetzt, der die Suche einer portugiesischen Frau nach ihrem Vater, einem angolanischen Musiker, und ihren afrikanischen Wurzeln behandelt. Beide Bücher stehen ohne Zweifel in Dialog miteinander.“ Wenn es darum geht, Verlagstüren für Autorinnen und Autoren zu öffnen, spielen Übersetzer wie Michael Kegler eine kaum zu unterschätzende Rolle. Eines seiner „lustigsten Verkaufsgespräche“ führte er an einem Buchmesse-Sonntag mit dem Verleger Stefan Weidle: „Als eigentlich im Wortsinn alle Messen gesungen waren, begeisterte ich ihn für das schmale, aber ungemein tolle Buch eines portugiesischen Autors, was eigentlich ein als Novelle getarntes Theaterstück ist.“ Rui Zinks „Die Installation der Angst“ erschien 2016 bei Weidle; im letzten Jahr wurde sie von der Volksbühne am Kaulenberg in Halle/Saale als Hörspiel adaptiert.
Im Rahmen des Gastlandauftritts von Portugal auf der Leipziger Buchmesse 2022 erscheinen 2021 rund 50 neue portugiesischsprachige Bücher in deutscher Übersetzung, weitere Novitäten sind fürs kommende Jahr geplant. Gefördert wurden sie mit dem Sonderprogramm der Direção-Geral do Livro, dos Arquivos e das Bibliotecas (DGLAB) und des Instituts Camões zur Übersetzung und Veröffentlichung portugiesischsprachiger Literatur ins Deutsche. Wird dieser pandemiebedingt „verlängerte“ Auftritt unsere Sicht auf portugiesischsprachige Literatur auf lange Sicht beeinflussen – und auch das Agieren von Verlagen und Buchhandel nachhaltig verändern? Michael Kegler ist zuversichtlich. „1997 hat etwa die ‚Jungle World’ ihre Buchmesse-Beilage zu Portugal noch mit Rucksackträgern in Sandalen aufgemacht. Für mich war das emblematisch: Mehr ist denen zu Portugal nicht eingefallen? Ich glaube, dass die Vielfalt der portugiesischsprachigen Literatur verschiedenster Kontinente inzwischen auf offene Hirne und Herzen der Leserinnen und Leser hierzulande trifft. Und dass auch die Verlage und der Buchhandel am Ball bleiben – über die Boosterpräsenz im März 2022 hinaus. Ich werde weiter gut zu tun haben. In Hofheim geht das Licht nicht aus.“
Nancy Neumann liebt Papier. Als Origamikünstlerin verwandelt sie das vielfältige Material in schmuckvolle Figuren – und gibt ihre Faszination für dieses Kunsthandwerk in Workshops weiter. https://nancys-kreativwerkstatt.de/
Origami braucht Geduld, Fingerfertigkeit und ganz viel Liebe fürs Detail. Was fasziniert dich besonders daran?
Ich möchte die Welt mit Origami ein bisschen bunter machen und ein Stück Japan nach Deutschland holen. Origami ist so vielfältig – obwohl alles ja eigentlich nur aus einem Stück Papier entsteht. Das begeistert mich.
Wann hast du deine ersten Kunstwerke erstellt?
Seitdem ich klein bin, tobe ich mich kreativ aus – und habe fast alle DIY-Materialien ausprobiert: Filz, Fimo, Wolle. Doch erst Papier hat mich so richtig in den Bann gezogen. Vor gut 10 Jahren beobachtete ich einen Origami-Künstler, wie er einen Kranich faltete und war sofort Feuer und Flamme. Ich finde es einfach faszinierend, was man alles aus Papier falten kann: Tiere, Pflanzen, Kleidung, Gegenstände.
Hast du ein künstlerisches Vorbild?
Enie van de Meiklokjes! Sie hat ihre Bastel- und Backleidenschaft zum Beruf gemacht, lebt ihren Traum in Farbe, mit ihren bunten Kleidern und ausgefallenem Kopfschmuck. So möchte ich auch sein. Sie ermutigt mich immer wieder, mein Fuchs- oder Flamingokleid voller Stolz zu tragen.
Was fasziniert dich an der Manga-Comic-Con?
Ich liebe die vielen verschiedenen Cosplay Kostüme. Die Künstler:innen machen sich so viel Mühe und Arbeit mit ihren Outfits – einfach beeindruckend. In jedem Einzelnen ist die Liebe und die Leidenschaft für ihren Charakter zu erkennen. Ich freue mich darauf, endlich wieder so viel Kreativität zu sehen.
In Vollzeit ins fantastische Abenteuer
Jennifer Hicks hat sich vor einigen Jahren als Illustratorin selbstständig gemacht. Ihre Devise: Sich voll und ganz auf die Kunst einlassen. www.justonewing.de
Wer ist dein persönlicher Comic-Held?
Früher hätte ich direkt Sailor Mars, Rei und Storm gesagt. Aber irgendwie ist es das nicht mehr. Wenn ich jetzt meinen Comicbuch-Schrank schaue, gewinnt Snow White aus der Fables Saga. Wer es nicht kennt, sollte unbedingt mal reinlesen. Es gibt wenig großartig starke weibliche Charaktere wie sie.
Sind dir starke weibliche Helden wichtig?
Ja, da hat sich meine Kunst gewandelt. Während es mir früher sehr wichtig war, den Menschen einen schönen, leicht mystischen Fluchtraum zu schaffen, zielt viel meiner Kunst mehr auf Sichtbarkeit ab, ob es nun in Sachen mentaler Gesundheit, sexueller Offenheit, Hautfarbe oder Körperformen ist.
Was können aus deiner Sicht Manga und Comic so gut wie kaum eine andere Kunstform?
Die Kraft, mit der man Dinge zum Leben erwecken konnte. Die Intensität, die sie übertragen können, um die Gefühlswelt von Fremden auf dich wirken zu lassen – teilweise viel privater und intensiver als in Filmen. Der Comic lässt Freiraum für dich selbst in der Geschichte.
Welche Rolle spielt die Kunst in deinem Leben?
Ich habe schon als vierjährige meiner Schwester beim Zeichnen zugesehen und wusste: Das will ich auch. Seither habe ich nie damit aufgehört. Nach meinem Interface Design- Studium habe ich einen gut bezahlten Job angefangen. Doch schon bald merkte ich: Wenn du es richtig machen willst, musst du dich ganz darauf einlassen. Seitdem bin ich als Künstlerin selbstständig – für mich ein Unterschied wie Tag und Nacht.
Was ist das Besondere der Manga-Comic-Con?
Ich wäre im letzten Jahr das erste Mal als Aussteller dabei gewesen. Leider hat das nicht geklappt. Ich freue mich sehr darauf, bald wieder die Gemeinschaften, die Menschen zu erleben, die alle nur zusammenkommen um gemeinsam die vielen bunten Welten zu zeigen und zu feiern. Und ich freue mich, ein Teil davon zu sein.
Zum Nachdenken anregen
Yanagi ist Grafikdesignerin und Tätowiererin. In ihrer Freizeit zeichnet sie Mangas und entwickelt Merchs für Conventions. https://yanagisartwork.com/
Seit wann zeichnest du?
So klischeehaft das klingt: Seit ich denken kann.
Verfolgst du mit deinen Arbeiten ein bestimmtes Ziel?
Derzeit arbeite ich an einem Manga, der kritisch auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen soll und hoffentlich den ein oder anderen zum Nachdenken anregt.
Hast du ein künstlerisches Vorbild?
Mehrere! Es gibt so großartige Künstler in jedem Bereich – da fällt es schwer, sich für einen zu entscheiden. Ich würde zum Beispiel Mauricio Teodoro Da Silva, pigeon666/82pigeon, Stanley Artgerm Lau nennen, aber da wären noch viele mehr.
Wenn endlich wieder Manga-Comic-Con ist, dann…
… möchte ich wieder neue Kontakte zu knüpfen und coole Leute kennenlernen. Wo trifft man sonst so viele Menschen mit denselben Interessen?
Zielort: Fantasie
BRIA ist Illustratorin und Comiczeichnerin aus Dresden. Mit ihren Werken zieht sie die LeserInnen in phantastische Welten. https://briacomicarts.com/
Was war dein erstes künstlerisches Motiv?
Schon im Kleinkindalter beschäftigte ich mich am Liebsten mit dem Zeichnen von Figuren. Richtig erkennbar waren dann die Kritzeleien von Sonic, the Hedgehog, die ich auf das weiße Holz des Elternebettes platziert habe. Bis heute eine beliebte Erzählung in meiner Familie. In der 2. Klasse habe ich bald meinen ersten Comic begonnen: eine Magical-Girl-Geschichte, die Sailor-Moon inspiriert war und mit außeriridischen Mädchen als Protagonistinnen.
Die Flucht ins Fantastische hat dich also schon früh in den Bann gezogen?
Ich würde es eher Urlaub vom Alltag nennen. Comics und Mangas verbinden verschiedene Disziplinen, um die LeserInnen in ihre Welt zu ziehen und zum Nachdenken anzuregen. Handlungen werden Bild für Bild erzählt, Emotionen über Mimik und Gestik vermittelt und das Lettering bringt Informationen. Diese Art der Visualisierung lässt einen Film vor meinem
inneren Auge abspielen.
Und welchen „Film“ willst du mit deinen Comics drehen?
Bisher veröffentlichte ich Kurzgeschichten, die zum Schmunzeln oder Träumen anregten. Meine Ideen kommen dabei oft von kulturellen Themen, dem Steampunk und auch der Postapokalypse. Diese Themen stammen meist aus dem Ausland, weshalb es mir wichtig ist, die lokale Szene zu stärken. Auch Autobiografisches ließ ich nicht unversucht. Aktuell „drehe“ ich einen Web-Comic, für den ich nach erfolgreichem Launch einen passenden Verlag finden möchte.
Hast du künstlerische Vorbilder?
Ein Zeichenstil entwickelt sich auch aus seinen Einflüssen. Und einen großen hatte der W.i.t.c.h.- und Skydoll-zeichner Allessandro Barbucci. Stilistisch und erzählerisch reizvoll sind beispielsweise auch die Werke der lokalen Künstler Olivia Vieweg, Thilo Krapp und Radacs. International stechen für mich aktuell vor allem Jamie Hewlett und Jhonen Vaqsquez hervor. Am Ende ist es eine Mixtur unglaublich vieler KünstlerInnen.
Nach zwei Jahren ohne MCC hoffen wir auf eine Ausgabe in 2022. Worauf freust du dich besonders?
Dass sie wieder stattfindet, egal in welcher Form. Aus der Vergangenheit liebe ich die Atmosphäre vor Ort: wohin mensch schaut ist es bunt. Es gibt überall was zu entdecken und die Cosplayer machen es zu einem Klassentreffen vieler Film-, Videospiel- und MangaheldInnen. Aber am Meisten schätze ich den Bereich der MCC Kreativ. Die vielschichtigen AusstellerInnen haben eine Plattform, können sich vernetzen und gegenseitig inspirieren. Genau so soll Kunst sein!
Ein Elfenbeinturm sieht anders aus: Ingo Držečnik empfängt in der zum Verlags-Kontor umgebauten Küche der Berliner Wohnung, die er mit Frau und zwei Kindern bewohnt. Vor 25 Jahren, als er mit Roman Pliske in Heidelberg den Elfenbein Verlag gründeten, lag nichts ferner als eine Karriere in der Branche. Als Herausgeber der Literaturzeitschrift „metamorphosen“ begeisterten sich die Germanistikstudenten für Gedichte des Lyrikers Andreas Holschuh. „Daraus wollten wir ein Buch machen“, erinnert sich Držečnik. „Plötzlich lagen andere Manuskripte auf dem Tisch. Und dann ging’s weiter.“
Ihren ersten Coup landen die beiden, als sie auf der Frankfurter Buchmesse 1997, Gastland ist Portugal, mit Gedichten von António Botto und einem Erzählband von José Riço Direitinho gleich zwei portugiesische Geheimtipps im Programm haben. Die Rechte für Direitinhos „Das Haus am Rande des Dorfes“, damals in allen großen Feuilletons besprochen, hatten sie ein Jahr zuvor von der berühmten Literaturvermittlerin und Agentin Ray-Güde Mertin (1943-2007) erworben. Fremde Literaturen zu entdecken, gilt seitdem als Konstante bei Elfenbein. Mit den Jahren werden Katalanen, Griechen, Franzosen, Tschechen, Ungarn und weitere Deutsche Teil des Verlagskosmos’.
In Heidelberg werden die Jungverleger bald als „die Zwei von der Tankstelle“ auffällig – nach dem ersten Verlagssitz in einem ehemaligen Tankstellenwärterhäuschen. 2001 zieht Elfenbein vom „Weltdorf“ Heidelberg an den Prenzlauer Berg. Als Kompagnon Pliske Berlin Mitte der Nullerjahre verlässt, um Geschäftsführer des Mitteldeutschen Verlags in Halle/Saale zu werden, beißt Ingo Držečnik in den (nicht nur) sauren Apfel des Brotberufs. Sein Standbein in der Erwachsenenbildung gibt ihm die Freiheit, die Bücher zu verlegen, die er selbst gern liest.
Dazu gehören immer wieder auch Bücher aus Portugal – mittlerweile befinden sich 22 portugiesische Titel im Elfenbein-Programm. Die „Canções – Lieder“ vom „ersten Portugiesen“ des Verlags, António Botto, hat Držečnik erst kürzlich wieder aufgelegt – mit einem aktualisierten Nachwort von Übersetzer Sven Limbeck. Dass Portugal Gastland der Leipziger Buchmesse werden sollte, erfuhr der Verleger 2018 – in dem Jahr, in dem er in Leipzig mit dem Kurt-Wolff-Preis ausgezeichnet wurde. In diesem Moment war klar: „Ich bringe wieder etwas Portugiesisches!“ Nur was?
Držečnik hielt es mit Karl Kraus: „In zweifelhaften Fällen entscheide man sich für das Richtige.“ Mit dem von Michael Kegler übersetzten Gedichtband „Ein Dasein aus Papier“ liegt nun der vierte Band der Elfenbein-Werkausgabe von Al Berto vor, die 1998 begonnen wurde: „Der Dichter war 1997 zum Portugalschwerpunkt nach Frankfurt eingeladen worden“, erinnert sich Držečnik, „starb aber dann ganz überraschend.“ Al Berto, Jahrgang 1948, studierte Malerei in Lissabon und Brüssel und veröffentlichte seit Ende der 1970er Jahre Gedichte. 1988 mit dem Prémio Pen Club ausgezeichnet, gilt er als einer der bedeutendsten portugiesischen Lyriker der Gegenwart. Bei Elfenbein liegt sein lyrisches und episches Hauptwerk nun komplett vor.
Die Frau mit dem bandwurmlangen Namen Sophia de Mello Breyner Andresen (1919 – 2004) ist noch ein Stückchen berühmter – und ziemlich unangefochten die bedeutendste portugiesische Lyrikerin des 20. Jahrhunderts. Bereits im Alter von 12 Jahren schrieb „a Sophia“ („die Sophia“), wie sie in Portugal liebevoll genannt wird, erste Gedichte. Einer ihrer Vorfahren stammte aus Dänemark. Ende des 19. Jahrhunderts erwarb die Familie in Porto die „Quinta do Campo Alegre“ – den heutigen Botanischen Garten, wo Sophia in aristokratischer Umgebung aufwuchs. Sie studierte klassische Philologie und engagierte sich in katholisch geprägten Widerstandsgruppen gegen das Salazar-Regime. Nach der „Nelkenrevolution“ von 1974 wurde sie als Abgeordnete der Sozialisten in die Verfassungsgebende Versammlung gewählt. 1999 erhielt sie als erste Frau mit dem Prémio Camões den wichtigsten Literaturpreis in der portugiesischsprachigen Welt. Nachdem Držečnik und diese große Autorin bereits 2020 mit ihrem Gedichtzyklus „Der Zigeunerchristus“ vorstellte, legt er nun mit gleich zwei Büchern nach: „Die Muschel von Kos“ (übersetzt von Sarita Brandt) vereint den zweiten und den letzten Gedichtband von „a Sophia“, „Exemplarische Erzählungen“ (übersetzt von Michael Kegler) versammelt sieben Meistererzählungen aus ihrer Feder.
Dazu hat Elfenbein mit Ralph Roger Glöcklers „Kurs auf die Freiheit“, das erstmals 1980 erschien, ein über 30 Jahre vergriffenes Reisebuch neu zugänglich gemacht. Glöckler lässt uns noch einmal ins Portugal nach der „Nelkenrevolution“ reisen – in eine Zeit, in der das Land einen gewaltigen Modernisierungsprozess durchlief. Im Reader „Stippvisiten“ schließlich kommen wichtige Stimmen der zeitgenössischen portugiesischen Literatur zu Wort. Die Texte von Miguel Cardoso (*1976), Afonso Cruz (*1971), Isabela Figueiredo (*1963), Rui Cardoso Martins (*1967) und Patrícia Portela (*1974) entstanden während der Berlin-Aufenthalte der Autorinnen und Autoren im Rahmen ihrer von der Botschaft von Portugal | Camões Berlin gewährten Residenzstipendien.
Hinter Ingo Držečnik im Regal stehen, alphabetisch geordnet, die Elfenbein-Werke aus 25 Jahren. „Vor einiger Zeit habe ich zum dritten Mal ISB-Nummern nachbestellt“, lacht der Verleger: „Zwei Mal waren es 100. Jetzt hab’ ich 1000 gekauft.“ Schaut so aus, als würde Ingo Držečnik, auch mit Portugal, für weitere Jahrzehnte planen.
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